• Veröffentlichungsdatum : 01.03.2016
  • – Letztes Update : 13.07.2016

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  • 2866 Wörter

Völker "in Bewegung"

Wolfgang Etschmann

Völkerwanderungen, große und lang anhaltende Migrations- oder Fluchtbewegungen, sind keine neu auftretenden historischen Ereignisse. Im 20. Jahrhundert und im 21. Jahrhunder haben sie auf nahezu allen Kontinenten erhebliche Ausmaße angenommen.

Themenschwerpunkt Migration 

Massenwanderungen lassen sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Erscheinungen nur schwer in Kategorien einordnen. Zu groß sind die Unterschiede in ihren Ursachen. Daher sind sie ständig neuen Beurteilungsversuchen unterworfen. Klimatische Veränderungen mit dramatischen wirtschaftlichen Folgen und kriegerische Auseinandersetzungen können mögliche Auslöser dafür sein, dass sich größere menschliche Gemeinschaften in Bewegung setzen. Anhand einiger weniger historischer Beispiele soll das Phänomen beleuchtet werden, um gegebenenfalls ein Einordnen der aktuellen Situation zu erleichtern.

Prähistorische und antike Welt

Völkerwanderungen in prähistorischer Zeit (Zeitspanne in der menschlichen Geschichte vor dem Auftreten von Schriftzeugnissen) lassen sich heute mit archäologischen Methoden nachweisen. Der Umfang dieser Menschenbewegungen war aus heutiger Sicht allerdings zahlenmäßig überschaubar und zog sich nicht nur über Jahrzehnte, sondern fallweise über Jahrhunderte hin. Klimaveränderungen, Missernten, Überbevölkerung und Vertreibungen durch einfallende Völker oder Nachbarstämme waren die Ursachen.

Die indogermanischen Völkerwanderungen zwischen 2500 und 2200 v. Chr., die ihren Ausgang vermutlich aus dem heutigen südrussischen Steppengebiet (Kurgan-Kultur) genommen hatten und die eine kulturelle Umgestaltung des europäischen, vorderasiatischen und sogar indischen Raumes nach sich zogen, leiteten den Beginn der Bronzezeit ein.

Nach 1200 v. Chr. kam es im östlichen Mittelmeerraum zum Auftreten der so genannten „kriegerischen Seevölker“, die ab 1177 v. Chr. durch ihre Kriegszüge den Untergang, der schon durch Naturkatastrophen geschwächten, minoischen Kultur auf Kreta herbeiführten und Teile des östlichen Mittelmeerraumes für mehr als 25 Jahre ins Chaos stürzten.

Die Wanderung der Kelten (ab dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert) führte zur Schaffung eines neuen Kulturraumes, der sich um 275 v. Chr. über den Großteil der britischen Insel und Irlands, Südwest- und Zentraleuropas, des Balkanraumes und des westlichen Anatoliens erstreckte. Dieser wurde später wiederum zum größten Teil durch das Römische Imperium besetzt.

Die beginnende Völkerwanderung innerasiatischer Volksgruppen (Hunnen) ab Mitte des vierten nachchristlichen Jahrhunderts führte zum langsamen, aber stetigen Zusammenbruch des gesamten Römischen Imperiums und letztlich zum Untergang des weströmischen Teilreiches im Jahr 476.

Die frühe Neuzeit

Neu entstehende germanische Reiche auf dem Gebiet des „Imperium Romanum“ (ostgotisches Reich in Italien und Mitteleuropa, westgotisches Reich in Spanien, Vandalenreich in Nordafrika), die zahlreiche Elemente der römischen Kultur und auch das Christentum übernahmen, wurden letztlich durch das Byzantinische Reich (ehemaliges Oströmisches Reich) vernichtet, beziehungsweise durch die islamische Expansion (die bis 732 sogar Zentralfrankreich erreichen sollte) nach Spanien im Jahr 711 unterworfen.
Im Zuge der Wiedereroberung („Reconquista“) Spaniens durch die christlichen Königreiche Spaniens kam es nach 1492 zu den bis 1609 andauernden Vertreibungen der muslimischen Bevölkerung in Spanien („Morisken“) und der spanischen Juden. Über 300 000 Morisken und 35 000 Juden mussten das neu gegründete und nun vereinigte Königreich Spanien verlassen.

