• Veröffentlichungsdatum : 31.10.2018
  • – Letztes Update : 02.11.2018

  • 19 Min -
  • 3774 Wörter
  • - 30 Bilder

AKW Zwentendorf - Zahlen, Fakten, Anekdoten

Gerold Keusch

Am 5. November 1978 - vor mittlerweile 40 Jahren - entschieden sich die Österreicher in einer Volksabstimmung gegen die friedliche Nutzung der Atomenergie. Eine knappe Mehrheit entschied damals, dass das Atomkraftwerk Zwentendorf nicht in Betrieb genommen wurde und besiegelte dessen Schicksal als Industrieruine des 20. Jahrhunderts.

„Im geschichtereichen Land am Strome ist ein neues Symbol weithin sichtbar entstanden. Das Kernkraftwerk Zwentendorf ist ein mächtiges Wahrzeichen geworden, das Österreichs Eintritt in das Zeitalter der Kernenergie ankündigt!“  So endet der Film, der den Besuchern des nie in Betrieb gegangen Atomkraftwerkes Zwentendorf am Beginn einer Führung durch dieses gezeigt wird. Wie in dem Film, der die Planungs- und Baumaßnahmen des einzigen in Österreich errichteten Atomkraftwerkes (AKW) beschreibt, wurde das AKW Zwentendorf tatsächlich zu einem österreichischen Symbol, wenn auch in einem anderen Sinn.

Im Österreich der 1960er herrschte eine industrielle Aufbruchsstimmung, die von den Großparteien SPÖ und ÖVP, aber auch von der Mehrheit der Bevölkerung quer durch alle Klassen und ohne Rücksicht auf soziale oder politische Zugehörigkeit mehrheitlich begrüßt wurde. Einen ersten Dämpfer erlitt diese Philosophie mit der „68er-Generation“. Erstmals wurden Wachstum und Konsum von Teilen der Bevölkerung kritisch betrachtet und die gesellschaftlichen Normen hinterfragt.

Die Krise des Jahres 1973, die auch als Ölkrise bezeichnet wird, dämpfte die Lautstärke der kritischen Stimmen. Dafür wurden jene, die die Notwendigkeit einer möglichst autarken Energie- und Stromproduktion thematisierten umso lauter. Um die angestrebte Autarkie zu erreichen, sollte auch die Kernkraft genutzt werden. Bereits in den 1960er Jahren wurde ein Energieplan für Österreich erstellt, der neben dem Bau von Wasserkraftwerken auch drei Atomkraftwerke vorsah. Das Erste hätte in Zwentendorf, das Zweite in St. Pantaleon (etwa 15 km östlich von Linz) und das Dritte in St. Andrä im Kärntner Lavanttal entstehen sollen. Bereits davor waren in den 1960er Jahren drei Forschungsreaktoren in Seibersdorf, dem Wiener Prater und in Graz errichtet worden, von denen jener in Wien noch immer in Betrieb ist, die anderen beiden jedoch am Anfang der 2000er Jahre stillgelegt wurden.

Kampf der Ökologiebewegung

Während der Wirtschaftskrise 1973 wurde bereits das zweite Jahr an dem Zwentendorfer AKW gebaut. Aus der Sicht der damaligen Entscheidungsträger zeigte die Ölkrise, dass es die richtige Entscheidung war, in Zukunft auch in Österreich auf die Atomenergie zu setzen. Die Verantwortlichen hatten jedoch die Ökologiebewegung unterschätzt. Diese war aus den Resten der „68er“ hervorgegangen und ließ sich auch von den teuren Ölpreisen nicht davon abhalten, die Atomkraft und mit ihr das politische und gesellschaftliche Establishment sowie deren wirtschaftliche Ideologie zu „bekämpfen“.

Die Proteste gegen das AKW in Zwentendorf nahmen zu und mit ihr die Störaktionen rund um den Bau des Kernkraftwerkes. Schließlich sah sich die Politik dazu gezwungen, die Österreicher darüber entscheiden zu lassen, ob sie für oder gegen die friedliche Nutzung von Atomenergie sind. Eine Volksabstimmung sollte somit klären, ob das Kernkraftwerk Zwentendorf an das Netz gehen würde. Eine demokratische Entscheidung würden die Aktivisten, die sich auch für mehr Demokratie und Partizipation aussprachen, wohl akzeptieren - so der Plan.

