• Veröffentlichungsdatum : 06.10.2016
  • – Letztes Update : 07.10.2016

  • 8 Min -
  • 1553 Wörter

"Halten wir zusammen"

red

Interview mit dem Bürgermeister von Nickelsdorf, Ing. Gerhard Zapfl

Nickelsdorf hat in der Vergangenheit und jüngsten Gegenwart aufgrund seiner besonderen Lage flüchtenden Personen Hilfe geleistet wie 1956 beim Ungarn-Aufstand und 1989, als 40.000 DDR-Flüchtlinge versorgt wurden. Mitte September 2015 konzentrierte sich der Flüchtlingsstrom aus dem Nahen Osten auf den Raum Nickelsdorf.

Der Bürgermeister von Nickelsdorf, Ing. Gerhard Zapfl, reagierte mustergültig auf die für seine Gemeinde extremen Herausforderungen. Von einer „Eskalation“ war die Rede. 1.770 Einwohner der Gemeinde standen täglich bis zu 15.000 Hilfe- und Schutzsuchenden gegenüber. Das mediale Interesse am Flüchtlingsstrom war hoch und ist bis heute aufrecht. Auch Anfragen und Berichte wie aus Brasilien und ein Beitrag in der New York Times gehören dazu.

Barthou (B): Herr Bürgermeister, vor ungefähr einem Jahr war das Schwergewicht des Flüchtlingsstroms im Raum Nickelsdorf. Wie haben Sie den Beginn dieses „Ausnahmezustandes“ erlebt?

Zapfl (Z): Das Ganze ist ja bereits schon früher losgegangen. Im Juli 2015 wurden bereits die, durch die Schlepper Gekommenen, hier aufgegriffen. Diese sind in die Nova Rock-Halle gekommen, da die Räumlichkeiten im Bezirk nicht mehr ausreichten. So hat alles begonnen. Auslöser waren zwei Dinge für mich: Das eine war am Montag, den 24. August 2015, wo Schlepperbusse direkt bei der Ortseinfahrt Nickelsdorf kollidiert sind wo es Schwerverletzte gab und am Donnerstag den 27., wo man in Parndorf die 71 Toten im Kleintransporter gefunden hat. Im Anschluss daran kam der Sager von Merkel und Faymann „Sie sollen kommen“. Wobei zu dieser Zeit hier noch eine positive Grundstimmung vorgeherrscht hat. Man hatte die Fakten, die Stimmung nach den 71 Toten, die Bilder vom Ostbahnhof in Budapest im Kopf und war eigentlich froh, diesen Menschen Hilfe in Nickelsdorf anbieten zu können.

Am 5. September 2015 ging es los. Binnen kürzester Zeit wurde die Infrastruktur von Freiwilligen am Bahnhof hochgefahren mit Versorgung, Lebensmittel, Kleiderspenden. Das ist rapid gegangen. Menschen aus ganz Österreich, speziell aus dem Osten, haben hier aktiv mitgearbeitet. Viele Nickelsdorfer Freiwillige waren dabei - worauf ich besonders stolz bin. Auch jene 25 Asylwerber, die im Juli vergangenen Jahres nach Nickelsdorf gekommen sind, waren aktiv dabei. Sie haben durch ihre Sprache mithelfen können, Bekleidung und Lebensmittel ausgegeben sowie im ganzen Ort den Müll weggeräumt, der zurückgeblieben ist.

B: Was waren die nächsten Schritte seitens der Gemeinde? War irgendwann der Punkt erreicht, wo man gesagt hat, „In dieser Art und Weise geht es nicht mehr weiter“?

Z: Am Wochenende nach dem 5. September 2015 war es eigentlich vorbei. Jene in Budapest waren weg bzw. durchgereist. Es war einige Tage Ruhe. Dann, wie vorher bereits angesprochen, kam diese Einladung und mit ihr der nächste Ansturm. Ein Höhepunkt war Freitag der 11. September, also fast eine Woche danach. Das werde ich nie vergessen. Auf einmal hatte ich 15.000 Flüchtlinge im Ort, die aufgrund der Anzahl nicht mehr abtransportiert werden konnten. Genau hier am Dorfplatz [zeigt aus seinem Bürofenster] vor der Gemeinde war alles voll mit Menschen, verteilt über den ganzen Ort. Ich war verzweifelt. Das sorgt für Unwohl.

