• Veröffentlichungsdatum : 11.08.2021

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Militärische und zivile Ausbildung

Gottfried Reiter

Die gegenseitige Anrechnung von zivilen und militärischen Ausbildungen soll Doppelgleisigkeiten vermeiden, die Attraktivität einer Miliztätigkeit beim Österreichischen Bundesheer erhöhen und Synergien für die Wirtschaft schaffen. Damit wird die militärische Führungs- und Fachausbildung für zivile Organisationen sicht- und nutzbar.

Ausbildung ist das Vermitteln von Wissen und Fertigkeiten. Am Ende einer Ausbildung wird die erworbene Qualifikation durch ein Dokument bescheinigt. Dass eine militärische Ausbildung durch zivile Institutionen anerkannt wird, ist aber nicht selbstverständlich. Mit dem Bologna- Prozess, der europaweiten Vereinheitlichung von Studiengängen und -abschlüssen, hat sich in der zivilen Ausbildung ein System der gegenseitigen Anrechnung etabliert. An der Schnittstelle zwischen der militärischen und zivilen Ausbildung kam es erst in den vergangenen Jahren zu einer Bewegung. Was durch wen angerechnet werden kann, steht dabei im Mittelpunkt. In einigen Ausbildungsbereichen des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH) gibt es diese Möglichkeit bereits. Vorweg müssen grundlegende Begriffe geklärt werden, die immer wieder widersprüchlich verwendet werden und zu Missverständnissen führen. Diese sind formales Lernen, informelles Lernen und non-formales Lernen.

Formales Lernen

Formales Lernen ist ein Lernprozess, der in einem organisierten und strukturierten, speziell dem Aneignen von Wissen dienenden Kontext stattfindet. Typischerweise führt dieses Lernen zum Erwerb einer Qualifikation, die in der Regel in Form eines Zeugnisses oder eines Befähigungsnachweises bestätigt wird. Formales Lernen findet in Bildungssystemen statt; jenen der allgemeinen Bildung, der beruflichen Erstausbildung und der Hochschulbildung. Daraus ergibt sich, dass dieser Wissens- und Kompetenzerwerb eher fremdgesteuert, durch einen Lehrplan geregelt und mit festen Abschlüssen versehen ist.

 

Informelles Lernen

Informelles Lernen ist ein Lernprozess, der im Alltag – am Arbeitsplatz, im Familienkreis oder in der Freizeit – stattfindet und in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung nicht organisiert oder strukturiert ist. Beispiele für Lernergebnisse, die durch informelles Lernen erzielt werden, sind Fähigkeiten, die man sich durch Lebens- und Berufserfahrung aneignet. Das können am Arbeitsplatz gewonnene Fähigkeiten, IKT-Fertigkeiten, während eines Auslandseinsatzes erworbene Sprachkenntnisse oder außerhalb des Arbeitsplatzes erlangte Fähigkeiten sein. Diese Art des Lernens erfolgt nicht unbedingt gesteuert und planvoll und lässt sich auch nicht bewusst vollziehen.

Non-formales oder nichtformales Lernen

Non-formales Lernen ist ein Lernprozess, der in einer planvollen Tätigkeit (in Bezug auf Lernziele und Lernzeit) stattfindet und bei dem der Wissens- und Kompetenzerwerb in einer bestimmten Form unterstützt wird (z. B. durch ein Verhältnis von Ausbilder und Lernenden). Typische Beispiele für diese Form sind innerbetriebliche Weiterbildungen, mit denen Unternehmen die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter verbessern. Dieser Lernprozess wird eher selbstgesteuert vollzogen, da die Person in der Regel mitentscheidet, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Ausmaß sie Kurse, Fortbildungen und Ähnliches besucht. Um einordnen zu können, worum es geht, müssen zwei grundlegende Begriffe verstanden werden. Es handelt sich hier um die „Anerkennung“ und die „Anrechnung“.

 

Anerkennung (früheren Lernens)

Es bedeutet, dass beim Zugang zu einer Bildungseinrichtung die bereits erzielten Lernergebnisse anerkannt werden. Damit bestätigt eine zugelassene Stelle, dass eine Person die anhand eines relevanten Standards gemessenen Lernergebnisse erzielt hat. Zum Beispiele sind die Matura oder Berufsreifeprüfung als Nachweis für die Universitätsreife gesetzlich anerkannt.