Der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky machte sogar seinen Verbleib als Bundeskanzler vom Ausgang der Volksabstimmung abhängig. Sollte sie negativ ausgehen, würde er zurücktreten. Kreisky verknüpfte somit eine politische Frage mit einem Wirtschafts- und Umweltthema, weshalb es bei dieser Abstimmung nicht mehr nur um die Frage der Atomenergie ging. Zusätzlich befand sich damals der Kalte Krieg in einer „heißen Phase“. Die Bedrohung durch Atomwaffen und Begriffe wie „Atomarer Overkill“ oder „Gleichgewicht des Schreckens“ waren allgegenwärtig und das „Atomthema“ hatte ein schlechtes Image.

Volksabstimmung

Am 5. November 1978 fand die Volksabstimmung über das Bundesgesetz für die friedliche Nutzung der Kernenergie in Österreich statt. Diese brachte ein knappes Ergebnis. 50,47 Prozent der Staatsbürger, die zur Wahl gingen, sprachen sich gegen die Inbetriebnahme des AKW aus. Die Ökologiebewegung, aus der später „Die Grünen“ als Wahlpartei hervorgehen sollten, hatte das politische Establishment und die wirtschaftliche Elite in einer demokratischen Abstimmung besiegt. Nur die erste Bundespräsidenten-Stichwahl im Jahr 2015 (38 Jahre später), bei der der ehemalige Bundessprecher der Grünen, Dr. Alexander Van der Bellen, 50,35 Prozent erhielt, brachte ein knapperes Ergebnis bei einer Wahl in Österreich.

Ein Blick in das Abstimmungsergebnis von 1978 zeigt, dass die große Mehrheit der Tiroler und Vorarlberger gegen die Atomenergie in Österreich waren. Obwohl in diesen Bundesländern keine Atomkraftwerke geplant gewesen wären, hatte man dort schon Erfahrungen mit der Atomlobby gemacht. Vor allem in Vorarlberg machte sich eine breite Bevölkerungsmehrheit gegen die Errichtung von AKWs in der Schweiz stark. Gehör fanden ihre Bedenken und Anliegen damals jedoch nicht. Bei der Abstimmung zu Zwentendorf fanden sie jedoch ein Ventil, um ihren Frust bezüglich der Atomenergie loszuwerden.

Die östlichen Bundesländer, die bei einem möglichen Unfall die Hauptlast der Kontamination zu tragen gehabt hätten, sprachen sich jedoch mehrheitlich für die Nutzung der Atomenergie aus. Die meisten Befürworter gab es im Burgenland und in Wien, also in jenen Bundesländern deren Landesenergieorganisationen nicht am Betrieb des Kraftwerkes beteiligt gewesen wären. Zumindest hinsichtlich der Einstellung zur Kernenergie im Jahre 1978, ist ein gewisses West-Ost-Gefälle nicht von der Hand zu weisen. Bis auf die verpflichtende Volksabstimmung zum Beitritt Österreichs zur EU - bei der eine deutliche Mehrheit für ein Ja jedoch nie gefährdet war - wurde in Österreich nie wieder von diesem direktdemokratischen Instrument gebraucht gemacht.

Konservierungsbetrieb und Neuanlauf

Im AKW Zwentendorf begann am Tag nach der Volksabstimmung der Konservierungsbetrieb. Die Anlage sollte nach dem bereits absolvierten Probebetrieb, der jedoch noch ohne Kernkraft ablief, für einen späteren „Vollbetrieb“ intakt bleiben. Dieser sollte nach einer neuerlichen Volksabstimmung ein paar Jahre später, wenn die Stimmung wieder positiver wäre, abgehalten werden.