Ab dem späten 14. Jahrhundert begann die Expansion des Osmanischen Reiches auf der Balkanhalbinsel und in Richtung Ungarn, die schließlich 1453 auch zur Eroberung Konstantinopels (dem Rest des Byzantinischen Reiches) geführt hatte und nach wechselvollen Kämpfen erst 1683 vor Wien ihr Ende finden sollte. Auch diese politisch-militärischen Umwälzungen führten zu Fluchtbewegungen christlicher Bevölkerungsteile aus den vom Osmanischen Reich unterworfenen Regionen in die Habsburgermonarchie. 1690 flohen nach einem gescheiterten Aufstand rund 40 000 Serben.

Ausgewählte Fallbeispiele

Irland
Irland sollte speziell in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem klassischen Auswanderungsland werden. Ständige Konflikte mit der protestantischen englischen Oberhoheit hatten immer wieder zu Aufständen und Kriegen auf der Insel geführt, die 1841 durch das starke Bevölkerungswachstum 8,2 Millionen Einwohner hatte. Die ab 1846 auftretende „Kartoffelfäule“ führte zum Ausfall mehrerer Ernten und zum nahezu völligen Verlust des Grundnahrungsmittels.

Innerhalb von knapp zwei Jahren waren 1,1 Millionen Iren an Krankheiten verstorben oder verhungert. Diese Katastrophe ging unter dem Namen „The Great Famine“ in die Geschichte Irlands ein. Sie führte in den folgenden fünf Jahren zu einer Emigrationswelle, bei der 1,2 Millionen Menschen auswanderten (mehrheitlich in die USA, nach Kanada und nach Australien). Weitere fünf Millionen Menschen hatten Irland bis 1914 verlassen. Im Jahr 1900 lebten nur noch 3,5 Millionen Menschen auf der Insel. Eine Folge waren weitere politische Konflikte, die allerdings 1921 zur Gründung des Freistaates auf der Insel führten. Heute gibt es über 70 Millionen Irischstämmige weltweit. Davon leben alleine in den USA ca. 42 Millionen.

Europäische Auswanderung über den Atlantik


17. und 18. Jahrhundert
Im 17. und 18. Jahrhundert entstanden auf dem amerikanischen Kontinent die 13 britischen Kolonien aus, denen 1776 die USA gegründet werden sollten. Kanada kam nach 1763 als britische Kolonie dazu. Diese Gebiete in Nordamerika zogen bald hunderttausende Siedler an, die in Europa politisch verfolgt wurden oder sich in der „Neuen Welt“ bessere Lebensbedingungen als in Europa erhofften.

Ab 1607 begann die kontinuierliche Besiedlung in der Kolonie Virginia wobei der Bevölkerungszuwachs durch die hohe Todesrate, bedingt durch das ungesunde Klima und grassierende Krankheiten, nur sehr langsam vor sich ging. Ab dem Jahr 1620 siedelten sich im Gebiet des heutigen Bundesstaates Massachusetts von England ausgewanderte Puritaner an. 80 Prozent dieser Siedler überlebten allerdings den ersten Winter nicht.

Die Südspitze der Insel Manhattan wurde ab 1626 durch holländische Auswanderer besiedelt und erhielt von diesen den Namen „Neu Amsterdam“ und nach der Übernahme durch England (1664) „New York“. Noch 1780 stammten 27 Prozent der Einwohner der rasch wachsenden Stadt von holländischen Siedlern ab. In die New-England-Staaten wanderten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und bis 1830 nahezu 400 000 Iren und Schotten ein.

19. Jahrhundert
Um 1800 hatten die Vereinigten Staaten bereits 5,24 Millionen Einwohner (ohne indigene Urbevölkerung), wobei sich diese Zahl ein halbes Jahrhundert später bereits auf über 23 Millionen erhöht hatte. Weitere große Zuwanderergruppen waren

  • zwischen 1880 und 1920 grob 5,3 Millionen Italiener,
  • zwischen 1880 und 1924 etwa zwei Millionen Juden aus Russland,
  • zwischen 1881 und 1885 eine Million Deutsche (insgesamt waren zwischen 1850 und 1930 fünf Millionen Deutsche in die Vereinigten Staaten eingewandert) und
  • zwischen 1840 und 1930 rund 900 000 französischsprachige Kanadier.


