• Veröffentlichungsdatum : 15.09.2022

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Die Logistik der Streitkräfte Russlands - Teil 2

Gerhard Gürtlich, Stefan Lampl

Dieser Artikel ist die Fortsetzung des gleichnamigen Beitrages im TD-Heft 2/2022 mit Stand März 2022.

Die russischen Streitkräfte erfuhren in den vergangenen zehn Jahren eine tiefgreifende strukturelle Veränderung und Modernisierung. Neben der Anzahl der militärischen Verbände, dem Führungssystem, neuen Waffen, dem organisatorischen und personellen Aufbau der Truppen wurden auch logistische Strukturen sowie deren Aufgaben und Abläufe reformiert.
 

­Logistische Herausforderungen in der Ukraine

Als Berechnungsgrundlage für den täglichen logistischen Bedarf wird von einer Anzahl von 110.000 Soldaten (100 bis 120 taktische Bataillonskampfgruppen; Battalion Tactical Groups – BTG), die direkt bei den Kampfhandlungen in der Ukraine eingesetzt sind, ausgegangen. Eine BTG ist eine von der russischen Armee eingesetzte Manövereinheit mit hohem Bereitschaftsniveau, verschiedenen Waffensystemen und bis zu 150 (teilweise gepanzerten) Fahrzeugen. In der Regel besteht sie aus einem Bataillon mit zwei bis vier mechanisierten Infanterie- und/oder Panzergrenadierkompanien, das durch Flugabwehr- und umfangreiche Artillerieeinheiten (inkl. Raketenartillerie) sowie eine Panzerkompanie verstärkt wird. Zusätzlich können auch Logistikeinheiten unterstellt werden. BTG sind die Hauptstütze der russischen Militärintervention in der Ukraine.

Darüber hinaus wird angenommen, dass jeder Streitkräftegruppierung/Armee eine MTO-Brigade unterstellt ist. Dies würde bedeuten, dass für die gesamte Operation der russischen Landstreitkräfte in der Ukraine fünf MTO-Brigaden und ein logistisches Element (zumindest ein MTO-Bataillon) für die amphibische Landung im Bereich der Krim eingesetzt sind. Im Raum der südlichen Militärbezirke befindet sich darüber hinaus eine strategische logistische Basis, die die Folgeversorgung für die Landstreitkräfte sicherstellt. Auf die logistische Durchhaltefähigkeit des russischen Angriffes haben die Faktoren 

  • logistische Infrastruktur, 
  • Wetter, 
  • Kampf im urbanen Gelände, 
  • Führung und
  • Distanzen

eine wesentliche Auswirkung.

Logistische Infrastruktur 

Über einen längeren Zeitraum verdichteten die russischen Streitkräfte, neben ihren permanenten stationären militärischen Einrichtungen, die logistische Infrastruktur für einen Angriff auf die Ukraine durch feldmäßige Einrichtungen. Aus diesen Einrichtungen kann sowohl die Folgeversorgung der angreifenden Verbände als auch ein möglicher Ersatz für Schadmaterial erfolgen. Darüber hinaus wurden gemeinsame Übungen in Weißrussland sowie Marineübungen im Schwarzen Meer abgehalten, bei denen auch logistische Abläufe, Prozesse und Verfahren geübt wurden. 

Wetter

Eine Invasion, die im Februar beginnt hat den Vorteil, dass der Boden gefroren ist, und damit die Bewegung großer mechanisierter Verbände quer durch das Land ermöglicht. Jedoch gibt es den Nachteil, dass diese bei eisiger Kälte und eingeschränkter Sicht operieren müssen. Das Tageslicht im Februar beträgt ungefähr zehn Stunden, weshalb die Fähigkeit zum Nachtkampf nötig ist, um den Vormarsch aufrechtzuerhalten. Im März müssen sich mechanisierte Kräfte jedoch mit dem berüchtigten Tauwetter („Rasputitsa“) auseinandersetzen. Dann tauen die gefrorenen Steppen auf und verwandeln sich bestenfalls in ein Moor, schlimmstenfalls in ein Schlammmeer. Dies kanalisiert die angreifenden Kräfte auf die befestigten Bewegungslinien und erhöht den Bedarf an Bergefahrzeugen. Die Konzentration von Kampftruppen und Logistikelementen auf befestigte Bewegungslinien erhöht wiederum deren Verwundbarkeit gegenüber Angriffen aus der Luft.