Im Nachhinein kann man sagen, es ist nichts passiert, es ist gut gegangen. Da ist man immer gescheiter. In diesem Moment war ich schon leicht nervös. Ich habe einen offenen Brief an den damaligen Bundeskanzler und die damalige Innenministerin geschrieben, mit dem Ersuchen um Hilfe. Allerdings ohne Reaktion. Ich habe dann den Landeshauptmann angerufen, der wiederum kontaktierte den damaligen ÖBB-Chef Christian Kern. So habe ich binnen kürzester Zeit Busse und Züge bekommen, um die Situation zu entschärfen.

B: Ist dabei die Aussage entstanden, dass Nickelsdorf mit der „Menscheninvasion restlos überfordert“ sei?

Z: Das war am 11. September 2015. Sie müssen sich vorstellen, wir sind eine Gemeinde mit 1.800 Einwohnern und auf einmal habe ich 15.000 Fremde mitten im Ort. Der Vorteil in Nickelsdorf während der ganzen Zeit war, dass ich die Bevölkerung immer über die aktuelle Situation informiert habe - über Schaukästen, Postwurfsendungen, unsere App, die Homepage, Facebook etc. Ich habe immer versucht, den aktuellen Stand wiederzugeben soweit mir dieser bekannt war. So ist es gelungen, den sozialen Frieden zu bewahren, der mir das größte Anliegen in meiner politischen Verantwortung ist.

B: Wie haben Sie das Bundesheer wahrgenommen?

Z: Das Bundesheer ist im September gekommen und war sofort überall sehr willkommen. Nickelsdorf hatte von 1990 bis 2007 (Fall der Schengen-Grenze; Anm.) den Assistenzeinsatz zur Grenzraumüberwachung. Danach gab es noch einige Jahre den sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatz. Das heißt, in Nickelsdorf war man es gewohnt, das Bundesheer und seine Soldaten präsent zu haben. Als das Bundesheer wieder gekommen ist, waren alle froh, weil dadurch die subjektive Sicherheit wieder eingekehrt ist.

B: Was hat gut funktioniert?

Z: Ich glaube die Abstimmung wo, wann und wie Bundesheer und Polizei einzusetzen sind, ist heute wesentlich besser. Zurzeit funktioniert es klaglos. Das Bundesheer ist mit Streifen im Ort präsent. Es geht für die Bevölkerung nicht nur die Hilfe- und Schutzsuchenden, die hier hereinkommen, sondern auch um die Sicherheit im Ort. Wir haben, und da muss ich auf Holz klopfen, seit geraumer Zeit in Nickelsdorf keine Kriminalität! Das muss auch einmal gesagt werden.

B: Wie sehen Sie das Grenzzaunmanagement? Wie stehen Sie zu diesen mobilen Zäunen und Vorrichtungen?

Z: Das Ganze hat zwei Seiten. Zu Jahresbeginn 2016 wurde gesagt, es wird ein Stück Zaun kommen. Ich habe mich gefragt: „Bringt dieser Zaun überhaupt etwas?“ Es wurde mir gesagt, dass man eventuelle Flüchtlingsströme damit kanalisieren möchte. Unter Annahme der Mengen an Flüchtlingen, die vergangenes Jahr hier waren, glaube ich nicht, dass der Zaun einen Sinn macht. Auf der anderen Seite beunruhigt er die Menschen.

Die Gemeinde Nickelsdorf hat im September 2014, vor genau zwei Jahren, „25 Jahre Fall des Eisernen Vorhanges“ gefeiert. Nun baut man ihn wieder auf. Das ist eine Situation, die ein gewisses Unverständnis mit sich bringt, aufgrund der aktuellen Situation aber real ist. Dieser Grenzzaun hat eine Symbolik, die sagt: „Ja, wenn die Situation notwendig ist, dann wird dieser Zaun aufgebaut“. Meine Meinung ist, wenn eine Welle wie vergangenes Jahr wieder käme, kann man diese nicht mit dem Zaun aufhalten. Das weiß jeder! Kurz zusammengefasst: Dieser Zaun wird das Problem nicht lösen. Auf der anderen Seite sehe ich das komplette Grenzmanagement als Signal in die Richtung der flüchtenden Menschen: „Halt, Nickelsdorf ist nicht leicht zu überqueren, unregistriert oder illegal“.

