• Veröffentlichungsdatum : 08.07.2022
  • – Letztes Update : 03.08.2022

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Online, physisch oder hybrid? Herausforderung digitales Lernen

Selina Lukas

Die Covid-19-Pandemie zwang Bildungseinrichtungen von „heute auf morgen“ in die Distanzlehre. Digitalisierung war zu diesem Zeitpunkt bereits Thema, wurde aber nur zum Teil „gelebt“. Im ersten Jahr der Pandemie stand die Bewältigung der neuen Situation im Vordergrund. Nun ist es an der Zeit die Lehren aus dem „erzwungenen“ Digitalisierungsprozess zu ziehen.

Die Landesverteidigungsakademie und das Sprachinstitut des Bundesheeres widmeten sich den Herausforderungen digitaler Lehr-Lern-Szenarien in einer Fachtagung. Diese fand von 29. bis 30. Juni 2022 in der Wiener Stiftkaserne statt. Neben Experten des Bundesheeres (Landesverteidigungsakademie/Sprachinstitut des Bundesheeres, Heeresunteroffiziersakademie) kamen auch Vertreter des Bildungs- und Innenministeriums sowie der Universität Wien, der FHWien des WKW, der FH Technikum, der pädagogischen Hochschule Wien, der Erste Group Holding und des deutschen Bundessprachenamtes zu Wort. Im Fokus der Vorträge standen die Erfahrungen, Herausforderungen und Erfolge der vergangenen zwei Jahre in Bezug auf die Einführung und Umsetzung eines digitalen (Sprach-)Unterrichtes.

 

Neue Lernkultur

Am ersten Tag der Fachtagung standen die allgemeinen Herausforderungen der digitalen Lehre im Vordergrund. Zum einen ging es um die „Toolisierung“, die Einführung bzw. das Aufkommen zahlreicher digitaler Werkzeuge, die die Fernlehre vereinfachen sollten. Zum anderen ging es um Veränderungen in der Lernkultur, der Rolle der Lehrenden und die bestmögliche Begleitung der Auszubildenden.

Robert Schrenk aus dem Bildungsministerium eröffnete die Tagung mit einem Vortrag zur Lernplattform eduvidual.at. Dabei handelt es sich um eine vom Bildungsministerium eingerichtete einheitliche Lernplattform auf Basis von Moodle, die österreichweit verfügbar ist. Silke Schwaiger und Wolfgang Ruge (beide FH Wien) sprachen im Anschluss über Chancen und Herausforderungen digitalen Lernens anhand von Erfahrungen an der FHWien der WKW. Fazit: „Toolisierung“, die einfache Übertragung analoger Konzepte in digitale Medien, sei nicht zielführend. Digitalisierung und Technologisierung erfordern eine neue Lernkultur. Der klassische Frontalvortrag funktioniere Online nur bedingt und auch der gruppeninterne Austausch werde schwieriger. Darum sei Flexibilität – vor allem von Lehrenden – gefragt. Deren Funktion wandle sich von der Wissensvermittlung hin zur Begleitung von Lernprozessen. Die Grenze zwischen Nur-Online- oder Nur-Präsenz-Unterricht solle aufgebrochen werden, am besten funktioniere die Verschränkung unterschiedlicher Formate. Ein großer Vorteil, vor allem für Studierende, sei die Möglichkeit zeit- und ortsunabhängig zu lernen.

David Gezzele (Erste Group Holding) griff das Thema digitaler Wissenstransfer auf und betrachtete es aus dem unternehmerischen Blickwinkel. Aus seiner Sicht wäre es im unternehmerischen Kontext wichtig zu definieren, welchen Stellenwert das Lernen im beruflichen Alltag habe. Webinare, E-Learning oder Web-based-Trainings anzubieten alleine reiche seiner Ansicht nach nicht. Lernen, Lehren und Lernerfolg wären – sowohl online als auch präsent – eine gemeinsame organisationsumfassende Verantwortung.