Kampf im urbanen Gelände

Der Großteil des Geländes ostwärts des Flusses Dnjepr besteht aus Feldern und Wäldern. Dennoch gibt es mehrere größere städtische Gebiete, die die russischen Truppen entweder einnehmen, umgehen oder belagern müssten. Kiew hat fast drei Millionen Einwohner, Charkiw etwa eineinhalb Millionen, Odessa und Dnipro etwa eine Million, oder Mariupol beinahe 500.000. 

Für die russischen Truppen wäre es am besten, die städtischen Gebiete zu umgehen. Charkiw liegt jedoch nahe der Grenze zu Russland und ist ein wichtiger Straßen- und Eisenbahnknotenpunkt. Die Kontrolle Charkiws ist somit entscheidend für die logistische Unterstützung des zentralen Vorstoßes in Richtung Dnjepr und darüber hinaus. Kiew stellt eine ähnliche Herausforderung dar und hat als Hauptstadt der Ukraine einen hohen symbolischen Wert.

Führung

Für die russische Führung ist es eine Herausforderung, alle Truppen mit angemessener Marschdisziplin in eine Angriffsposition zu bringen. Es ist aber auch schwierig für die Streitkräfte, diese Disziplin während des Angriffes aufrechtzuerhalten, damit die enormen Mengen an Fahrzeugen und Soldaten, die sich auf einer begrenzten Anzahl von rutschigen und schlechten Straßen – oft bei Nacht – bewegen, nicht in einem gigantischen Stau steckenbleiben. Die Koordinierung von Luftlandeangriffen ist eine weitere Herausforderung. Zwar können diese entlang des Dnjepr oder bei „symbolhaften Städten“ angelandet werden. Hier stellt sich jedoch die Frage, wie lange diese durchhalten können, während mechanisierte Kräfte versuchen, diese über winterliche Straßen zu erreichen.

Distanzen

Der erste Angriff wird durch Artillerie- und Luftunterstützung aus vorbereiteten grenznahen Einsatzräumen unterstützt. Sobald die Kampfverbände jedoch ihre ersten Vorräte an Munition, Betriebs- und Lebensmitteln jenseits der Grenze verbraucht haben, beginnt die eigentliche Belastungsprobe für die Logistik der russischen Streitkräfte. Dann ist die Fähigkeit gefordert, den Vormarsch einer massiven mechanisierten Streitmacht über hunderte Kilometer zu unterstützen.

Verpflegung und Betriebsstoffe

Je Soldat und Tag werden 2,5 bis 3,5 kg an Verpflegung (zwei Mahlzeiten sollten warm sein) und ca. 10 Liter Trinkwasser (Trinken und Hygiene) benötigt. Das bedeutet einen täglichen Gesamtbedarf für ca. 120 BTG von ca. 300.000 bis 420.000 kg
Lebensmittel und ca. 1,2 Millionen Liter Trinkwasser. 

In den ersten Tagen wird sich die Bereitstellung von Verpflegung und Wasser, vor allem für die Luftlandeverbände, auf Flaschen bzw. Konserven beschränken. Die Versorgung mit Wasser für die Hygiene kann durch eine örtliche Entnahme sichergestellt werden und sollte keine große Herausforderung darstellen. Der Transport von täglich 1,2 Millionen Liter Wasser in Trinkwasserqualität (oder 800.000 Flaschen zu 1,5 Liter) kann aber durchaus zum Problem werden.

Der tägliche Gesamtbedarf an Betriebsmitteln dürfte für die ca. 120 BTG und die zusätzlichen Unterstützungselemente in der Ukraine etwa vier Millionen Liter betragen (zum Vergleich: Die OMV in Wien-Schwechat produziert täglich etwa eine Million Liter Kraftstoff). Grundsätzlich sollten die Tank-LKW (Fassungskapazität ca. 20.000 l) der MTO-Bataillone pro Tag zwei Umläufe durchführen, um eine kontinuierliche Versorgung der angreifenden Verbände zu gewährleisten. Die Bereitstellung von ausreichend Betriebsmitteln für die Einsatzverbände ist ein hoher militärlogistischer Aufwand, der über lange Wegstrecken nicht nur durch LKW-Transporte abgedeckt werden. Daher ist ein funktionierendes Eisenbahnnetz für den Nachschub von Betriebsstoffen, aber auch von Munition und anderen Gütern von besonderer Bedeutung. Eine Abstützung der Logistik der MTO-Bataillone nur auf den LKW-Transport ist zwar möglich, wird jedoch kaum bedarfsdeckend sein.

