- Veröffentlichungsdatum : 03.09.2020
- – Letztes Update : 08.09.2020
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Menschenorientierte Führung und Wehrpolitik

Das Zentrum für Menschenorientierte Führung und Wehrpolitik (ZMFW) hat ein breites Aufgabenspektrum. Dieses teilt sich einerseits in Lehre bzw. (Aus-)Bildung und andererseits in praxisorientierte Forschungsaufgaben auf, um stets zeitangepasst zu agieren. Ein Rückblick auf das Jahr 2019 beschreibt das Spektrum und die Aufgaben dieser Dienststelle.
Die Kernaufgabe des ZMFW ist die Sicherstellung einer zeitgemäßen, wertschätzenden, wirklichkeitsgetreuen und geschlechter-/diversitätsgerechten Führung und Ausbildung aller Militärpersonen und Zivilbediensteten des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH). Der Schwerpunkt liegt dabei vor allem in den militärisch relevanten Bereichen der Human- und Sozialwissenschaften auf universitärem, außeruniversitärem, nationalem und internationalem Level. Die (angewandten) Forschungs- und Lehrbereiche des Zentrums beschäftigen sich insbesondere mit den Bereichen
- Führungsverhalten,
- Kulturgüterschutz,
- Empirische Sozialforschung,
- Führungskräfteentwicklung,
- Führungs-/Militärethik,
- Führungs-/Militärpädagogik,
- Führungs-/Militärpsychologie,
- Führungs-/Militärsoziologie,
- Staats- und Wehrpolitische Bildung sowie Geschichte.
Das ZMFW fungiert ebenfalls als Leitstelle für Militärexperten des Bundesministeriums für Landesverteidigung (BMLV) in den Bereichen der Anomalie (Abweichung vom Normalen; Anm.) und der grenzwissenschaftlichen Phänomene (Untersuchung von Phänomenen, die noch nicht verstanden werden), in der empirischen Sozialforschung, Ethnologie und Interkulturalität. Zusätzlich wirkt das Zentrum an der Entwicklung der Landesverteidigungsakademie zu einem Kompetenz- und Innovationszentrum mit.
Die wesentliche Zielsetzung, aber auch Herausforderung des ZMFW ist es, bei Einsätzen und sonstigen fordernden Situationen des ÖBH zeitnah eine wissenschaftlich fundierte und praxisorientierte Unterstützung für die Truppe zu gewährleisten. Dieses Unterstützungsspektrum erstreckt sich über alle Ebenen des ÖBH – vom Rekruten bis zum General und über alle Zivilbediensteten. Ein Beispiel dafür ist das „Trend Radar“ im Zuge der COVID-19-Krise. Das erste Produkt erschien am 19. März 2020, unmittelbar zu Beginn des COVID-19-Lockdowns, das zweite am 17. April 2020. Die wesentlichen Ziele waren, möglichst rasch Information zur Lage und Tipps für den Umgang mit dieser Situation zu geben.
Die Resonanz auf die Publikationen war überaus positiv, und sie werden weit über den militärischen Bereich hinaus verwendet. Das Einsatz- bzw. Verwendungsspektrum der beiden Publikationen reicht vom Gemeinderat bis zu den höchsten staatlichen Gremien, z. B. im staatlichen Krisen- und Katastrophenschutzmanagement. Im Ressortbereich gab es Rückmeldungen von der Truppe über die militärstrategische Führungsebene bis hin zur Ressortführung.
Die Aufgabenbereiche des ZMFW werden durch vier Hauptreferate abgedeckt: „Innere und soziale Lage“, „Wehrpolitik, Staats- und Wehrpolitische Bildung, Zielgruppenbetreuung“, „Menschenführung“ und „Innere Ordnung“. Die Abdeckung der administrativen und organisatorischen Tätigkeiten erfolgt im Referat „Zentrale Aufgaben“. Dieses arbeitet im internationalen und nationalen Bereich mit Bildungseinrichtungen, Organisationen und Partnern zusammen.
Hauptreferat I (Innere und soziale Lage)
Die Hauptaufgabe dieses Fachbereiches ist die empirische Sozialforschung, insbesondere die kontinuierliche Erstellung eines inneren und sozialen Lagebildes. Dieses soll die Motivationslage und den sozialen Zustand der Angehörigen des Ressorts darstellen. Weiters werden empirische Untersuchungen für ressortinterne Auftraggeber und Auftraggeberinnen durchgeführt. Im Jahr 2019 wurden durch das Hauptreferat insgesamt 11 130 Personen befragt. Neben den diversen Erhebungen zum sozialen Lagebild lagen die Schwerpunkte des Jahres vor allem im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. So wurden im Auftrag der Abteilung Information & Öffentlichkeitsarbeit des BMLV Besucherbefragungen bei der AIRPOWER19 und den Veranstaltungen zum Nationalfeiertag durchgeführt, die sich mit der Veranstaltungszufriedenheit und dem Image des ÖBH befassten.
