• Veröffentlichungsdatum : 20.10.2016

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Der Syrische Bürgerkrieg - Update 20 10 2016

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Seit Anfang August spitzt sich der Konflikt in Syrien weiter zu. Wie zuvor berichtet, ist einer der Hauptgründe dafür die Tatsache dass weder die USA noch Russland ihre an diesem Krieg beteiligten Verbündeten unter Kontrolle haben.

Wenn es um die Seite der USA und sonstiger Westmächte geht, ist dies eigentlich wenig verwunderlich. Vor allem saudische und katarische Investitionen in die westliche Wirtschaft sind viel zu bedeutend, als dass sie ignoriert werden könnten, oder dass die Entscheidungen der Regierungen in Riyad und Doha im Falle derartig wichtiger Konflikte wie jenem in Syrien vom Westen bedeutend beeinflusst werden könnten. Wenn es um die Seite Russlands und seine Verbündeten in diesem Krieg geht, ist die Lage etwas komplizierter und wird im Folgenden noch etwas umfangreicher besprochen.

Türkische Militärintervention

Das Hauptschlachtfeld des Syrischen Bürgerkriegs bleibt der hart umkämpfte Verwaltungsbezirk Aleppo - und in diesem Gebiet fand auch das bedeutendste Novum im Zeitraum August-September 2016 statt. Am 23 August 2016, griff die Türkei in das Kriegsgeschehen in Syrien zum ersten Mal direkt mit Bodentruppen ein. Die Operation 'Euphrat Shield' verfolgt zwei Ziele: eine Vernichtung der verbliebenen Einheiten des so genannten 'Islamischen Staates' entlang der Grenze zur Türkei aber auch eine Schwächung der von der terroristischen Organisation PKK entwickelten Machstrukturen syrischer Kurden, vor allem des PYD/YPG-Konglomerats im Raum zwischen Euphrat (im Osten) und der Efrin-Enklave (im Westen).

Anfänglich nahmen lediglich die 5. Panzerbrigade (HQ Gaziantep, ausgestattet mit M60 Kampfpanzern) sowie das 106. Artillerie-Regiment an der Operation teil, sie wurden aber schon am 25. August durch die 2. Panzerbrigade (HQ Istanbul, ausgestattet mit Leopard 2A4 Kampfpanzern) und Sondereinsatztruppen des OKK (Sondereinsatzkommando der Armee) verstärkt. Diese operieren eng mit einer Vielzahl an Einheiten syrischer Aufständischer zusammen, darunter der Liwa 13, Liwa Mutassim, Furqat Sultan Murad, Liwa Suqour al-Jabal, Furqat Hamza, Jaysh at-Tahrir, Ahrar Tel Rifa'at, Liwa al-Fateh, Faylaq ash-Sham, Jabhat ash-Shamiya und kleineren Kontingenten von Harakat Noureddin az-Zenghi, Jaysh an-Nasr sowie Ahrar ash-Sham.

Luftunterstützung wird vor allem durch Lockheed-Martin F-16C/D Jagdbomber der 181. und 182. Filo geleistet, während der Luftraum weiterhin von Boeing E-7T AWACS-Maschinen der 131. Staffel kontrolliert wird.

Trotz zweier wuchtiger Gegenoffensiven der Extremisten, konnten türkische Einheiten und Einheiten der Aufständischen bis Mitte Oktober das gesamte Gebiet zwischen Azaz im Westen und Jarablus im Osten, und bis zu 20 Kilometer tief nach Syrien hinein von der IS befreien. Dies ermöglichte eine Rückkehr Tausender syrischer Flüchtlinge aus Flüchtlingslagern in der Türkei nach Syrien. Ebenfalls erzwang die Türkei - teils durch diese Militäroperation, teils durch diplomatischen Druck auf die USA - einen Rückzug der von der PYD/YPG kontrollierten kurdischen Milizen aus dem Raum westlich des Euphrat.

Der Vormarsch dieser Koalition aus türkischen und aufständischen Truppen wird zwar relativ langsam fortgesetzt, es ist aber zu erwarten, dass sie bis zum Jahresende das gesamte Gebiet bis zu 40 Kilometer südlich der türkischen Grenze und westlich des Euphrat - inklusive der wichtigen Stadt al-Bab - befreien. Gleichzeitig werden sie somit die Schaffung eines Landkorridors zwischen den von syrischen Kurden gehalten Teilen Nordwest- und Nordostsyriens unmöglich machen.