1986 sollte es soweit sein. Die Ökologiebewegung hatte sich beim Widerstand gegen den Bau des Donaukraftwerkes in der Hainburger Au zwar konstituiert und auch „Die Grünen“ waren mittlerweile gegründet worden. Die Breite der Zustimmung war jedoch deutlich geringer als im Jahre 1978. Darüber hinaus waren auch in anderen europäischen Ländern die Kernkraftwerke ohne größere Probleme gebaut und betrieben worden und das Thema kein großer Aufreger mehr. Im Herbst sollte die neuerliche Abstimmung stattfinden, um auch in Österreich endlich Atomstrom erzeugen zu können.

Doch auch dieses Mal wurden die Pläne durchkreuzt. Am 26. April 1986 kam es zum Reaktorunfall von Tschernobyl in der Ukraine, die damals ein Teil der Sowjetunion war. Eine radioaktive Wolke erreichte zwei Wochen darauf Österreich. Der Bevölkerung, aber auch den politischen Verantwortungsträgern wurde deutlich vor Augen geführt, wie groß die Gefahr ist, die von dieser Technologie ausgeht. Ab diesem Zeitpunkt war nicht mehr an einen Betrieb des AKW Zwentendorf zu denken und dessen Schicksal als „industrielles Mahnmal“ besiegelt. Der Konservierungsbetrieb wurde beendet und noch im Jahr 1986 begann der Verkauf von Kraftwerksteilen an fünf baugleiche Kernkraftwerke in Deutschland.

Besuch im Atomkraftwerk Zwentendorf

Seit dem Jahr 2010 kann das AKW von jedermann besucht werden, wobei hier eine Anmeldung und mitunter längere Wartezeiten zu berücksichtigen sind. Eine Führung in der Anlage beginnt mit einem Film im ehemaligen Verwaltungsgebäude. Danach gehen die Besucher in das Reaktorgebäude, das über eine Sicherheitsschleuse zu betreten ist. Wenn das Kernkraftwerk Zwentendorf in Betrieb gegangen wäre, hätte man dort die Arbeiter registriert, ihnen ein Dosimeter umgehängt und sie danach in die Umkleidekabinen geschickt. In diesen, die aufgrund der offensichtlich rein männlichen Belegschaft nicht getrennt waren, hätten die Mitarbeiter ihre gesamte Bekleidung gewechselt und alle anderen Gegenstände der Außenwelt in Spinden versperrt.

Wer sich erfolgreich in den 1970er-Look-Overall gezwängt hatte, wäre zur nächsten Station weitergegangen. Bei diesem hätte man mit einem futuristisch wirkenden Gerät die Dosisleistung des Mitarbeiters beim Betreten des Arbeitsbereiches gemessen. So konnte man feststellen, wie groß die Differenz beim Verlassen gewesen wäre und ob der Mitarbeiter Strahlung aufgenommen hätte. Obwohl sie nicht so aussieht, arbeitete diese Maschinen bereits damals sehr genau. So hat ein baugleiches Gerät in einem deutschen AKW bei einem tschechischen Gast einen Alarm ausgelöst, da er eine zu hohe Strahlung aufwies. Der Grund: Er hatte ein, noch von Tschernobyl verstrahltes, Wildschwein gegessen. Weder die Strahlung des Tieres, noch jene des Mannes wäre eine Gefahr für die Gesundheit gewesen. Das Instrument misst jedoch so exakt, dass es die erhöhte Dosis dennoch registrierte.

So groß und wuchtig das AKW von außen erscheint, so gering ist die Anzahl der Personen, die darin arbeiten sollten. Für Zwentendorf war ein Fünf-Schicht-Betrieb vorgesehen, wobei eine Schicht aus 13 Personen bestanden hätte. Sieben Mitarbeiter wären in verschiedenen Funktionen nur für die Sicherheit vorgesehen gewesen, die restlichen sechs für den eigentlichen Betrieb bzw. dessen Kontrolle. Insgesamt hätten etwa 200 Personen einen Arbeitsplatz im Kernkraftwerk gefunden. Jene 65 Schichtarbeiter und etwa 135 Angestellte, die vor allem in der Verwaltung gearbeitet hätten.