 

Anrechnung

Anrechnung bedeutet hingegen, dass bereits erbrachte Leistungen gutgeschrieben und nicht nochmals erbracht werden müssen. Das kann zu einer Ausbildungszeitverkürzung führen. Dazu folgendes Beispiel: Mustermann hat den FH-Diplomstudiengang „Militärische Führung“ an der Theresianischen Militärakademie (TherMilAk) im Jahr 2002 abgeschlossen. Im Jahr 2010 möchte er ein Doktoratsstudium an einer Universität absolvieren. Die Universität anerkennt seinen Abschluss des FH-Diplomstudienganges und prüft in einem weiteren Schritt die Vergleichbarkeit seiner bisherigen Ausbildungen mit seinem geplanten Studium. Mustermann ist sich noch nicht sicher, ob er sein Studium in Soziologie oder Politikwissenschaft aufnehmen möchte. Daher reicht er beide Studienrichtungen zur Prüfung ein. Die Universität prüft für beide Bereiche, welche Lehrveranstaltungen des FH-Diplomstudienganges für das jeweilige Studium angerechnet bzw. nicht angerechnet werden können. Wochen später erhält Mustermann das Ergebnis: Für Politikwissenschaft muss er 47 ECTS (European Credit Transfer and Accumulation System)-Punkte und für Soziologie 55 ECTS-Punkte aus dem Bachelor- und Masterstudium nachholen. Der Rest wurde angerechnet. Darüber hinaus muss er noch zusätzlich 30 ECTS-Punkte für das Doktoratsstudium absolvieren.

Vergleichssysteme

Anrechnungen, sofern sie nicht gesetzlich genormt sind, werden individuell durch die Bildungseinrichtung geprüft und festgelegt. Dabei sollen die bereits vorhandenen Lernergebnisse dem Inhalt und Umfang nach zu 80 Prozent mit den zu erwerbenden Lernergebnissen übereinstimmen. Um die Anrechnung und Vergleichbarkeit von Qualifikationen zu erleichtern, gibt es unterschiedliche Systeme und Instrumente.

European Credit Transfer and Accumulation System (ECTS)

Das ECTS dient der Anerkennung und Übertragung von individuellen hochschulischen Ausbildungen zwischen Bildungseinrichtungen in Form von Credits (Punkten). Das ECTS ist in diesem Sinne ein europäisches Erfassungssystem für zu erbringende und erbrachte Leistungen von Studierenden in Studiengängen. Sie sollen dadurch international lesbar und vergleichbar werden und damit die Anrechnung erleichtern. Die Anrechnung von geleisteten Credits obliegt der jeweiligen Bildungseinrichtung, die jeden Antrag individuell prüft (siehe Beispiel Mustermann). Sowohl die TherMilAk als auch die Landesverteidigungsakademie (LVAk) können als postsekundäre Hochschuleinrichtungen Credits vergeben. Das ECTS wird zurzeit am Fachhochschul-Bachelorstudiengang (FH-BaStg) und FH-Masterstudiengang Militärische Führung (FH-MaStg MilFü) angewandt.

Vocational Education and Training

Das „Gegenstück“ zum ECTS ist das Leistungspunktesystem European Credit System for Vocational Education and Training (ECVET) der beruflichen Aus- und Weiterbildung. ECVET basiert auf einer strukturierten Beschreibung einer Qualifikation in so genannten „Einheiten von Lernergebnissen“. Lernergebnisse sind Aussagen darüber, was eine Person nach Abschluss eines Lernprozesses weiß, versteht und vermag. Wo und wie lange jemand etwas gelernt hat, tritt in den Hintergrund. Lernergebnisse werden als Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen definiert. Damit können individuelle Lernergebnisse der beruflichen Aus- und Weiterbildung zwischen beteiligten Partnern transferiert werden. Die Etablierung des Systems steckt in Österreich noch in den „Kinderschuhen“. In den kommenden Jahren ist ein Ausbau geplant.

Kompetenzbilanz und Anrechnungskatalog

Seit 2013 ist auf Basis des § 42 (3) Wehrgesetz 2001 „Ausbildung und Kompetenzbilanz“ Soldaten bei der Beendigung eines Präsenz- oder Ausbildungsdienstes ein Nachweis über die in der militärischen Ausbildung abgeschlossenen Ausbildungsziele und die damit erworbenen Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten auszustellen. In dieser Kompetenzbilanz finden sich vornehmlich gesetzlich genormte Ausbildungen wie Sanitäts- oder Führerscheinausbildungen. Nicht gesetzlich geregelte Ausbildungsinhalte (Wachausbildung, Basisführungsausbildung usw.) können, müssen aber nicht, von einer zivilen Stelle angerechnet werden.