Das Rennen um Aleppo - Teil 2

Im Raum Aleppo (Stadt) verursachte die Ende Juli und Anfang August unternommene Großoffensive der JAF Koalition - bei der wieder ein Landkorridor zum belagerten Ostaleppo geschlagen werden konnte - eine massive Reaktion, vor allem seitens Teherans. Während in den Medien ausschließlich von Kampfhandlungen seitens der 'Syrisch Arabischen Armee' berichtet wird, wird das - offiziell vom Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad gehaltene Gebiet um Aleppo - schon seit zwei Jahren von den iranischen Revolutionsgarden (IRGC) kontrolliert. Dementsprechend werden alle Großkampfhandlungen auch von ihren eigenen Verbündeten - vor allem der syrischen und irakischen, aber auch libanesischen Hisbollah kontrolliert. Dazu kommen Palästinenser, der von der PFLP-GC aufgebauten Liwa al-Qods al-Filistini. 

Gleichzeitig - auch in Folge wiederholter Zusammenstöße zwischen syrischer Hisbollah und verschiedenen IRGC-Verbündeten - wurde die Präsenz der tatsächlich dem Assad-Regime treuen Milizen bedeutend verringert. Derzeit befinden sich lediglich noch das 800. Kommando-Bataillon der Republikanischen Garde, das 113. Artillerie-Regiment und die Kommando-Brigade der Ba'ath Partei in West- und Südaleppo. In der ersten Augusthälfte, verstärkten die Iraner ihre vor Ort präsenten Einheiten wie Liwa Fatimioun (afghanische Hazara die im Iran rekrutiert wurden), Liwa Zainobioun (pakistanische Shi'a) und Katayb Hisbollah (irakische Hisbollah) durch mindestens drei Großverbände der irakischen Hisbollah nahestehenden Miliz Harakat an-Nujba. Dazu kommen die IRGC-eigene Liwa Kibbeh Nayyeh (iranische Pasdaran und Basiji) und Liwa Shuhada Tel Aran (Kurden aus Iran), und zwei Bataillone der Hisbollah/Libanon (Liwa Ridawan and Liwa Intiqam).

Anfang September wurden auch etwa 2.500 russische Söldner des privaten Militärunternehmens Wagner in den Raum Aleppo verlegt, die - falls überhaupt in der Öffentlichkeit erwähnt - als 'russische Marines' bzw. 'russische Armee' deklariert werden.

Dieses Konglomerat an Verbänden setzte zu einer Reihe chaotischer Gegenangriffe auf die Bezirke 1070 und 3000 sowie Ramousseh an, erlitt dabei aber eine herbe Niederlage nach der anderen. Erst nachdem sie fast 1.000 Tote und Verwundete zu beklagen hatten, und etwa 20 ihrer gepanzerten Fahrzeuge abgeschossen wurden, kamen IRGC-Kommandeure auf die Idee, es weiter südlich - im offenem Gelände außerhalb der Stadt zu versuchen, wo sie ihre überlegene Feuerkraft deutlich besser zur Geltung bringen können. Ein Großangriff auf das al-Bhurfah Gebiet, südlich der Artillerie-Schule, war erfolgreich. Seit 6. September 2016 ist Ostaleppo von der Außenwelt wieder abgeschnitten.

Seither ging die IRGC dazu über, die Aufständischen in Ostaleppo selbst anzugreifen. Diese Unternehmung wird durch duzende Luftangriffe der russischen Luftwaffe unterstützt - von denen allerdings bisher kein einziger den Stellungen der Aufständischen galt. Im Gegenteil: Russen, wie auch die Luftwaffe des Assad-Regimes, bombardieren ausschließlich die immer noch von etwa 275.000 Zivilisten bewohnte Teile der Stadt. Noch mehr als zuvor versuchen sie dabei vor allem die wenigen verbliebenen Spitäler, Bäckereien und Lager für Nahrungsmittel zu treffen. Dass dies auf keinen Fall durch Zufall geschieht, beweist die Tatsache, dass allein das von MSF unterstützte M10-Hospital nicht weniger als 11 Mal seit Anfang Juli getroffen wurde. Täglich sterben bis zu 70 Zivilisten in diesem Bombenhagel, fast ein Drittel davon Kinder. Das Ziel eines derartigen Vorgehens ist offensichtlich, und sollte eigentlich gut bekannt sein, denn dies ist die übliche Vorgehensweise des russischen Militärs, die auch schon in den Kriegen in Afghanistan, in den 1980er Jahren, wie auch in Tschetschenien, in den 1990er und 2000er Jahren, Anwendung fand. Dabei wird die Zivilbevölkerung durch massive militärische Angriffe entweder vernichtet oder vertrieben, damit das Gebiet für Aufständische 'unbrauchbar' gemacht wird.