Jeder Mitarbeiter des AKW hätte eine radioaktive Jahresdosis von 20 Millisievert aufnehmen dürfen. Das ist etwa die 10fache Belastung eines Menschen bei normalen Umständen und gesundheitlich nicht bedenklich. Jene, die diese Dosis aufgenommen hätten, wären nicht mehr innerhalb des Gebäudes eingeteilt worden. Zusätzlichen Urlaub oder „Strahlenfrei“ hätte es aber nicht gegeben, da die Arbeiter in einem anderen Bereich der Anlage eingesetzt worden wären. Bei normalem Betrieb ohne Störfall wäre diese Dosisleistung jedoch nicht erreicht worden.

Lebenslanger Arbeitsplatz im Generationenprojekt Kernkraftwerk

Die Mitarbeiter hätten in dem AKW einen sehr sicheren Arbeitsplatz gehabt. Vorausgesetzt es hätte keinen ernsthaften Störfall gegeben. In der Theorie hätte ein Arbeiter sein gesamtes Arbeitsleben in dem Kraftwerk verbracht. Während seiner Lehrzeit hätte er den drei- bis fünfjährigen Bau begleitet. Während der Probezeit in der Dauer von maximal zwei Jahren wäre er an der Anlage geschult worden und hätte das Innere des AKW mit seinen mehr als tausend Räumen kennengelernt.

Nach der Probephase wäre es nicht nur für den Reaktor und seine Umgebung, sondern auch für die Arbeiter ernst geworden und der Regelbetrieb hätte begonnen. Dreißig Jahre hätte dieser in Zwentendorf dauern sollen, so wie in den deutschen Schwesterkraftwerken auch. Das Abschalten des AKW und das Abkühlen der Brennstäbe hätte sowohl für das Kraftwerk als auch für die Belegschaft das Ende eines Arbeitslebens von etwa 40 Jahren bedeutet. Den Abriss des Kernkraftwerkes und den Rückbau der kompletten Anlage in den Ursprungszustand hätten die ehemaligen Arbeiter bereits aus dem Ruhestand verfolgt. So zumindest der Plan.

Die Idee, einem Mitarbeiter eine Lebensanstellung zu geben, entsprang nicht nur der damaligen Philosophie der Arbeitsmarktpolitik. Sie hatte auch praktische Aspekte. Die Kenntnis des Anlagenlabyrinths mit seinen Besonderheiten und über 1.000 Räumen war nur durch jahre-, besser jahrzehntelange Erfahrung zu gewährleisten. In der Praxis wäre diese Rechnung jedoch vermutlich nicht aufgegangen, wie die Beispiele der meisten europäischen Atomkraftwerke zeigen. So wurden die Betriebszeiten der meisten Anlagen um etwa zehn Jahre verlängert. Die Verfahren und Behördenwege bis zum eigentlichen Abriss dauern ebenfalls etwa fünf Jahre und der Abriss selbst noch einmal so lange. Aber selbst diese Rechnung stimmt nicht, da viele AKW vermutlich bis zu 40 Jahre stehen werden, bis mit deren Abbruch begonnen wird.

Diese Zeitspanne zeigt, dass fünf Generationen von der Planung eines Atomkraftwerkes bis zum Herstellen des Urzustandes involviert sind. Die erste Generation würde die Pläne schmieden und das Kraftwerk bauen, die zweite würde es betreiben, die dritte würde den Betrieb verlängern und das AKW abschalten, die vierte würde sich das AKW von außen ansehen, und erst die fünfte Generation würde die Pläne für den Abbruch ausarbeiten und diesen schließlich durchführen. Somit würden die Kinder jene Gebäude abbauen, die vom Urgroßvater erbaut wurden, dessen Vater die Verantwortungsträger gewählt hat, die den Plan für den Bau eines Atomkraftwerkes ausarbeiteten und in die Praxis umsetzten. Mit dem Abriss eines Kernkraftwerkes sind dessen Spuren jedoch noch nicht beseitigt, da die Brennstäbe mehrere tausend Jahre strahlen. Selbst im sichersten Endlager würde man sie vermutlich irgendwann einmal vergessen, weshalb sie eine "tickende Zeitbombe" für zukünftige Generationen wären.

