• Veröffentlichungsdatum : 14.10.2022
  • – Letztes Update : 17.10.2022

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  • 1420 Wörter

Kampf um unsere Meinung

Markus Reisner

„Cognitive Warfare“ ist der Versuch die Meinung zu einem Konflikt durch gezielte Propaganda zu beeinflussen. Im derzeitigen Ukraine-Krieg spielt diese Art der Einsatzführung eine besondere Rolle.

(Stand: 23. September 2022)

Zur Einordnung des Begriffes muss man sich zunächst mit der modernen Kriegsführung befassen. Traditionell gibt es die Domänen Landkriegsführung, maritime Kriegsführung und Luftkriegsführung. In den letzten Jahrzehnten hat auch der Weltraum zunehmend an Bedeutung gewonnen. Zum einen durch die Satellitenkommunikation, zum anderen durch die Schaffung der Möglichkeit der gezielten Navigation z. B. von Raketensystemen. Zwei weitere Domänen, die immer wichtiger werden, sind der Cyberraum und der Informationsraum. Sie durchdringen alle anderen Domänen nahezu ohne Zeitverzug und de facto sind wir selbst permanent Teil dieser Domäne. Wir konsumieren Medien und bilden uns eine Meinung, welche unser Handeln beeinflusst.
 

Digitalisierung der Kriegsführung

Wie alle anderen Domnänen ist auch die traditionelle, mechanisierte Form der Kriegsführung einer Digitalisierung unterworfen. Das bedeutet, dass es innerhalb einer Einsatzstruktur (z. B. der Landstreitkräfte) eine stark ausgeprägte Sensor- und Empfängerkommunikation gibt, die eine Wirkung ohne Zeitverzug ermöglicht. Das ist jedoch nur ein Zwischenschritt zu einer weiteren Form, die bereits als Zukunft der Kriegsführung beschrieben wird: Der Krieg um unsere Haltung in unseren Köpfen. Das kostbarste Gut hierbei ist die Information und deren Interpretation.

Kognitive vs. Informationskriegsführung

Begriffe, wie hybride Kriegsführung, kognitive Kriegsführung, Informationskriegsführung und Cyberkriegsführung sind heute weit verbreitet. Der Schnittpunkt dieser unterschiedlichen Formen ist die Information, mithilfe derer beeinflussende Operationen stattfinden. Vor und am Beginn des Ukraine-Krieges gab es beispielsweise Cyberangriffe von russischer Seite auf die Ukraine.

In den ersten Stunden nach dem Einmarsch am 24. Februar 2022 schickte die russische Seite mittels Orlan-10-Drohnen gezielt Kurznachrichten an ukrainische Soldaten, vor allem im Osten des Landes. Damit sollte der Eindruck erweckt werden, dass die ukrainische Regierung, das politische und militärische Zentrum, bereits gefallen sei. Die Ukrainer brauchten einige Zeit, um sicherzustellen, dass die getäuschten Soldaten erkannten, dass diese Information falsch war. Russland versuchte somit bereits am Beginn durch gezielte Informationskriegsführung zu beeinflussen.

Es hat sich auch gezeigt, dass Russland in der Lage ist, den Krieg über mehrere Domnänen zu führen, in einer Kombination aus Cyberangriffen und Angriffen auf dem Gefechtsfeld. So wurden beispielsweise Cyberangriffe in Zusammenhang mit später durchgeführten Raketenangriffen eingesetzt.

Beeinflussende Operationen

Hinter den beeinflussenden Operationen Russlands stehen zum einen die russischen Nachrichtendienste (GRU, SVR und FSB), zum anderen das russische Verteidigungs- und Außenministerium. Deren Ziel ist es, die öffentliche Meinung mithilfe einer Vielzahl an Formaten zu beeinflussen. Es gibt einige signifikante Beispiele dafür, dass manche Bilder und Informationen über den Ukraine-Krieg nicht der Wahrheit entsprechen. So kursierte etwa ein Video, auf dem scheinbar getötete ukrainische Soldaten zu sehen waren. Am Ende des Videos stehen diese Soldaten jedoch plötzlich wieder auf – ein klarer Fall der versuchten Einflussnahme.