Hinter den Einsatzverbänden sind in einem Abstand von 100 bis 150 km die Abschlauchanlagen bzw. die Betriebsstoffversorgungeinrichtungen zu betreiben. Die russischen Streitkräfte verfügen aber nicht über genügend LKW, um ihren logistischen Bedarf mehr als 140 km über die Versorgungslager hinaus zu decken. Um eine Reichweite von 280 km zu erreichen, müsste die LKW-Zuweisung für jede MTO-Brigade auf 400 LKW verdoppelt werden. Ferner müssten genügend geländegängige Tankwagen bereitgehalten werden, um die Verbände in den unterschiedlichen Einsatzorten versorgen zu können.

Bahnnetz der Ukraine – Logistische Nutzung

Lokomotiven und Waggons der Russischen Staatsbahn und der zehn Eisenbahnbrigaden können eisenbahntechnisch uneingeschränkt in der Ukraine eingesetzt werden. Die Ukrainische Eisenbahngesellschaft verfügt über dasselbe Strom-, Betriebs-, Kommunikations- und Sicherungssystem wie die Russische Staatsbahn. Probleme könnten Sabotageakte oder Arbeitsniederlegungen des Personals bereiten. Allerdings dürfte es für die russischen Eisenbahnbrigaden nach kurzer Vorlaufzeit möglich sein, die ukrainische Eisenbahn auf den Hauptstrecken zu betreiben, und sei es nur für Güterzüge mit 20 bis 30 km/h Höchstgeschwindigkeit. Das Problem besteht eher darin, eine genügende Anzahl an Kesselwaggons zur Verfügung zu stellen und permanent im Umlauf zu halten.

Die technische und betriebliche Adaptierung der russischen und ukrainischen Eisenbahnanlagen dürfte in einem Tag erledigt sein. Das Kriterium der Streckenkenntnis beim Lokomotivpersonal ist wegen der unter Gefechtsbedingungen herabgesetzten Geschwindigkeit und des (wahrscheinlichen) „Fahrens auf Befehl“ vernachlässigbar. Als wichtige Eisenbahnverbindung zur Sicherstellung des Angriffes werden die Linien 

  • Belgorod (RUS)-Charkiw-Kiew,
  • Homel-Kiew und
  • jene von Sewastopol (Sewastopol-Zaporizhzhya-Charkiw sowie Sewastopol- Cherson-Cherkasy-Kiew)

beurteilt. Diesbezüglich dürfte sich der Zustand der Eisenbahnlagen gegenwärtig (März 2022) wie folgt darstellen:

Bahnlinie Belgorod-Charkiw-Kiew

Die Strecke Belgorod-Charkiw ist elektrifiziert und dürfte durchgehend zweigleisig sein. Die in der zivilen Logistik geschätzte Elektrifizierung von Strecken ist für die militärische Nutzung im Einsatz vernachlässigbar. Es ist davon auszugehen, dass der militärische Betrieb in der Ukraine ausschließlich mit Großdiesellokomotiven erfolgt. Der Bahnknotenpunkt Charkiw und sein Umfeld (Vorbahnhöfe) sind leistungsfähig. Durch den enormen Kohle- und Erzverkehr gibt es viele Strecken-, Verschub- und Abstellkapazitäten. Zwischen Charkiw und Kiew gibt es zwei Hauptstrecken. Die nördliche über Sumy ist zweigleisig, zum Teil elektrifiziert und leistungsfähig, der südliche Ast ist durchgehend zweigleisig und elektrifiziert (3 KV-Gleichstrom). Dazwischen gibt es Querverbindungen, die für den Umgehungsverkehr bedeutend sind.

Bahnlinie Homel-Kiew 

Die Bahnlinie Homel-Kiew ist eine eingleisige, nicht elektrifizierte Hauptbahn, mit Kreuzungsbahnhöfen, aber vermutlich wenig geeigneten Ladegleisen nördlich von Kiew. Insgesamt dürfte sie nicht besonders leistungsfähig sein und eher die Bahnstrecke Mozyr-Korosten-Kiew genutzt werden. Diese ist durchgehend zweigleisig und ab dem Bahnknoten Korosten elektrifiziert. Zusätzlich gibt es Querverbindungen und Ergänzungslinien, die wegen der Grundstoffindustrie in diesem Gebiet vermutlich gut für den Schwerverkehr geeignet sind.