Die Geschichte des AKW Zwentendorf verlief anders. Nachdem die Maschinen und Anlagen im Kernkraftwerk konserviert worden waren, begann für die Belegschaft eine relativ ruhige Zeit. Laut - nicht ganz ernst gemeinter - Gerüchte, soll die Zwentendorfer Fußballmannschaft noch nie so gut gespielt haben wie zwischen 1978 und 1986. Für einen Aufstieg in die Bundesliga war die Konservierungsphase jedoch zu kurz. Nach dem endgültigen „Aus“ für Zwentendorf wurde die Mannschaft schließlich in anderen Anlagen, wie dem Kohlekraftwerk in Dürnrohr, zugeteilt.

Schaltzentrale

Im Kernkraftwerk von Zwentendorf gab es zwar einen Probebetrieb, fertiggestellt wurde es jedoch nie. Ausgerechnet die Schaltzentrale - das Herzstück des AKW - blieb unvollendet, da dort kein Bodenbelag verlegt wurde. Das hatte einen „typisch österreichischen“ Grund: Das Kernkraftwerk wurde vom Bund und - bis auf Wien und Burgenland - den Landesenergieversorgern errichtet. Die Eigentümervertreter konnten sich jedoch nicht darauf einigen, welchen Bodenbelag sie nehmen sollten, dessen Muster sich noch heute in der Anlage befinden.

In der Schaltzentrale des AKW kann man bei Tageslicht arbeiten, worauf dessen Erbauer besonders stolz waren. „Was passiert, wenn ein Jäger unabsichtlich hier hereinschießt?“, soll ein Journalist bei einer Führung vor der geplanten Inbetriebnahme gefragt haben, woraufhin ein Kollege die Frage stellte: „Was passiert, wenn jemand absichtlich hereinschießt?“  Die heutige Antwort würde wohl lauten: „Nichts, weil die Scheiben aus Panzerglas sind.“  Die damalige Antwort wird wohl ein Achselzucken gewesen sein, gefolgt von dem Versuch das Thema zu wechseln oder dem Abstreiten einer solchen Bedrohung.

Das fehlende Panzerglas war aber nur eine Sicherheitslücke in der Schaltzentrale. Eine andere, deutlich größere Lücke war, dass es keine Ausweich- oder Sabotagezentrale gab. Was es jedoch gab, war einer der ersten Computer, die damals in Österreich installiert waren. So klein dessen Bildschirme auch aussehen, so groß ist die Recheneinheit, die nach dem Lochkartenprinzip funktionierte und etwa so groß ist wie der Raum der Schaltzentrale. Die Leistung ist nach heutigen Maßstäben jedoch gering, und könnte nicht einmal mit einem billigen Taschenrechner mithalten.

Obwohl die Technik von damals nach heutigen Maßstäben aus der „Urzeit“ stammt, wären alle Daten des Kraftwerkes aufgezeichnet worden. Jedes, der mehreren hundert Messinstrumente, die Druck, Temperatur und andere Daten messen sollten, ist mit unzähligen Drähten mit den analogen Aufzeichnungsgeräten verbunden, die sich in mehreren Räumen befinden - eine auch nach heutigen Maßstäben beachtliche Planungsleistung.

Aber nicht nur die technischen Daten wären aufgezeichnet worden. Jedes Gespräch in der Anlage wurde aufgezeichnet und die Mitarbeiter wurden auf Schritt und Tritt mit Kameras überwacht, was offiziell zur Dokumentation bei Störfällen dienen sollte. Weniger anspruchsvoll, dafür umso kurioser wirken die Telefone mit den Wählscheiben in der Schaltzentrale. Eines davon stellte sogar die direkte Verbindung in das Büro des Bundeskanzlers sicher und wurde auf Wunsch von Bruno Kreisky installiert.