Spiel mit Ängsten

Der Krieg in der Ukraine präsentiert sich als langer, verlustreicher Abnützungskrieg. Die Geschichte zeigt, dass diese Kriege oft nicht an der Front, sondern im Hinterland entschieden werden. Das erklärt, warum die russische Seite versucht die Ängste des Westens bzw. der Verbündeten der Ukraine zu schüren.

So suggeriert Russland, dass aufgrund des nicht vorhandenen Getreides Hungersnöte und Migration bevorstehen könnten. Durch die Situation in Saporischschja (dort befindet sich das größte Atomkraftwerk Europas; Anm.) und die wiederholte Drohung taktische Nuklearwaffen einzusetzen, wird die Angst einer nuklearen Katastrophe geschürt. Über allem schwebt die Angst vor einem harten Winter und einem ökonomischen Kollaps des Westens. Russland befeuert diese Ängste, indem es etwa die Rohstoffzufuhr nach Europa drosselt. Ein weiteres Beispiel dafür ist ein russisches Propagandavideo, das kurz nach der Abschaltung von Nordstream 1 veröffentlicht wurde, um den Eindruck zu erwecken, dass ein kalter Winter bevorstehe. Auch die Zerstörung der Nordstream1- und Nordstream2-Pipelines, gefolgt von der russischen Ankündigung doch noch bei Bedarf durch eine Pipeline liefern zu können, deutet in diese Richtung.

Resilienz in der Bevölkerung

Die Gesellschaften in europäischen Staaten scheinen gegenüber diesen beeinflussenden Operationen weniger resilient zu sein, als die Gesellschaften in anderen Kontinenten. Dies zeigt eine Umfrage aus dem Jahr 2015, nach der Ukraine-Krise von 2014. Damals wurde die Frage gestellt: „Wären Sie bereit für Ihr Land zu kämpfen?“ Europäische Staaten, wie Österreich und Deutschland, hatten einen geringen Anteil zustimmender Antworten. Andere Staaten, wie die USA, Russland, China oder die Ukraine, gaben einen hohen Grad an einer diesbezüglichen Bereitschaft an.

Die scheinbar gering vorhandene Resilienz, gepaart mit den russischen Informationsoperationen führt möglicherweise dazu, dass der Wille zu kämpfen gering ist. Andererseits steigern Ereignisse wie der Untergang der „Moskwa“ (russisches Kriegsschiff; Anm.) den russischen Kampfeswillen sogar noch. Nach dem Motto: "Jetzt geht es um alles! Es ist ein Überlebenskampf des russischen Volkes!"

Westliche Medienberichte mit Schlagzeilen, wie „Ukraine is in Worse Shape than You Think“ (Mai 2022, Time), „Ukraine fears Defeat in East Without Surge in Military Aid“ (Mai 2022, WSJ), „US and NATO lack capability to supply a long war“ (Juni 2022, Asia Times), „Sanctions Are Hurting the West More Than Russia“ (Juli 2022, The National Interest) lassen die Situation günstig für Russland erscheinen und dienen als nützliches Werkzeug bei der Durchführung solcher Informationsoperationen. Eine objektive Berichterstattung wird dabei zur Erzeugung von Angst missbraucht.

Kampf um Narrative

In den letzten beiden Monaten konnte die Ukraine entgegen vieler Erwartungen mehrere spektakuläre Erfolge erzielen. Beispiele dazu sind der Raketenangriff auf den Flugplatz von Saki, die beiden Offensiven in Cherson und Charkiv und der Angriff auf die Brücke über die Straße von Kertsch. Vor allem in Charkiv kam es zu einem durchschlagenden Erfolg der Ukrainer gegen die Russen. Als Reaktion auf diese Erfolge versuchten die russischen Streitkräfte die Situation weiter zu eskalieren. Nach dem Rückzug in Charkiv begannen sie etwa mit der Zerstörung des Stromnetzes. Dies setzte sich nach dem Angriff auf die Brücke über die Straße von Kertsch in noch verheerender Form fort.