20. Jahrhundert
Die größten Einwanderergruppen nach 1945 waren die Hispanics (Mexiko, restliches Mittelamerika und Teile der Karibik sowie einzelne südamerikanische Staaten). Mindestens zehn Millionen,

  • 952 000 Kubaner (seit 1961),
  • rund 1,7 Millionen Philippinos (seit 1965),
  • 848 000 Südkoreaner und
  • 863 000 Vietnamesen,

wanderten in die USA ein. Auch der Anteil der chinesischstämmigen Bevölkerung hat sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts langsam aber stetig erhöht (3,3 Millionen). Heute setzt sich die Bevölkerung der USA aus Einwanderern aus nahezu allen Staaten der Welt  zusammen.

Generell lässt sich feststellen, dass - von einzelnen kürzeren Phasen abgesehen - die Einwanderung speziell von Europäern (auch hier gab es allerdings Einwanderungskontrollpunkte wie Ellis Island bei New York) über Jahrhunderte erwünscht war und gefördert wurde. Sie stellte die Voraussetzung für die innere Kolonisation und eine rasante Wirtschaftsentwicklung im 19. Jahrhundert dar. Nicht unerwähnt sollte jedoch bleiben, dass sich die indigene Urbevölkerung auf dem nordamerikanischen Kontinent durch Seuchen und Kriege gegen die Einwanderer zwischen 1600 und 1890 von mindestens 2,1 Millionen auf knapp 250 000 Menschen reduzierte. Die meisten Hinterbliebenen mussten in Reservaten überleben.

Preußen im 18. und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert

Entwicklung bis ins 18. Jahrhundert
Das flächenmäßig kleine Kurfürstentum Brandenburg bzw. das spätere Königreich Preußen nahm zwischen 1690 und 1740 über 20 000 Hugenotten (französische Protestanten) und nach 1729 über 15 000 vertriebene Protestanten aus dem Erzbistum Salzburg auf. Durch den weiteren Zuzug von gut ausgebildeten Auswanderern aus den Niederlanden, der Schweiz, Böhmen und Mähren sowie aus anderen deutschen Staaten (und auch durch Eroberungen - z. B. Schlesiens) stieg die Bevölkerung Preußens von 2,24 Millionen im Jahr 1740 auf 5,43 Millionen im Jahre 1786 an. Dadurch gelang - unbeschadet der Zerstörungen in den Schlesischen Kriegen - eine „Innere Kolonisierung“ in den dünn besiedelten und wirtschaftlich wenig attraktiven Teilen des Landes (Oderbruch, Warthebruch).

Auch aus den anderen deutschen Staaten des Heiligen Römischen Reiches waren größere Auswanderungswellen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zu beobachten. Diese erfolgten in den ungarischen und später auch in den russischen Raum, wo die Zarin Katharina II. zahlreiche deutsche Siedler anwarb. Diese (die so genannten „Russlanddeutschen“) wurden auch zur Kolonisierung der vom Osmanischen Reich eroberten Gebiete in Südrussland (bzw. der heutigen Ukraine) eingesetzt.

19. Jahrhundert
Auch im 19. Jahrhundert lassen sich Migrationsbewegungen und ihre Gründe und Auswirkungen deutlich erkennen. Nach der Niederschlagung der Revolutionen der Jahre 1848/49 in den deutschen Staaten und der Habsburgermonarchie kam es in den folgenden Jahren zu einer deutlich erkennbaren Flucht- und Auswanderungsbewegung - vorwiegend in die Vereinigten Staaten. Bezeichnend ist, dass im Amerikanischen Bürgerkrieg zwischen 1861 und 1865 über 177 000 Deutschstämmige als Soldaten in der Unionsarmee (teils hohe Ränge erreichend) kämpften.