Strecken Richtung Ostukraine und Krim

In Richtung Ostukraine könnten im Norden einige Strecken für den Güterverkehr offen sein, wenngleich die meisten Strecken im Süden seit Jahren unterbrochen sein dürften. Die Halbinsel Krim ist von Kertsch über die neu errichtete Brücke und eine eingleisige, elektrifizierte Strecke gut erreichbar; nördlich von Simferopol ist die Strecke zweigleisig elektrisch. Mariupol ist insofern interessant, da der dortige Bahnhof aus dem Hinterland zweigleisig elektrisch erreichbar ist. Logistische Operationen können die Ukraine über diese Strecke gut versorgen. Darüber hinaus gibt es umfangreiche (möglicherweise nun zerstörte) Bahnanlagen im Hafen von Mariupol.

Strecken ab Sewastopol

Der Knoten Sewastopol dürfte nicht besonders leistungsfähig sein. Die anschließende Strecke ist eingleisig und elektrifiziert, hat aber Gebirgscharakter, weshalb Engpässe wahrscheinlich sind. Beide Strecken sind an der ukrainischen Grenze offenbar seit 2014 unterbrochen. Ein leistungsfähiger Schienenverkehr ist vermutlich erst entlang und nördlich der Linie Mykolajiw-Melitopol-Mariupol möglich. Richtung Kiew und Charkiw sind die Strecken vermutlich ab diesem Punkt leistungsfähig. 

Bahnnetz Richtung Slowakei und Ungarn

Die Stadt Cop in der Ukraine hat zwei leistungsfähige Verbindungen Richtung Westen: Eine nach Cierna nad Tisou, eine andere nach Dobra bei Cierna nad Tisou (beide Slowakei) und eine nach Záhony (Ungarn). Die Verbindungen haben sowohl ein Breitspur- als auch ein Normalspurgleis zwischen den Grenzbahnhöfen. Die leistungsfähigen Anlagen ermöglichen den Umschlag von der Breit- auf die Normalspur in Cop und in Cierna nad Tisou, Dobra und Záhony. Mehrheitlich findet der Umschlag jedoch in Cop statt, wo zumeist auch die Verzollung durchgeführt wird. 

Die Eisenbahnanlagen dies- und jenseits der ukrainischen Grenze machen einen verfallenen, ungepflegten Eindruck, wenngleich bei Záhony ein neuer leistungsfähiger Terminal für den kombinierten Verkehr in Betrieb genommen wurde. Der entscheidende Nachteil dieser Verbindungen ist, dass alle Güter und Container an der Grenze von der Breit- auf die Normalspur umgeladen werden müssen. Ferner gibt es eine Breitspurverbindung bis nach Košice für das Stahlwerk US Steel, womit die russische Breitspur „tief in der Slowakei“ angekommen ist. Dennoch müssen in Košice alle Güter und Container für einen etwaigen Weitertransport von der Breit- auf die Normalspur umgeladen werden. Daraus resultiert wohl auch der strategische Ansatz, die Breitspur bis in den Raum Bratislava für den Aufbau einer zivilen Logistik zu verlängern.

Bahnnetz Richtung Polen

Der Übergang für den Personenverkehr in Przemysl ist nicht besonders leistungsfähig. Nördlich davon (hauptsächlich für den Güterverkehr) gibt es eine Verbindung ab dem großen Verschiebebahnhof Zurawica. Die Strecke Kraków-Tarnów-Przemysl ist modern ausgebaut und leistungsfähig. In der Ukraine (wo der Spurwechsel stattfindet) dürfte die Strecke nach Lemberg die leistungsfähigste Eisenbahnstrecke sein („Relikt der Deutschen Wehrmacht“). Zusätzlich gibt es seit Kurzem eine weitere Verbindung. Diese ist ein „Relikt der k. k. Eisenbahn“ (ehemalige galizische Transversalbahn) und wurde wegen der Ukraine-Krise auf polnischer Seite von Zagórz Richtung Ukraine reaktiviert. Sie ist jedoch in einem „beklagenswerten“ Zustand und wenig leistungsfähig.