Es sollte daher keine Überraschung gewesen sein, als am Abend des 19. September, die dem Assad-Regime treue syrische Luftwaffe eine Reihe heftiger Luftangriffe auf den von UN und WFP gesponserten Konvoi von 31 LKWs mit Hilfsgütern bei seiner Ankunft im Lagerhaus des Syrischen Roten Halbmonds (SARC) in Urum al-Kubra, einer von Aufständischen gehaltenen Stadt etwa 12 km westlich Aleppo, flog. Die dabei eingesetzten Sukhoi Su-24 und Aero L-39 Jagdbomber, wie auch Mi-8 Hubschrauber, vernichteten insgesamt 18 der LKWs, töteten 20 Zivilisten - darunter auch den Direktor des SARC, Omar Barakt, und vernichteten einen Großteil der Güter. Assad-treue Besatzungen der beteiligten Kampfflieger und Hubschrauber prahlten anschließend in Sozialen Medien mit ihrem 'Erfolg bei der Vernichtung eines Nusra-Konvois'. Dieser Luftangriff ist seither Gegenstand heftigster Diskussionen und Kontroversen.

Aufständische Offensive auf Hama

In einem Versuch, den Druck auf Aleppo zu verringern, eröffnete am 28. August 2016 eine Allianz, zusammengestellt aus vorwiegend tschetschenischen Jihadisten der Jund al-Aqsa, und Aufständischen der Jaysh al-Izza, eine Offensive vom Süden des Verwaltungsbezirks Idlib aus Richtung Hama.

Schon der erste Schlag dieses Unternehmens erzielte einen Erfolg: Lokale Milizen der SSNP (offiziell als 'NDF', bzw. '11. Panzerdivision' operierend), wurden derartig überrascht, dass sie ihre Stellungen panikartig verließen, und beträchtliche Mengen an Kriegsgerät, Munition und Verpflegung zurück gelassen haben, darunter fast 20 gepanzerte Fahrzeuge (vorwiegend T-72, T-62, T-55, und BMP-1).

Im weiteren Verlauf schlossen sich weitere Aufständische dieser Offensive an, darunter die AAS und FASH, was zu einem relativ schnellem Vormarsch führte: schon am 7. September, erreichten sie ein Gebiet kaum vier Kilometer außerhalb der nördlichen Bezirke der Großstadt Hama. Anders als gewohnt, kam der Vormarsch der Jund al-Aqsa auf der Ostflanke dieser Operation recht schleppend voran, vor allem weil diese eine Reihe an massiv befestigten Dörfern niederringen musste.

Die russische sowie die Luftwaffe des Assad Regimes reagierten mit heftigen Bombardements der Städte und Dörfer in Idlib, jedoch vermieden sie es größtenteils auch auf diesem Frontabschnitt in das Kampfgeschehen auf dem Boden einzugreifen. Ebenfalls vermochten sie es bisher nicht, auch nur einen einzigen von etwa einem Duzend Versorgungskonvois, die von der Türkei aus täglich durch den Verwaltungsbezirk Idlib und Westaleppo unterwegs zu Aufständischen und Jihadisten unterwegs sind, zu finden und zu treffen. Im Gegenteil, trotz vielfacher Berichte über 'beispiellose Luftangriffe' seitens des Assad-Regimes, berichteten Aufständische der Jaysh al-Izza bisher über lediglich einen Luftangriff mittels zwei CBUs, der sie beim Einmarsch ins Städtchen Halfaya, 16 Kilometer nördlich von Hama, am 29. August, um etwa 200 Meter verfehlte.

Trotz des offensichtlichen Erfolges, welcher das Assad-Regime dazu zwang, eine neue Verteidigungslinie direkt nördlich und westlich von Hama aufzubauen, geriet diese Offensive aber Mitte September ins Stocken. Hauptgrund dafür sind massive Differenzen zwischen syrischen Salafisten der AAS und wahabitischen Jihadisten der JAA. Anfang Oktober eskalierten diese zu einem offenen Krieg, der durch Angriffe auf lokale Kommandeure und Überfälle auf Konvois charakterisiert wird. Ebenfalls - und recht überraschend, denn bisher vermied es das Assad-Regime direkt gegen die JAA vorzugehen - eröffnete das Regime am 20. September eine Gegenoffensive. Dabei haben die aus anderen Teilen Syriens herangeführten Milizen - wie Liwa ad-Dauter (auch Liww Suqour ad-Daher), Quwwat Qalamoun, Tiger Force und Arabische Nationalgarde - just in die Ostflanke der Jihadisten getroffen, und diese bisher etwa sechs Kilometer zurückgedrängt.