Trotz erheblicher sozialer Probleme durch das rasante Wirtschaftswachstum hatte sich die Auswanderung im Deutschen Reich vor dem Ersten Weltkrieg merkbar und stetig reduziert. 1914 verließen nur noch 20 000 Auswanderer das Deutsche Reich. Die schlechten ökonomischen Bedingungen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 und die wirtschaftlichen Bestimmungen des Friedensvertrages von Versailles führten im Deutschen Reich bis zum Beginn der dreißiger Jahre zu einer erneuten Auswanderungswelle. Sie erfolgte auf den amerikanischen Kontinent, aber auch nach Australien. Allerdings erreichte sie in keiner Weise die Ausmaße der Auswanderungswelle vor dem Ersten Weltkrieg.

Flucht vor dem Nationalsozialismus und nach dem Zweiten Weltkrieg
Der Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland 1933 löste eine Fluchtwelle aus Deutschland aus, die politisch und rassisch Verfolgte vorerst in die europäischen Nachbarstaaten, dann in die USA und andere Staaten brachte. Trotzdem wurden hunderttausende Menschen unter der NS-Herrschaft ermordet. Der Zusammenbruch der NS-Herrschaft, die selbst für zahlreiche Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen über weite Teile Europas verantwortlich war, brachte jedoch kein Ende von Flucht und Vertreibung.

So verließen zwischen Sommer 1944 bis zum Jahresende 1949 mehr als 16 Millionen Deutsche ihre oft seit Jahrhunderten von ihnen bewohnte Heimat (z. B.: Rumänien, die Tschechoslowakei, Ungarn, Polen oder das Baltikum). Die Zahl der dabei Umgekommenen betrug mehr als zwei Millionen. Speziell in den schwer vom Krieg getroffenen Gebieten Deutschlands (westalliierte Besatzungszonen - ab 1949 BRD - und sowjetisch besetzte Zone - ab 1949 DDR) war die Lage der Flüchtlinge und Vertriebenen über mehrere Jahre hin dramatisch. Durch die hohen Menschenverluste im Krieg herrschte zwar ein erhöhter Arbeitskräftebedarf - die Unterbringung in Notlagern und die Schaffung von einigermaßen adäquatem Wohnraum stellte allerdings ein Problem über mehrere Jahre hinweg dar.

Ab 1950 verließen weitere hunderttausende Aussiedler die eben genannten Gebiete. Schon ab 1945 wurde im Zuge eines Bevölkerungsaustausches und der endgültigen Westverschiebung der neuen Grenzen Polens und der Sowjetunion die Masse der polnischen Bevölkerung in Weißrussland und aus der Ukraine in die neu gewonnenen Gebiete zwangsumgesiedelt. Bis 1960 war die Zahl der Deutschen in den osteuropäischen Ländern von 17,5 Millionen im Jahr 1939 auf knapp vier Millionen im Jahr 1960 abgesunken. Speziell aus der Sowjetunion und Rumänien konnten bis 1988 fast 1,5 Millionen Menschen in die Bundesrepublik ausreisen. Diese Entwicklung setzte sich auch nach 1989 fort.

Migration im getrennten Deutschland
Die politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der deutschen Teilung führten schon in den Jahren zwischen 1945 und 1948 zu einer massiven Migrationsbewegung aus der sowjetisch besetzten Zone und zu Fluchtbewegungen aus der DDR zwischen 1949 und 1961. Über 2,5 Millionen Flüchtlinge, die fast ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland blieben, verließen die DDR.

Diese Zuwanderung konnte von der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren des Wirtschaftswunders leicht verkraftet werden. Aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Fluchtbewegung wurde die DDR jedoch in eine schwere Krise gestürzt, die nur durch eine dramatische und brutale Beendigung der „Republikflucht“ ab 1961 (Bau der Berliner Mauer, Errichtung von schwer überwindbaren Grenzsperren) nahezu vollständig beendet werden konnte.

Die wirtschaftliche Krise trat in der DDR in den achtziger Jahren abermals mit voller Wucht ein und sollte im November 1989 zum endgültigen politischen Zusammenbruch des Staates führen, der sich über ein Jahr hinzog.