 

Grundausbildungen

Dienstbehörden können an anderen Bundesdienststellen oder Einrichtungen des Bundes erfolgreich absolvierte Ausbildungsmodule, Kurse und Prüfungen gänzlich oder teilweise anerkennen. In Frage kommen schlussendlich nur jene, die nachweislich den festgelegten Ausbildungszielen und -inhalten entsprechen. Einen Schritt weiter ging die Heeresunteroffiziersakademie (HUAk). In einer seit 2018 bestehenden Kooperation mit dem Wirtschaftsförderungsinstitut Oberösterreich wird eine militärisch erworbene Führungskompetenz einer zivilen Zertifizierung unterzogen. Basis für die Zertifizierung zur „Qualifizierten Führungskraft“ sind die Lernergebnisse des Stabsunteroffizierslehrganges Miliz (Modul 1 und 3) und der Abschluss eines gesonderten Vorbereitungsprogrammes für die Zertifizierungsprüfung an der HUAk. Zielgruppe des Programmes sind vor allem Stabsunteroffiziere der Miliz. Es können aber auch Milizoffiziere oder Berufssoldaten mit zumindest gleicher Führungskompetenz das Angebot nutzen.

 

Nationale Qualifizierungsrahmen

In der Gesamtthematik darf der Nationale Qualifizierungsrahmen (NQR) nicht unerwähnt bleiben. Dieser dient dem Vergleich von Qualifikationen, aber nicht der gegenseitigen Anrechnung. Ziel des NQR ist es, als Transparenz- und Übersetzungsinstrument zwischen den verschiedenen Qualifikationen und Niveaus der einzelnen Bildungsbereiche in Österreich zu fungieren. Die Beschreibung und Zuordnung zu den acht NQR-Qualifikationsniveaus erfolgen auf Basis von Lernergebnissen. Durch die Zuordnung zu einer bestimmten Stufe ergibt sich unter anderem kein Anspruch auf die nächsthöhere Stufe, auf eine finanzielle Abgeltung oder sonstiger Besserstellung. Seit Dezember 2018 ist die MBUO-Ausbildung dem NQR 4 (vergleichbar mit AHS-Reifeprüfung, Berufsreifeprüfung oder Lehrabschluss) gleichgestellt. Im Dezember 2019 erfolgte die Zuordnung der StbUO-Ausbildung zum NQR 5 (vergleichbar mit BHS-Reifeprüfung oder Diplom). Weitere Zuordnungen zum NQR, beispielsweise des „Höheren UO“ zu NQR 6, sind noch offen. Das liegt vor allem daran, dass derzeit weitreichende Reformen der hochschulischen und beruflichen Weiterbildung im Unterrichts- und Wirtschaftsministerium in Bearbeitung sind. Im Wesentlichen steht der Versuch im Vordergrund, den Lehrberuf bzw. die Berufsausbildung zu attraktiveren und die Durchlässigkeit des Bildungssystems zu erhöhen. Konkrete Dokumente sind derzeit noch nicht verfügbar. Es ist daher offen, welche Möglichkeiten sich durch die geplanten Reformen der Weiterbildung und Berufsausbildung für die Akademien und Schulen (hochschulischer vs. beruflicher Weiterbildung) ergeben werden.

Fazit

Anerkennungen und Anrechnungen obliegen immer der jeweiligen Bildungseinrichtung. Sie werden individuell geprüft, sofern keine Kooperationsvereinbarung oder sonstige gesetzliche Regelungen zwischen den Bildungseinrichtungen besteht. Der Nationale Qualifizierungsrahmen ist kein Instrument der gegenseitigen Anrechnung, sondern des Vergleiches von Ausbildungen. Innerhalb dem Österreichischen Bundesheer (LVAk, TherMilAk) wird bereits mit ECTS, Kompetenzbilanzen oder Anrechnungen gearbeitet. Darüber hinaus gibt es Initiativen, die die militärische Führungskompetenz zivil zertifizieren lassen (HUAk mit Wirtschaftsförderungsinstitut Oberösterreich). Gegenseitige Anerkennungen und Anrechnungen von Qualifikationen werden auch weiterhin einen wesentlichen Stellenwert in der Bildungslandschaft haben. Das BMLV ist bemüht, mit den Sozialpartnern der Wirtschaft zu kooperieren, um die Anerkennung der militärischen Qualifikationen im zivilen Bereich zu festigen. Neben der potenziellen Erweiterung gesetzlich normierter Anrechnungen und Attraktivierungsmaßnahmen soll die erworbene Führungskompetenz des ÖBH in den Fokus rücken. Ebenso soll der erzielbare Mehrwert und Gewinn der Führungsausbildung des ÖBH für die jeweilige zivile Organisation sichtbarer werden. Es geht nicht nur um das gegenseitige Anrechnen von Ausbildung, sondern auch um die Anerkennung und die Wertschätzung von Leistungen, die für das Allgemeinwohl geleistet werden.

Oberstleutnant dhmfD Mag.(FH) Dr. Gottfried Reiter; Referatsleiter in der AusbA/Grp AusbW.

 

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