Der Reaktor

Das Hauptelement des Kernkraftwerkes ist der Druckbehälter mit dem Reaktor, in dem die kontrollierte Kernspaltung stattfinden sollte. In 484 Brennelementen, in denen sich wiederum je 63, mit Uraniumoxid gefüllte Brennstäbe befinden, sollte die Kernspaltung ablaufen. Damit diese kontrolliert ablaufen kann, gibt es die Steuerstäbe. Diese haben die Form eines Kreuzes und verbinden jeweils vier Brennelemente. Das Material der Steuerungselemente (eine Borverbindung) unterbindet die Kernspaltung und kann diese somit kontrollieren und zum Stillstand bringen. Somit kann die Kernspaltung nur in jenem Teil der Brennelemente ablaufen, die nicht von Steuerstäben bedeckt sind. Die Steuerstäbe ermöglichen auch die Schnellabschaltung des Reaktors innerhalb von nur 2,2 Sekunden, bei der die Steuerstäbe zwischen die Brennelemente „schießen“ und die Kernreaktion sofort beenden.

Die Umwandlung der Strahlungsenergie in Strom funktioniert im Reaktordruckbehälter eines Siedewasserreaktors nach dem folgenden Schema: Durch die Brennelemente strömt Wasser, dass durch die Hitze der Kernspaltung zu sieden beginnt. Dadurch verdampft das Wasser zu Wasserdampf, der in Rohrleitung zu den Turbinen transportiert wird und diese antreibt. Die Turbinen sind mit einem Generator verbunden, der den Strom erzeugt. In weiterer Folge wird der Wasserdampf mit Hilfe von Kondensatoren, die in Zwentendorf das Wasser der Donau als Kühlwasser verwendet hätten, abgekühlt und dadurch wieder flüssig. Danach wäre das Wasser wieder in Reaktordruckbehälter gepumpt worden, wo es wieder ein Teil des Energiegewinnungsprozesses geworden wäre.

Der zylinderförmige Reaktordruckbehälter ist von einem kugelförmigen Sicherheitsbehälter umgeben. Über diesen beiden Behältern befinden sich in einer Höhe von fast 40 m über dem Boden die Lagerbecken in denen die abgebrannten Brennstäbe gelagert werden sollten, nachdem sie durch neue ersetzt wurden. Diese Becken werden auch als Abklingbecken bezeichnet, da dort die radioaktive Strahlung bzw. Energie der Brennstäbe abklingt.

Die Brennelemente sind zu etwa fünf Prozent mit radioaktiven Uran angereichert und werden nach einer Betriebszeit von etwa 18 Monaten, nachdem sie zweimal versetzt wurden, getauscht. Nach dieser Zeit hat sich der Anteil der Spaltprodukte bereits so stark verringert, dass die Kettenreaktion nicht mehr in der geforderten Qualität für die Energieerzeugung abläuft. Alle sechs Monate hätte man die Brennelemente getauscht bzw. versetzt. Dazu hätte man das Kraftwerk heruntergefahren und die äußeren (abgebrannten) Brennelemente herausgenommen, die restlichen von innen nach außen versetzt und die neuen in der Mitte eingesetzt. Sechs Wochen hätte der komplette Vorgang gedauert, an dem hunderte Arbeiter von externen Firmen beteiligt gewesen wären.

Währenddessen hätte das Kernkraftwerk selbst keine Energie geliefert und wäre - wie sonst jedoch auch - auf externe Stromzufuhr angewiesen gewesen. Diese war unter anderem deshalb notwendig, um den Kühlkreislauf in Gang zu halten, da die Brennstäbe auch gekühlt werden müssen, wenn sie nicht mehr für die Energiegewinnung genutzt werden, weil sie abgebrannt sind. Ihre Restenergie reicht aber aus, um diese auch im Abklingbecken so stark zu erhitzen, dass es zur Kernschmelze kommen würde. Das AKW Zwentendorf hatte Notstromaggregate, die das Funktionieren des Kühlsystems bei einem Stromausfall sicherstellen sollten, sowie zimmergroße Batterien, bis die Notstromversorgung angelaufen wäre.