B: Gab es im vergangenen Jahr gefährliche oder kritische Situationen?

Z: Bleiben wir bei kritisch. Gefährlich war es nicht. Das muss ich klipp und klar sagen. Kritisch war der 11. September 2015, wo diese vielen Leute da waren. Das Gleiche geschah noch einmal am Montag, den 14. September. Da war eine ähnliche Situation. Am 14. hat man jedoch bereits gesehen, dass drei Tage zuvor nichts passiert ist. Darum wussten wir: „Okay, das kann man bewältigen“. Dennoch war die Situation anders. Zum Beispiel sind nicht nur Taxis aus der Umgebung gekommen, um die Fremden zu ihrem Zielort Bahnhof oder Grenze zu transportieren, sondern es wurden auch Taxis aus Wien zugelassen. Da waren mehrere hundert Taxis im Ort. Das kann man sich gar nicht mehr vorstellen. Das war für die Gemeinde ein großer Segen, weil vieler dieser Flüchtlinge mit Taxis weggefahren sind. Das trug wesentlich zur Deeskalation bei. Über die rechtliche Komponente will ich jetzt nicht reden. Hier ging es rein um die gelungene Deeskalation der Lage.

B: Würden Sie heute etwas anderes machen als vor einem Jahr?

Z: Wenn die Situation wieder käme, nicht. Wir haben im vergangenen Jahr den Hilfesuchenden geholfen. Bei denen standen Fluchtgründe im Vordergrund. Natürlich sind auch Personen dabei gewesen, die nicht vom Krieg verfolgt sind. Dennoch: jeder der Hilfe sucht, wird sie von uns bekommen. Das würden wir 100%ig wieder so machen. Am 5. September 2016 habe ich mich bei einem Treffen in der Gemeinde bei allen Helfern, die vergangenes Jahr dabei waren inklusive unserer Asylwerber bedankt.

B: Das heißt, Nickelsdorf ist vorbereitet.

Z: Nickelsdorf ist vorbereitet. Obwohl ich betonen will: Niemand in Nickelsdorf möchte, dass sich so eine Situation wie im vergangenem Jahr wiederholt. Darum diese ganzen Maßnahmen, die hier getroffen wurden. Fakt ist aber, dass wir fremdbestimmt sind. Das heißt, nicht nur Nickelsdorf, das Burgenland, Österreich können entscheiden, ob Flüchtlinge unterwegs sind oder nicht. Zurzeit ist es unter den Einwohnern friedlich, der Unmut ist verflogen. Das Medieninteresse ist jedoch nach wie vor groß, auch wegen dem Grenzzaunmanagement. Es hat einmal einen Sager von Josef Kirschner gegeben, der jüngst verstorben ist: „Man muss rechtzeitig drauf schauen, dass man’s hat, wenn man’s braucht.“ So kann man die Situation in Nickelsdorf beschreiben.

B: Was möchten Sie den Soldaten für den Assistenzeinsatz mitgeben?

Z: Es ist ein Einsatz für unsere Bevölkerung. Wir haben uns mit unseren Freiwilligen eingesetzt, wir haben uns in Nickelsdorf auch von der politischen Seite für unsere Bevölkerung eingesetzt, was in unserem Rahmen ist. Das österreichische Bundesheer im Assistenzeinsatz macht das auch für die österreichische Bevölkerung, nicht für Nickelsdorf, nicht fürs Burgenland. Es ist ein gutes Bekenntnis zur Solidarität innerhalb des Landes. Ich glaube, der Assistenzeinsatz und die Herausforderung an die Soldaten von den Menschen sehr geschätzt werden. Das möchte ich ihnen mitgeben. Halten wir zusammen, dann wird dieses Thema, dieser Konflikt bestmöglich zu bewältigen sein.

Politische Lösungen müssen auf anderen Ebenen getroffen werden. Wir können nur durch gemeinsames Agieren, in Österreich den besten Beitrag dazu leisten. Ich wünsche dem Österreichischen Bundesheer und speziell den Soldaten, die vor Ort sind und an der Grenze ihren Dienst verrichten, dass es friedlich und konfliktfrei bleibt und vor allem zwischenfall- und unfallfrei.

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