Russischer Schlamassel im Iran

Während Russland noch im Juni versuchte, sein Luftwaffenkontingent in Syrien zu verringern, fand sich Moskau im August gezwungen dieses wieder zu verstärken. Nicht nur die Zahl der in Syrien operierenden Hubschrauber wurde erhöht, Mitte September wurden auch wieder mindestens acht Sukhoi Su-25 Jagdbomber der VKS nach Syrien verlegt. Eine weitere damit verbundene - und potentiell sehr wichtige - Entwicklung wurde dabei von Moskau aber selbst verhindert.

Am 15. August 2016, landeten insgesamt sechs Tupolew Tu-22M-3 und sechs Sukhoi Su-34 auf dem Stützpunkt Nojeh, nahe Hamadan, im Iran (offiziell als 'Tactical Fighter Base 3', TFB.3). Da der Staatsvertrag Irans jegliche Stationierung fremder Truppen auf dem iranischen Boden untersagt, sollten ihre Operationen von Nojeh aus 'streng geheim' bleiben.

Trotzdem machte das russische Verteidigungsministerium diese Verlegung mittels in Sozialen Medien veröffentlichten Fotos und Videos publik. Selbstverständlich verursachte dies eine Welle der Entrüstung im Iran - umso mehr, als bekannt wurde, dass die auf Nojeh stationierten Bomber keine Einsätze zur Unterstützung der um Aleppo kämpfenden iranischen Truppen, sondern zu Show-Angriffen auf 'IS in Raqqa' eingesetzt werden, bei denen allerdings ausschließlich Duzende unbeteiligte Zivilisten massakriert wurden.

Unter dem Druck der Öffentlichkeit, blieb der iranischen Regierung keine andere Lösung, als die VKS kurzerhand des Landes zu verweisen. Alle russischen Flugzeuge und Bodenbesatzungen verließen Nojeh bis 23. August.

Um diese Entwicklung vollständig zu verstehen, muss die Geschichte der Beziehungen zwischen Moskau und Teheran in den letzten 20 Jahren betrachtet werden. Generell werden Iran und Russland als 'alliierte' betrachtet und bezeichnet. Tatsächlich sind die Beziehungen zwischen den zwei Ländern von beträchtlichen Spannungen, Misstrauen und teils offener Feindschaft gekennzeichnet.

Eine der wichtigsten Ursachen für Probleme ist, dass Iran schon seit Anfang der 1990er Jahre versucht, moderne Kampfflugzeuge und Fliegerabwehr-Systeme von Russland zu kaufen. Bisher weigerte sich Moskau selbst dann zu liefern, wenn die Iraner bis zu 50 Prozent des bestellten Geräts im Voraus bezahlten. Selbst bei der Bestellung von S-300 Fliegerabwehr-Raketen verzögerte Moskau jahrelang die Lieferungen. Obwohl schon 2007 bestellt, wurden diese erst im Frühjahr dieses Jahres geliefert, und auch dann erst, als Teheran einen vollständigen Stopp weiterer militärischer Kooperation verhängte. Andererseits verursachten russische Fehler milliarden-teure Verzögerungen beim Bau von zwei Nuklearreaktoren in Bushehr, und Moskau verbietet dem Iran weiterhin den Transport seiner Ölbohranlagen über russische Flüsse und Kanäle zum Kaspischen Meer.

Die Genehmigung Teherans für eine Stationierung russischer Bomber auf dem Stützpunkt Nojeh war daher ein weiterer Versuch Irans, die Beziehungen zu Moskau zu einer echten Militärallianz zu erweitern - und wieder einmal schlugen diese fehl.

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Ihre Meinung

Meinungen (1)

  • STATTMANN Gerd // 24.10.2016, 19:50 Uhr Gratulation zur
    - Online version des Truppendienst.com
    -zum neuen Layout
    -aber vor allem zur Idee mit den Updates zum "Bürgerkrieg" in Syrien!
    Berg Heil aus Saalfelden, STATTMANN Gerd!