Ergänzen statt ersetzen

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion zwischen Robert Schrenk, Silke Schwaiger und David Gezzele ging es um Lehren für die Zeit nach Covid-19. Alle drei waren sich einig, dass digitale Lehrformate gekommen seien, um zu bleiben. Es gab auch einen Konsens, dass „Nur-Online“ keine Lösung sei. Laut Schwaiger sei es positiv, dass man nun eine Wahlmöglichkeit habe und individuell entscheiden könne, welches Format für welchen Inhalt besser funktioniert. Robert Schrenk meinte, dass die Qualität der Lehre unter mangelndem, informellen, zwischenmenschlichen Diskurs leiden kann. Die einfache Aufzeichnung von Vorträgen bzw. „Videoschauen“ erziele nicht den gewünschten Erfolg. Lernen solle ein interaktiver Prozess sein. David Geezele stimmte dem zu und betonte die Herausforderung für Lehrende, wenn diese plötzlich ein Ganztagesseminar online führen müssen. Außerdem sei es für einen Lehrenden alleine kaum zu schaffen gleichzeitig eine Gruppe in Präsenz und eine Gruppe vor Bildschirmen zu betreuen. Silke Schwaiger fasste zusammen, dass man sich der Digitalisierung nicht verschließen könne, sondern lernen müsse, damit umzugehen.

Am Nachmittag stellte Thomas Madl-Klaus (Sicherheitsakademie) den Online-Lehrgang „Blended Learning und Mediendidaktik für Vortragende“ vor. Dieser Lehrgang soll die Teilnehmer darauf vorbereiten selbst digitale Lernangebote zu entwickeln bzw. durchzuführen. Auch er sprach davon, dass es für Online-Veranstaltungen eine eigene „Webinar-Didaktik“ brauche.

Oberst dhmfD Andreas Kastberger (Heeresunteroffiziersakademie) sprach über die digitale Transformation an der Heeresunteroffiziersakademie. Er erwähnte eine Skepsis innerhalb der Akademie in Bezug auf die Digitalisierung des Lernumfeldes bzw. das Lernen anhand von Simulatoren. Diese sei darin begründet, dass man befürchtete, dass diese Entwicklung darin gipfeln könnte, dass nur mehr „simuliert“ wird und keine Ausbildung mehr im Feld stattfinden würde. In der Praxis zeigte sich jedoch, dass eine Kombination aus beidem positiv wirkt. Die praktische Ausbildung könne also durch Digitalisierung verbessert werden, solange simulierte, digitale Unterrichts-Einheiten nicht Überhand nehmen würden oder diese die praktische Ausbildung ersetzen. Ein Faktor warum dies wichtig sei, wären die in Simulationen „zu perfekten“ Bedingungen, die es in der Realität nicht gäbe.

 

Selbstständigkeit lernen

An der anschließenden Podiumsdiskussion „Lernen flexibler gestalten“ nahmen Wolfgang Ruge, Thomas Madl-Klaus und Andreas Kastberger teil. Alle drei waren sich einig, dass mehr Flexibilität in der Ausbildung sowohl für Lehrende als auch für Lernende Vorteile bringe. Andreas Kastberger betonte im Besonderen die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Lernenden sich das zu „holen“ was sie bräuchten, um ihr Lernziel zu erreichen. Auch in Bezug auf Ziele und Ergebnisse forderte er ein Umdenken. Laut ihm solle die erworbene Kompetenz im Fokus stehen, nicht eine vorgeschriebene Lernzeit, die abgesessen werden muss. Wolfgang Ruge gab zu bedenken, dass Flexibilisierung des Lernens nicht bedeute, dass der Lehrende die Verantwortung von sich weist. Schließlich müssten Studierende das selbstständige Lernen auch erst lernen und genau bei diesem Prozess müsse man sie begleiten und unterstützen. Thomas Madl-Klaus fasste dies unter dem Wandel der Rolle vom Vermittler zum Begleiter im Lernprozess zusammen.