Darüber hinaus existiert eine Breitspurverbindung bis in das oberschlesische Industriegebiet im Raum Gliwice. Damit ist die russische Breitspur auch „tief in Polen“ angekommen, wenngleich auch in Gliwice alle Güter und Container für den Weitertransport von der Breit- auf die Normalspur umgeladen werden müssen. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass systembedingte Umschlagsaktivitäten im Eisenbahntransport zeit- und personalintensive Zwangspunkte sind. Damit sind sie ein schwer zu überwindendes Hindernis für größere logistische Operationen und ein willkommenes Ziel für Präzisions- und Lenkwaffen.

Bahnnetz Richtung Ukraine/Weißrussland

Früher gab es mehrere Eisenbahnverbindungen zwischen der Ukraine und Weißrussland. Diese dürften jedoch seit Jahren mehrheitlich außer Betrieb gesetzt und in vielen Fällen vernachlässigt worden sein. Allerdings entfällt das zwangsweise Umladen von Gütern und Containern von der Breit- auf die Normalspur, und auch die Betriebs-, Sicherungs- und Stromsysteme sind ident.

Straßennetz und Schifffahrt

Auffallend ist, dass das Netz der Eisenbahn und das Netz der hochrangigen Straßenverbindungen beinahe deckungsgleich sind. Dies erleichtert die Durchführung großräumiger Logistikoperationen, da eine Wahlmöglichkeit zwischen den Verkehrsträgern Schiene und Straße besteht. Die Voraussetzung dazu ist eine entsprechend große und verfügbare LKW-Flotte. Die Nutzung der Binnenschifffahrt am Dnjepr für die Versorgung der Streitkräfte mit Betriebsmitteln in einer späteren Phase wäre möglich.
 

Nachwort

Russland entwickelte seine militärischen Fähigkeiten mit dem ausdrücklichen Ziel, sich gegen eine Bodeninvasion der NATO, einen nuklearen Angriff oder gegen beides verteidigen zu müssen. Diese Motivation führte zu einer Verteilung der Streitkräfte auf Militärstützpunkte im gesamten Staat. Die Notwendigkeit, sich effizient entlang der Verbindungslinien im Landesinneren zu bewegen und Kräfte rasch an eine mögliche Front zu bringen, erfordert ein dichtes Eisenbahn- und Straßennetz sowie Flughäfen und Knotenpunkte. Die russischen Bodentruppen können, aufgrund der Abstützung auf die Eisenbahnpionierelemente, schnelle, wirksame und effiziente Straßen-, Schienen- und Kurzstreckenlufttransporte innerhalb der Militärbezirke, zwischen diesen und aus diesen heraus durchführen.

Bei einer Beurteilung der logistischen Fähigkeit der russischen Streitkräfte (vor allem der Bodentruppen) jenseits der Grenzen müssen zwei einschränkende Faktoren in Betracht gezogen werden. Erstens, die logistische Organisation des Nachschubes. Zweitens, die Verfügbarkeit von ausreichendem Transportraum für die Folgeversorgung. Der konkrete logistische Bedarf der russischen Streitkräfte in der Ukraine ist schwierig abzuschätzen, dürfte aber erheblich sein. Allein für den Nachschub von Munition und Trockenfracht benötigen die russischen Streitkräfte eine enorme Anzahl an LKW. Diese ist kaum verfügbar und muss in einem beweglichen Gefecht koordiniert werden. Daher ist sowohl bei der Betriebsmittel- als auch bei der Munitionsversorgung die Eisenbahn das Haupttransportmittel. Nur so kann der Bedarf gedeckt und die Umläufe der Versorgungs-LKW der MTO-Bataillone verkürzt werden. Andernfalls ergeben sich für die Logistik kaum lösbare Aufgaben.

Als erste Schlussfolgerung lässt sich ableiten, dass die logistischen Probleme der russischen Streitkräfte in den ersten Wochen des Ukraine-Krieges eine Überraschung sind. Sie zeigen, dass sich die russischen Streitkräfte entlang von Eisenbahnlinien bewegen müssen, damit ihre Logistik funktioniert. Jedenfalls zeigt sich die Bedeutung der Militärlogistik für die Durchführung von großräumigen und großvolumigen militärischen Operationen und die Aktualität des Zitates von James M. Cox: “Behind every great leader there was an even greater logistician”.

Brigadier Stefan Lampl; Kommandant der Heereslogistikschule.
Prof. Dr. Gerhard Gürtlich; Sektionschef i.R. im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie.

 

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