Zusätzlich wurden in enger Kooperation mit dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Deutschen Bundeswehr (siehe dazu TD-Heft 3/2019) und unter Abstützung auf ein externes Meinungsforschungsinstitut zwei Befragungen zu sicherheitspolitischen Meinungsbildern in der österreichischen Bevölkerung realisiert. Die Ergebnisse dieser Studien wurden unter anderem in der 2019 erstmals erschienenen Publikationsreihe „Trend Radar“ veröffentlicht, die seit 2020 viermal jährlich erscheint. Der Fokus des „Trend Radars“ liegt auf dem Erfassen des Bedrohungserlebens, der sicherheitspolitischen Einstellungen und dem Image des ÖBH bei der Bevölkerung. Zu diesem Zweck führen die Sozialforschenden des ZMFW Befragungen in Zusammenarbeit mit Meinungsforschungsinstituten durch. Zur Erhöhung der Aussagekraft der Daten kooperiert das ZMFW mit Forschenden der Deutschen Bundeswehr und der Schweizer Armee, die ähnliche Befragungen durchführen. Die im „Trend Radar“ publizierten Befragungsergebnisse sind kein Selbstzweck. Sie sollen eine wesentliche Unterstützung für Kommandanten und Führungskräfte des ÖBH darstellen.
Ein weiterer Schwerpunkt im Jahr 2019 war die Milizbefragung 2019 im Auftrag der Abteilung Einsatzvorbereitung, die einen wesentlichen Beitrag zur Erstellung eines aktuellen Stimmungs- und Lagebildes zur Situation der Miliz geleistet hat.
Wie bereits in den Jahren zuvor veranstaltete das Hauptreferat einen Workshop zum sozialen Lagebild, an dem sich Personal aus allen Bereichen und Ebenen des ÖBH sowie erstmalig auch Schülerinnen und Schüler sowie Studierende beteiligten. Bei der Veranstaltung wurden Befragungsergebnisse zur inneren und sozialen Lage diskutiert, Empfehlungen ausgearbeitet und die so gewonnenen Erkenntnisse in das „Soziale Lagebild 2018“ eingearbeitet. Die Veröffentlichung der empirischen Erkenntnisse des Hauptreferates erfolgte im Jahr 2019 bei Kongressbeiträgen bei der 8. Konferenz der „European Survey Research Association“ und des „Tags der Sozialwissenschaften“ an der Landesverteidigungsakademie. Darüber hinaus wurde die bestehende Kooperation mit der Fakultät für Psychologie der Universität Wien weiter ausgebaut. So befassten sich fünf Studierende bei ihren Masterarbeiten mit vertiefenden Analysen der durch das Hauptreferat erhobenen empirischen Daten.
Hauptreferat II (Wehrpolitik, Staats- und Wehrpolitische Bildung, Zielgruppenbetreuung
Diesem Hauptreferat obliegen vor allem die Planung, Forschung, Steuerung und Weiterentwicklung der Wehrpolitik sowie der Staats- und Wehrpolitischen Bildung im ÖBH. Im Jahr 2019 wurde die elektronische wehrpolitische Mappe auf die bundesheerinterne Lernplattform Sitos SIX gestellt. Darüber hinaus wurden die Stundenbilder auf den letzten Stand gebracht und für die Ausbildung der Rekruten in Zusammenarbeit mit der Theresianischen Militärakademie als Fernlehrprogramm konzipiert. Ebenso wurde die wehrpolitische Information „Miliz in der Heeresgliederung 2019“ aktualisiert. Schlussendlich wurde im Mai eine wehrpolitische Fortbildungsveranstaltung in der Reihe der „Human- und sozialwissenschaftlichen Seminare“ durchgeführt, zu der neben den Experten des BMLV auch Vortragende der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gewonnen werden konnten.
Einen weiteren Aufgabenbereich stellt die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Informationsoffiziere dar. So konnten nach erfolgreich absolvierter Ausbildung 25 neue Informationsoffiziere in die Gemeinschaft aufgenommen werden. Im Bereich des Informations- und Kommunikationstrainerwesens wurden verschiedene Ausbildungsgänge für Informationsoffiziere ausgerichtet, eine Sachbearbeitertagung mit allen Militärkommanden sowie dem IKT&Cyber Sicherheitszentrum abgehalten und ein wehrpolitisches Seminar für Informationsoffiziersanwärter veranstaltet. Außerdem entwickelt das ZMFW in Zusammenarbeit mit anderen Dienststellen ein Abzeichen für den neu geschaffenen Fachbereich „Lehrtrainer/Kommunikation“.