Sicherheitsrisiko Abklingbecken

Hinsichtlich der Sicherheit ist das Abklingbecken eine wesentliche Schwachstelle, da dessen Hülle nicht so stark gebaut ist, dass sie einen Flugzeugabsturz aushalten würde. Es sind aber nicht nur Unfälle, technische Gebrechen oder Anschläge von Terroristen, die für Atomkraftwerke eine ernsthafte Sicherheitsbedrohung darstellen. Am 16. April 1972, keine zwei Wochen nach dem Spatenstich des AKW, gab es in Zwentendorf ein Erdbeben der Stärke 5,3 gemäß der Richterskala. Dabei soll nach Angaben von Global 2000 auch das Fundament des Reaktors zerstört worden sein und die bereits errichteten Mauern mussten abgerissen und neuerlich aufgebaut werden.

Im März 2011 kam es im japanischen Fukushima zu einer Nuklearkatastrophe, bei der drei von sechs Reaktorblöcken explodierten. Diese Explosionen ereigneten sich, da der Kühlkreislauf ausfiel und sich durch die Hitze der Brennstäbe im Abklingbecken, das Wasser in den Abklingbecken erhitzte und schließlich verdampfte. Durch die große Hitze entstand Wasserstoff, der sich entzündete und die Explosionen auslöste, bei denen radioaktive Stoffe in die Atmosphäre geschleudert wurden.

Die Explosionen sind nicht das einzige Promblem beim Ausfall der Kühlung in einem Kernkraftwerk. Spätestens 24 Stunden nachdem das Wasser verdampft ist setzt die Kernschmelze ein. Dabei zerstört die Hitze der Nachzerfallswärme die Brennelemente, die schmelzen und sich als glühende und strahlende Flüssigkeit zunächst am Boden des Sicherheitsbehälters befinden. Dieser schmilzt durch die starke Hitze, weshalb die radioaktive Schmelze so weit nach unten fließt bis sie auf ein Material trifft, dass von ihr nicht mehr durchdrungen werden kann. Im besten Fall ist das das Fundament des Reaktors, im schlechtesten Fall eine Gesteinsschicht, die sich darunter befindet.

Energieproduktion ohne Endlager

In den Abklingbecken bleiben die Brennstäbe so lange bis sich ihre Temperatur auf etwa 400 Grad reduziert hat. Danach kommen sie in Castoren (Spezialbehälter für die Lagerung und den Transport radioaktiver Materialien), und gelangen in ein Zwischenlager. Diese Castoren sind jedoch Mangelware und ihre Lieferzeit kann bis zu zehn Jahren betragen. So lange müssen die Brennstäbe im Abklingbecken bleiben, was insofern problematisch ist, da die Becken nicht so groß sind, um die Anzahl an Brennstäben aufzunehmen.

Somit wäre man vermutlich auch in Zwentendorf gezwungen gewesen, ein Zwischenlager für den radioaktiven Abfall auf dem Werksgelände zu errichten, so wie es die aktuelle Praxis in Atomkraftwerken ist. Häufig werden zu diesem Zweck Hallen errichtet, damit die Behälter nicht im Freien stehen, da es fraglich ist, ob sie jemals ein Endlager erreichen. Denn obwohl das erste Kernkraftwerk bereits 1954 in Betrieb ging, gibt es weltweit noch immer kein einziges offizielles Endlager für radioaktive Abfälle.

Der einzige Ort, an dem Atommüll bisher de facto endgültig gelagert wird, ist der Meeresgrund. Alleine im Nordostatlantik sollen etwa 115.000 Tonnen in einer Tiefe von rund 4.500 m „beseitigt“ worden sein. Viele dieser Stellen, an denen bis in die 1980er Jahre der strahlende Müll beseitigt wurde, sind mittlerweile vergessen und es gibt zurzeit auch keine offiziellen Initiativen, die sich diesem Thema ernsthaft widmen.