Der erste Tagungstag endete mit den Schlussworten des Leiters der Sprachinstitut des Bundesheeres, Oberst dG Thomas Fronek. Fazit: Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein. Bei jedem neuen Tool oder Format sollte man sich die Frage stellen: braucht es das wirklich, um den Lernenden bei der Erreichung seiner Ausbildungsziele zu unterstützen?

Digitale Sprachausbildung

Der zweite Tag der Fachtagung widmete sich konkreten Szenarien der digitalen Lehre, mit Fokus auf die Sprachausbildung. Der Vormittag wurde von Alexandra Krause (Universität Wien) eröffnet, die von den Herausforderungen und Lösungsansätzen im Online-Dolmetsch-Unterricht am Zentrum für Translationswissenschaften berichtete.

Danach sprach Andreas Prutsch (Sprachinstitut des Bundesheeres) über die einsatzorientierte Sprachausbildung im digitalen Kontext. Konkret ging er auf die Sprachkurse „Französisch“ für EUTM (Mali) und „Englisch“ für UNIFIL (Libanon) ein. Vor dem Auslandseinsatz mussten die Soldaten in Quarantäne und die Sprachausbildung online stattfinden. Seiner Erfahrung nach bedeutet Digitalisierung nicht unbedingt eine Effizienzsteigerung. Prutsch plädierte für eine Mischung aus Präsenz- und Onlineunterricht. Zudem zeigte er sich als Verfechter von Sprachlern-Apps und der Vernetzung von Lernenden. Für ihn biete sich die Vernetzung zwischen jenen an, die die jeweils andere Sprache sprechen und einen militärischen Hintergrund haben. Eine weitere Möglichkeit ist der Einsatz von Virtual-Reality-Brillen, um damit Kommunikationsszenarien im Zielland zu simulieren.

 

Technische Probleme und fehlende Gruppendynamik

Gabriele Schökler (FH Technikum) forderte in ihrem Vortrag zur digitalen Lehre im Sprachunterricht unter geänderten Vorzeichen, dass die persönliche Begegnung trotz aller Vorteile der digitalen Lehre nicht verloren gehen darf. Die darauffolgende Podiumsdiskussion „Sprachunterricht, quo vadis?“ verlief konsensorientiert. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass eine gewisse Flexibilität sowohl auf Seite der Lehrenden als auch der Lernenden notwendig sei.

Den Nachmittag eröffnete Maria Veenema (Deutsches Bundessprachenamt) mit ihrem Vortrag zur Fremdsprachenausbildung am Bundesprachenamt. Ihren Erfahrungen nach braucht Online-Unterricht mehr Unterbrechungen sowie kleinere Gruppen (sechs bis acht Teilnehmer). Technische Probleme führten außerdem des Öfteren zu Frustration. Ein wesentlicher Nachteil von Online-Unterrichten sei außerdem die fehlende Gruppendynamik. Dies sei vor allem bei schwächeren Teilnehmern problematisch, da die gegenseitige Unterstützung größtenteils wegfalle.

Der letzte Vortrag kam von Thomas Strasser (Pädagogischen Hochschule Wien). Er thematisierte den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Sprachunterricht, die seiner Ansicht nach, im Bildungsbereich ein wichtiges Zukunftsthema darstelle. Zum Abschluss richtete der Leiter des Sprachinstitutes des Bundesheeres Thomas Fronek erneut das Wort an das Publikum. Er stellte zusammenfassend fest, dass es nun gelte den Übergang von der Improvisierung in die Realität zu schaffen. Dabei sollte die Balance zwischen Digitalisierung und humanem Faktor stets gegeben sein, denn: „Trotz aller Fortschrittsbestrebungen müsse der Mensch stets im Mittelpunkt bleiben.“

Selina Lukas, MA ist Redakteurin beim TRUPPENDIENST.

 

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