• Veröffentlichungsdatum : 09.06.2020
  • – Letztes Update : 21.12.2020

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60 Jahre Internationale Einsätze

Othmar Wohlkönig

Vor 60 Jahren begann der erste Internationale Einsatz von Soldaten des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH) im Kongo. Seit damals ist das internationale Engagement Österreichs deutlich gestiegen. Das ÖBH ist auf der ganzen Welt im Einsatz, der Auftrag dabei lautet: Frieden sichern und Stabilität in Krisen- und Konfliktregionen wiederherstellen.

Die Beteiligung Österreichs am Internationalen Krisenmanagement ist heute von größerer Bedeutung als je zuvor. Ob in Statements von Politikern oder bei öffentlichen Umfragen wird neben dem Assistenzeinsatz in Österreich der Auslandseinsatz als eine der wichtigsten Aufgaben des ÖBH gesehen. Wurde früher der UNO-Einsatz bei so manchen Heimatverbänden noch als gut bezahlter Urlaub betrachtet, so gilt ein Auslandseinsatz heute, trotz des grundsätzlichen Freiwilligenprinzips, für Berufssoldatinnen und Berufssoldaten als „Must-Have“. Der internationale Einsatz ist nicht nur die Voraussetzung für eine Berufskarriere, sondern unterstützt auch die Persönlichkeitsentwicklung und den Fortschritt von Fähigkeiten und Fertigkeiten. Das stellt einen erheblichen Mehrwert für den Einzelnen sowie für den täglichen Dienst- und Ausbildungsbetrieb dar.

1960 – fünf Jahre nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages – trat Österreich den Vereinten Nationen bei und beteiligt sich seitdem an internationalen Einsätzen. Was mit einem UNO-Sanitätskontingent im Kongo begann, erstreckt sich derzeit auf 16 verschiedene Missionen weltweit mit unterschiedlichen Herausforderungen. Der Ersteinsatz im Kongo ging – trotz der Bedenken des Militärs, da der Einsatz Personal und Mittel bindet – von der Politik aus. Die auch heute noch gültigen Tugenden Treue, Gehorsam, Loyalität und vor allem Improvisations-vermögen zeichneten die österreichischen Soldaten schon damals aus. So wurde das „UN-Sanitätskontingent der Republik Österreich“ zwar vom ÖBH vorbereitet, aber nicht als Teil des ÖBH entsandt. Aufgrund des fehlenden Rechtsstatus waren Karenzierungen und Sonderverträge notwendig, die sich nicht immer als Vorteil für die Betroffenen Freiwilligen herausstellten.

Erst weitere fünf Jahre und vier Kontingente später, wurde mit dem „Bundesverfassungsgesetz über die Entsendung österreichischer Einheiten zur Hilfeleistung in das Ausland auf Ersuchen internationaler Organisationen“ die notwendige rechtliche Voraussetzung für den Auslands-einsatz geschaffen. Seit 1997 gilt für die Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen des ÖBH das „Bundesverfassungsgesetz über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland“, kurz KSE-BVG. Die Schaffung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und das politische Engagement führten dazu, dass sich die wachsende österreichische Teilnahme an internationalen Einsätzen bis heute stetig erweiterte. Seit der schrittweisen Ausweitung von 45 Angehörigen des ersten Feldspitals 1960 bis 1963 auf rund 950 Soldaten Ende 1973 (unter anderem Zypern und Syrien) gilt Österreich in der UNO als einer der bedeutendsten Truppensteller.