Ersatzstrom für Zwentendorf

Das AKW Zwentendorf hätte die Stromversorgung von etwa 1,6 Millionen Haushalten sicherstellen sollen. Da daraus nichts wurde, musste man Alternativen für den österreichischen Atomstrom finden. Eine Alternative war paradoxerweise Atomstrom aus Tschechien, der aus dem AKW Dukovany kam. Dieses war ab den 1980ern direkt mit dem Umspannwerk in Zwentendorf verbunden und stellte so sicher, dass Österreich auch ohne eigenem AKW mit Atomstrom versorgt wurde.

Eine andere Alternative war die Stromproduktion in kalorischen Kraftwerken wie in Dürnrohr, einer Nachbargemeinde von Zwentendorf. Dieses Kraftwerk, das mit zwei Turbinen etwa die gleiche Leistung wie das AKW Zwentendorf erzeugte, ging 1987 ans Netz. In unmittelbarer Nähe zu dem AKW befindet sich noch das Donaukraftwerk Altenwörth, das zwischen 1973 und 1976 errichtet wurde. Mit einer Leistung von 328 Megawatt ist es zwar das leistungsstärkste Donaukraftwerk Österreichs, produziert jedoch nur knapp die Hälfte der Strommenge, die das AKW Zwentendorf erzeuge sollte.

Das AKW heute

Aktuell wird im AKW Zwentendorf Strom produziert. Jedoch nicht in der ursprünglich vorgesehenen Art und Weise, sondern mit einer Photovoltaikanlage, die 2012 errichtet wurde. Diese umfasst etwa 2.300 Paneele, die am Reaktorgebäude und im Außenbereich angebracht bzw. aufgestellt sind. Die Anlage dient nicht nur der Stromerzeugung sondern auch der Forschung, die von der EVN in einem Gemeinschaftsprojekt mit der Technischen Universität Wien dort stattfindet. Die Leistungsausbeute des aktuellen Kraftwerkes beträgt mit einer Spitzenleistung von 450 Kilowatt (0,45 Megawatt) jedoch nur einen Bruchteil der 700 Megawatt, die der Kernreaktor erzeugt hätte.

Das AKW kann heute bei Führungen besucht werden, die einen tiefen Einblick in die Funktionsweise eines Atomkraftwerkes erlauben und auch die historischen Umstände beleuchten. Zusätzlich wird es für die Schulung von Mitarbeitern anderer Atomkraftwerke mit Siedewasserreaktoren verwendet. Hier dient es als Modell im Maßstab 1:1 bei dem Wartungs-, Reparatur- und Rückbauarbeiten so realistisch wie nirgendwo sonst trainiert werden können. Darüber hinaus war die Anlage in den letzten Jahrzehnten Filmkulisse, Übungs- und Trainingsort für das Österreichische Bundesheer und die Polizei, Tagungs- und Veranstaltungsort für Firmenevents und sogar für Musikfestivals.

Auf einen Blick

Das AKW Zwentendorf ist ein Ort, der viele Aspekte der österreichischen Geschichte der Zweiten Republik vereint, repräsentiert und vermittelt. Von Fragen des Umgangs mit Energie und Energiegewinnung, dem Verhältnis zwischen offiziellen Stellen mit der Zivilgesellschaft, dem Entstehen, Aushandeln und Entscheiden von energie- und sicherheitspolitischen Fragestellungen bis zur Formulierung von Aspekten der allgemeinen Sicherheit, lassen sich mit dem AKW nicht nur viele Themenfelder mit ihren Besonderheiten ansprechen, sondern auch bearbeiten und darstellen.

Somit dient diese Anlage, die weit mehr als eine „Industrieruine“ der 1970er ist, als Objekt, das die Gesellschaft mit dem Wandel ihrer Einstellung und Werte konfrontiert und zeigt, dass diese vor allem ein Produkt ihrer Zeit sind. Darüber hinaus ist das AKW Zwentendorf ein Mahnmal, das daran erinnert mit der Umwelt und ihren Ressourcen verantwortungsvoll umzugehen, um diese für die nachfolgenden Generationen zu erhalten.

Offiziersstellvertreter Gerold Keusch, BA ist Redakteur beim TRUPPENDIENST.

 

Ihre Meinung

Meinungen (0)