Binnenwanderung nach der Wiedervereinigung
Nach der deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990 setzte eine Binnenwanderung von Ost nach West ein, die wegen der schlechten wirtschaftlichen Bedingungen in den „Neuen Bundesländern“ regional größere Ausmaße annahm. Allein im Jahr 1990 übersiedelten 393 000 DDR-Bürger in die BRD. Von 1991 bis 2012 verringerte sich die Bevölkerung in den neuen Bundesländern um 1,1 Millionen Menschen (rund vier Millionen wanderten von Osten nach Westen; 2,9 Millionen zogen in die neuen Bundesländer). Inzwischen lässt sich aber seit 2013 eine langsame Gegenbewegung feststellen, deren endgültige Dauer jedoch noch schwer abzuschätzen ist.

Ab den frühen sechziger Jahren kamen etwa 14 Millionen„Gastarbeiter“ vorerst aus Italien, Griechenland, Spanien und Portugal aber später auch aus Jugoslawien und der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland. Davon kehrten 12 Millionen wieder in ihre Heimatländer zurück. Die Anzahl von Asylwerbern hat sich in den letzten Jahrzehnten auffallend gesteigert. Von 1992 bis 1995 waren dies allein - vor allem durch die Sezessionskriege in Jugoslawien - 1,05 Millionen. 2014 lag die Zahl bei rund 180 000.

Fotostrecke


Flüchtlinge in Deutschland während und nach dem Zweiten Weltkrieg:

(Fotos: Bundesarchiv, Wikipedia)

1. Reihe von links nach rechts:
1952: Meldestelle Cuno-Fischer-Straße in Berlin für Sowjetzonenflüchtlinge.
Juni 1945: In Berlin warten diese Flüchtlinge auf ihren weiteren Transport.
Sommer 1948: Mit Frau und Kindern zieht dieser Mann über die Strassen Nordwestdeutschlands.

2. Reihe von links nach rechts:
Ungarn, Juli 1944: In langen Trecks fahren Pferdefuhrwerke der sogenannten Schwarzmeerdeutschen in Richtung Deutschland.
August 1947: Frauen und Mädchen, die durch die Kriegswirren in sowjetische Kriegsgefangenschaft kamen, im Heimkehrlager Polte Nord.
1948: Deutsche Umsiedlerinnen aus der Sowjetunion und Jugoslawien bei ihrer
Ankunft im Durchgangslager Gronenfelde.

Emigration und Flucht auf dem Gebiet Österreichs

Österreich-Ungarn vor 1918
Die für große Bevölkerungsteile schlechte soziale Lage sowohl in den landwirtschaftlichen Gebieten Österreich-Ungarns als auch in den rasant wachsenden Städten durch Landflucht und Binnenwanderung führte nach 1867 zu einer immer stärkeren Emigration auf den amerikanischen Kontinent. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Zuwanderung aus Böhmen in den Wiener Raum erwähnenswert. Zwischen 1876 und 1910 wanderten rund 3,5 Millionen Menschen aus - davon

  • rund drei Millionen in die USA,
  • 358 000 nach Argentinien und
  • 158 000 nach Kanada.

Republik Österreich nach 1918
In der Zwischenkriegszeit kam es nach 1919 durch die triste wirtschaftliche Lage zu einer neuen Auswanderungswelle - vor allem aus Ostösterreich. Allein zwischen 1921 und 1938 wanderten 60 000 Burgenländer überwiegend in die USA aus. Nach dem „Anschluss“ 1938 verließen tausende politisch Verfolgte ihre Heimat. Von den gut 200 000 österreichischen Juden konnten 125 000 dem Rassenwahn des Nationalsozialismus, überwiegend in die USA und nach Großbritannien, aber auch in zahlreiche andere sichere Staaten entkommen.

Republik Österreich nach 1945
In den ersten Jahren nach 1945 stand die wieder entstandene Republik nicht nur vor Problemen des Wiederaufbaues des regional schwer zerstörten Landes. Auch die Eingliederung von fast einer halben Million „Volksdeutschen“ aus

  • Jugoslawien (159 000),
  • Rumänien (104 000) und
  • Ungarn (35 000) sowie
  • 181 000 „Sudetendeutschen“ aus der Tschechoslowakei

stellte eine große Herausforderung dar. Obwohl im Jahr 1946 rund 160 000 dieser Flüchtlinge und Vertriebenen in die westlichen Besatzungszonen Deutschlands weitertransportiert wurden (in der sowjetisch besetzten Zone waren bis 1947 allein 900 000 Vertriebene aus der Tschechoslowakei eingetroffen), blieb die Versorgung mit Nahrung, Kleidung und Wohnraum eine riesige Herausforderung