Um den Kampf gegen Russland führen zu können, braucht die Ukraine weiterhin Unterstützung ihrer westlichen Verbündeten, vor allem Waffenlieferungen. Seitens der ukrainischen Führung gibt es zwei Narrative, um diese Unterstützung aufrechtzuerhalten. Zum einen verteidige die Ukraine Europa gegen die russische Aggression, zum anderen stehe sie für „unsere“ europäischen Werte einer demokratischen Ordnung im Kampf gegen Russland ein.

Auch Russland entwickelt Narrative, mit denen es die eigene Bevölkerung beeinflussen möchte. Eine wichtige Botschaft ist, dass es sich bei diesem Krieg nicht um einen Kampf Russlands gegen die Ukraine handle, sondern um einen Kampf des Westens, der USA, der NATO und Europas gegen Russland. Es sei eine Situation wie im Großen Vaterländischen Krieg, den die Großeltern gegen den Faschismus führten. Mithilfe von Propagandamaßnahmen (z. B. in Form von Videos) versucht die russische Seite die Motivation der Bevölkerung weiter zu steigern. Damit soll in der Gesellschaft ein Zusammenhalt erzeugt werden, , der es möglich macht diesen Krieg lange weiterführen zu können.

Entscheidende Unterstützung

Trotz des Vormarsches der ukrainischen Seite ist es nicht ausgeschlossen, dass die Entscheidung über Sieg und Niederlage in diesem Krieg nicht auf dem Schlachtfeld fällt, sondern an der Heimatfront. Die Unterstützung der Ukraine durch die westliche Wertegemeinschaft könnte entscheidend sein. Gleichzeitig gerät der Westen möglicherweise in den nächsten Wochen und Monaten unter Druck, wenn, wie suggeriert, mangelnde Rohstoffe zum Problem werden.

Zug um Zug

An diesem Punkt kann man den Konflikt wie ein Kartenspiel betrachten, in dem beide Seiten – Russland und der Westen – um die Ukraine spielen. Ein Staat hat mehrere Möglichkeiten Macht auszuüben: Er kann Diplomatie anwenden, sich das Lagebild zu Nutze machen oder das Militär bzw. seine wirtschaftliche Stärke einsetzen.

Russland hat dieses Kartenspiel mit dem Einsatz der „militärischen Karte“ begonnen. Darauf hat der Westen mit der „ökonomischen Karte“, den Sanktionspaketen, geantwortet. Im nächsten Zug hat Russland seine „ökonomische Karte“ ausgespielt und versucht damit den Westen in die Knie zu zwingen. Die entscheidende Frage wird sein: Wer hat den längeren Atem in diesem „Spiel“? Vor allem, wenn die „diplomatische Karte“, also mögliche Verhandlungen, derzeit ausgeschlossen wird und das Lagebild durch massive Propaganda beider Seiten unklar und verklärt ist.

Die wirtschaftlichen Herausforderungen für den Westen sind enorm. Immer mehr Demonstrationen gegen die Sanktionierung Russlands in Europa zeigen, dass bereits Risse durch die europäischen Gesellschaften gehen. An diesem Punkt ist es aus Sicht des Westens besonders wichtig zusammenzuhalten und sich nicht den Angriffen im Informationsraum auszusetzen.
 

Fazit

Der Ukraine Krieg ist noch nicht zu Ende. Der Konflikt wird vielmehr weitergeführt bis in unsere Wohnzimmer. Es gibt eine Auseinandersetzung auf dem Gefechtsfeld, aber auch die latente Frage, ob die Ukraine weiter unterstützt werden soll oder nicht. Ohne Unterstützung des Westens kann die Ukraine den Krieg nicht fortführen. Daher ist es im Interesse Russlands einen Keil in die europäischen Gesellschaften zu treiben, um diese Unterstützung zu untergraben.

Oberst dG Dr. Markus Reisner, PhD ist Leiter der Entwicklungsabteilung der Theresianischen Militärakademie, dzt. Kommandant der Garde in Wien.

 

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