Neben den mit einer gewissen Routine ablaufenden Einsätzen der beiden Infanteriebataillone Zypern und Golan sowie den zahlreichen UN-Beobachtermissionen stellte sich das ÖBH mit den Einsätzen im ehemaligen Jugoslawien (seit 1995) oder Albanien (1997 bis 1999) neuen zusätzlichen personellen, materiellen und vor allem finanziellen Herausforderungen. Schließlich hat das ÖBH bei jeder EU- und NATO-Mission die Vollkosten zu tragen. Aufgrund der traditionellen Unterdotierung des Heeresbudgets mussten Maßnahmen getroffen werden, die zur Schließung anderer Missionen wie SFOR (Bosnien) oder UNFICYP (Zypern exkl. Stabspersonal) führten. Neben den sogenannten „Hauptkontingenten“ EUFOR-ALTHEA (EU-Mission in Bosnien und Herzegowina), KFOR (NATO-Mission im Kosovo) und UNIFIL (Mission der Vereinten Nationen im Libanon) leisten zurzeit etwa 1.000 österreichische Soldatinnen und Soldaten ihren Beitrag auch in der Trainingsmission in Mali oder als Stabspersonal in zahlreichen anderen Orten. Zu dieser hohen Ambition kommt noch die Beteiligung an der EU-Battlegroup sowie dem Bereithalten der Operations Reserve Force (ORF) für einen eventuellen Einsatz am Balkan.

Mit der etappenweisen Ausweitung der Teilnahme an internationalen Einsätzen stieg auch das Selbstverständnis in heeresinternen Kreisen. Mehr und mehr respektierten die Kommandanten und Dienststellenleiter die Freiwilligenmeldungen ihrer Soldatinnen und Soldaten. Dies alles geschieht bis heute noch unter dem Grundsatz der Freiwilligkeit. Niemand wird gegen seinen Willen in einen Auslandseinsatz entsandt. Selbst bei Kaderpräsenzeinheiten erfolgt die Unterzeichnung des Vertrages aus freien Stücken. Dass dabei die Verpflichtungen zu erfüllen sind, sollte für jede Soldatin und jeden Soldaten ebenso klar sein, wie das Faktum der lauernden Gefahren im Einsatzraum und die mit einem Auslandseinsatz verbundenen physischen und psychischen Belastungen.

Doch auch heute noch wird die Bedeutung bestimmter Missionen aufgrund der scheinbar „ruhigen Lage“ im Einsatzraum als „Holiday- oder Sunshine-Mission“ abgewertet. Das ist eine unzulässige Reduzierung, denn jede Friedensoperation ist ein internationaler Einsatz der zur Stabilisierung von Krisenregionen oder zur Verhinderung des Ausbruchs neuer Konflikte dient. Diese dort eingesetzten Soldatinnen und Soldaten erfüllen ihren Auftrag unter Inkaufnahme von Entbehrungen und fallweise dem Einsatz ihres Lebens. Vierzehn Jahre nach dem Ersteinsatz musste das ÖBH 1974 die ersten Todesopfer bei einem Minenunfall am Golan und fast zeitgleich bei Kampfhandlungen in Zypern beklagen. Insgesamt starben 52 Österreicher im Dienste des Friedens. Zahlreiche wurden verwundet oder erkrankten schwer. Alljährlich wird durch das Kommando Streitkräfte (KdoSK) in Kooperation mit der Auslandseinsatzbasis rund um Allerseelen in der Wiener Stiftskirche sowie in der Grazer Belgierkaserne unter Einbindung ihrer Familien, dieser Kameraden gedacht. Darüber hinaus wird beim „International Day of United Nations Peacekeepers“ am 29. Mai daran erinnert, wie viele Soldatinnen und Soldaten weltweit im Dienste des Friedens stehen und standen.

Dass österreichische Soldatinnen und Soldaten so zahlreich in den Auslandseinsatz entsandt werden können, bedarf nicht nur der politischen Entscheidung (Ministerratsbeschluss) und der Freiwilligkeit der Betroffenen. Hinter dieser Entscheidung – und das wird oft übersehen - steht nahezu die gesamte Organisation des ÖBH. Begonnen von der Personalgewinnung bzw. Rekrutierung und Eignung, über die Einsatzvorbereitung und Entsendungsfeststellung bis hin zur Versorgung und Rückholung leisten unzählige Bedienstete einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen einer Mission.

Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass mit dem verstärkten Auslandsengagement auch die Strukturen des ÖBH angepasst werden müssen. Die Vorbereitung und Entsendung von Kontingenten war schon lange keine Nebenaufgabe mehr. Zu Beginn wurde das „UN-Reserve Bataillon“ noch vom damaligen Jägerbataillon 4 bzw. Landwehrstammregiment 21 in Wien formiert. Ab 1987 wurde die Einsatzvorbereitung beim Kommando Auslandseinsätze in Stammersdorf auf breitere Beine gestellt, wobei immer mehr Missionen dazukamen. Aus diesem Grund wurde im Jahr 1999 das Kommando Internationale Einsätze in Götzendorf und schlussendlich 2002 in Graz aufgestellt. Als Konsequenz der Bundesheer-Reform 2010 wurde dieses Kommando in das Streitkräfteführungskommando eingegliedert. Seit 2006 werden die internationalen Einsätze in der nationalen Führungsverantwortung vom Streitkräfte-führungskommando (später Kommando Landstreitkräfte und jetzt Kommando Streitkräfte) geführt, wobei die Einsatzvorbereitung im Wechsel bei den Brigaden und mit Teilen der Auslandseinsatzbasis in Götzendorf erfolgt.

Um das gesamte Spektrum der Beteiligung an internationalen Einsätzen darzustellen dürfen die zahlreichen humanitären Katastrophen- und Hilfseinsätze hingewiesen werden. Fast zeitgleich mit dem UN-Sanitätseinsatz im Kongo entsandt das ÖBH 1963 erstmals Soldaten zu einem „Hilfseinsatz Erdbeben“ nach Skopje. Dem folgten zahlreiche Einsätze wie jene in Nigeria und Armenien. Bei allen Einsätzen werden Erfahrungen gesammelt, die sich später in der Ausbildung oder in der Struktur zeigen. Dieser Lernprozess führte zur „Austrian Forces Disaster Relief Unit“ (AFDRU), die sich bald auf der ganzen Welt bewährte.

Österreichische Expertinnen und Experten wirkten bisher nicht nur in den UNO-Sonderkommissionen zum Auffinden und Zerstören von Massenvernichtungswaffen im Irak 1991 mit, sondern leisteten auch im Rahmen der EU-Sonderkommission in Bosnien und Herzegowina einen wesentlichen Beitrag zur Auffindung der Massengräber. In jeder kriegerischen Auseinandersetzung gibt es Zerstörung und unschuldige Opfer zu beklagen. Gerade in den Einsatzräumen Bosnien und Herzegowina sowie im Kosovo initiierte das ÖBH im Rahmen von sogenannten CIMIC-Projekten (zivile militärische Zusammenarbeit) Hilfsmaßnahmen die vorwiegend dem Wiederaufbau in diesen Gebieten dienten.

Rückblickend auf 60 Jahre Beteiligung an Internationalen Einsätzen ist das österreichische Engagement ständig gewachsen und auch im jüngsten Regierungsprogramm wurde eine Zahl von 1.100 Soldatinnen und Soldaten für Auslandseinsätze festgeschrieben. Bis heute nahmen fast 100.000 Österreicher und Österreicherinnen an mehr als 100 Friedens- und humanitären Einsätzen teil. Obwohl die Militärische Landesverteidigung die Primäraufgabe des ÖBH ist, sind die Internationalen Einsätze inzwischen eine weitere Hauptaufgabe geworden. Die Teilnahme an diesen Einsätzen ist für die Außenpolitik ein wesentlicher Baustein zur Sicherung oder Wiederherstellung der Stabilität in Krisenregionen. Zudem können sie als Vorsorgemaßnahme zur Sicherung der europäischen und österreichischen Sicherheit gesehen werden.

Vizeleutnant Othmar Wohlkönig ist Kommandounteroffizier beim Kommando Streitkräfte.

 

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