Ungarischer Volksaufstand 1956
Ein Jahr nach dem Abzug der Besatzungsmächte und der Wiedergewinnung der staatlichen Souveränität kam es zur Niederschlagung des „Ungarischen Volksaufstandes“ durch sowjetische Truppen im Spätherbst 1956. Infolgedessen flohen innerhalb weniger Wochen rund 180 000 Menschen von Ungarn nach Österreich. Eine Welle der internationalen Hilfsbereitschaft und Zusammenarbeit ermöglichte es, dass binnen Jahresfrist mehr als
154 000 Ungarn in neue Aufnahmestaaten ausreisen konnten. 7 700 Flüchtlinge kehrten nach Ungarn zurück. Etwas mehr als 18 000 blieben in Österreich und konnten weitestgehend problemlos integriert werden.

„Prager Frühling“ 1968
Zwölf Jahre später, im August 1968, befanden sich bei der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 66 000 tschechoslowakische Staatsbürger als Touristen, die vorerst die Heimreise nicht wagten, in Österreich. Weitere 96 000 Flüchtlinge überquerten die österreichische Grenze nach dem 21. August. Von diesen reisten bis 23. Oktober 1968 129 000 in die Tschechoslowakei zurück. 12 300 reisten sofort in andere Länder aus. Rund 12 000 verblieben vorübergehend länger in Österreich, wanderten in andere Länder aus oder suchten um Asyl in Österreich an.

Flüchtlingsstrom aus Polen
In den Jahren 1980 und 1981 (im Dezember 1981 kam es zur Verhängung des Kriegsrechtes in Polen) stieg der Flüchtlingsstrom aus Polen (120 000 bis 150 000) rasant an. Allerdings befanden sich Ende 1983 nur noch 4 000 Polen in der Bundesbetreuung. Nahezu alle Flüchtlinge aus Polen nutzten Österreich als Korridor. Die tatsächlichen Zielländer waren die USA, Kanada oder auch Australien.

Der Zerfall Jugoslawiens
Die Sezessionskriege zwischen 1991 und 1995 und im Jahr 1999 im zerfallenden Jugoslawien brachten wieder zehntausende Flüchtlinge nach Österreich, wobei jene aus der Teilrepublik Bosnien-Herzegowina mit mehr als 90 000 den größten Anteil stellten. Ein großer Teil dieser Menschen blieb in Österreich und wurde in den Jahren 2002 bis 2005 eingebürgert.

Kleinere Flüchtlingsbewegungen aus Chile, Uganda und Vietnam in den siebziger Jahren erreichten Österreich, blieben aber zahlenmäßig weit hinter den bereits erwähnten Wellen zurück.

Conclusio

Die Migrations- und Fluchtbewegungen innerhalb des europäischen Kontinentes haben sich nach 1950 gegenüber den zwei Jahrzehnten zuvor quantitativ in Grenzen gehalten - von den Fluchtbewegungen aus der DDR bis 1961 und den jugoslawischen Sezessionskriegen zwischen 1991 und 1995 sowie 1999 abgesehen.

Von letzteren war Österreich, als ein Zielland von Flüchtlingen, direkt betroffen. In Westeuropa nahmen damals nur Deutschland und Schweden mehr Flüchtlinge als Österreich auf. Diese, bis zu diesem Zeitpunkt, größte Herausforderung Österreichs im Umgang mit Flüchtlingsbewegungen konnte unter anderem durch eine „De-facto-Aktion“ bewältigt werden. Da diese Menschen nicht als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention galten, wurde ihnen seitens Österreichs ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht auf bestimmte Zeit gewährt.

Diese Aktion wurde von 1992 bis 1998 betrieben. In diesen sechs Jahren konnten von den insgesamt rund 90 000 Bosniern (nach Österreich flohen insgesamt 115 000 Menschen aus Bosnien-Herzegowina, Kroatien und dem Kosovo), die nach Österreich flohen, 60 000 dauerhaft integriert werden.

Hofrat Prof. Dr. Wolfgang Etschmann ist Historiker und Forscher an der Landesverteidigungsakademie.

 

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