Bei der jährlichen Fort- und Weiterbildung wurden 2019 unter anderem folgende Vorhaben organisiert bzw. unterstützt:
- Bundesweite Zusammenziehung für Informationsoffiziere („Tag der Informationsoffiziere 19“) in der Rossauer Kaserne „Bernardis-Schmid“;
- Bewerbungstrainings für Lehrlinge beim Heerespersonalamt (Abstellung von Kommunikationstrainern);
- Eine Ausbildung im Bereich Kommunikation bei der Kaderanwärterausbildung 3 für die Heeresunteroffiziersakademie (Abstellung und Koordinierung von Kommunikationstrainern);
- Trainertätigkeiten bei den Seminaren: „Kommunikation mit Suchtgefährdeten - schwierige Gespräche meistern“, „Fachgespräch der Behindertenvertrauenspersonen“, Lehrveranstaltung „Werte, Normen, Generation“ sowie beim Workshop „Persönlichkeitsentwicklung Militärisches Immobilienmanagementzentrum“, und auch beim Seminar Stellungsstraße, Cross Mentoring Programm, Auswahlseminar Trainer, Basismodul Trainer;
- Teilnahme an der gemeinsamen Arbeitsgruppe „Geistige Landesverteidigung“ des BMLV und des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) zur Reaktivierung der geistigen Landesverteidigung an den Schulen.
Des Weiteren kümmert sich dieser Fachbereich um die wehrpolitisch relevanten Vereine und Partner des ÖBH. Ende des vergangenen Jahres gab es 190 Partnerschaften, wovon 2019 neun dazu gekommen sind. Diese werden bundesweit durch das Referat 2 des Hauptreferates II verwaltet und gemeinsam mit den zuständigen Militärkommanden betreut. Einmal im Jahr findet ein zentrales Partnerschaftsseminar statt, 2019 wurde dieses am Truppenübungsplatz Hochfilzen abgehalten. Ebenfalls im Jahr 2019 gab es 156 wehrpolitisch relevante Vereine mit insgesamt rund 250 000 Mitgliedern. Diese werden bundesweit durch das Referat 2 des Hauptreferates II verwaltet und gemeinsam mit den zuständigen Militärkommanden betreut, wobei 33 Vereine dem ZMFW zugeteilt sind.
Zu den Höhepunkten 2019 gehörte das 50-jährige Jubiläum der Partnerschaft zwischen der früheren Simmering-Graz-Pauker-AG (heute Siemens) mit dem damaligen Panzerbataillon 33 (heute Jägerbataillon 33). Außerdem waren die Einladungen von Partnern und ausgewählten Vereinen zum Militärmusik-Festival 2019 im Juni und zur AIRPOWER19 im September, bei der die Organisation vor Ort unterstützt wurde, ein Meilenstein.
Hauptreferat III (Menschenführung)
Die Hauptaufgabe dieses Fachbereiches ist die Aus-, Fort- und Weiterbildung des qualifizierten Ausbildungspersonals in den Bereichen Führungsverhalten und Ausbildungsmethodik. Zudem werden gezielte Beratungen und Trainings aller Ressortangehörigen in Form von Einzel- und Gruppencoachings von Führungskräften angestrebt, wobei Team- und Organisationsentwicklung, Mediation, Konfliktprävention, Einzel- und Gruppensupervision, Beratung zur Weiterentwicklung der Unternehmenskultur, Stressmanagement und Resilienz, Begleitung von Changemanagement-Prozessen sowie Interkulturalität im Vordergrund stehen.
Das Hauptreferat III war 2019 in zahlreichen Bereichen aktiv. Neben verschiedenen Vorträgen und Workshops („Interkulturelle Kompetenz“, „Diversity Management“, „Mediation und Militärische Führung“ etc.) wurde ein Auswahlverfahren für den FH-Bachelorstudiengang Militärische Führung ausgearbeitet und internationale Seminare („Blue Helmet Forum Austria 2019“ und „Interkulturalität und Diversity 2019“) organisiert. Auch in der Forschung wurde z. B. an den beiden Projekten „Integration als wesentlicher Bestandteil für Soldatische Identität“ und „Mediation und militärische Führung“ weitergearbeitet sowie Bachelorarbeiten und Masterthesen betreut.
Zusätzlich konnten zwei Publikationen verfasst werden: „Women in Peace Operations, Part Three: Women´s Participation and Leadership in Military Components of Peace Operations” und „Interkulturalität und Diversity 2018“.
Hauptreferat IV (Innere Ordnung)
Die Hauptaufgabe dieses Fachbereiches besteht in der Forschung und Lehre zu ethischen und soziologischen Aspekten von Militär und Gesellschaft. Zudem werden Grundsätze des Erscheinungsbildes und Verhaltens der Soldatinnen und Soldaten des ÖBH als Grundlage der österreichischen Militärkultur festgelegt. Darüber hinaus beschäftigt sich dieses Hauptreferat mit Maßnahmen der Gleichstellung wie Diversität, Frauenförderung, Gleichbehandlung und Gender Mainstreaming im Frieden und im Einsatz.
Das Veranstaltungs-Highlight des Hauptreferates IV im Jahr 2019 war die Konferenz „Voice and Dissent in the Military“ von der Internationalen Gesellschaft für Militärethik in Europa (Euro-ISME). Weiters wurden neben diversen Lehrtätigkeiten im externen Bereich die Lehrveranstaltungen „Militärethik“, „Militärsoziologie“ und „Wissenschaftliches Arbeiten 1 & 2“ am Fachhochschul-Masterstudiengang Militärische Führung an der Landesverteidigungsakademie abgehalten.
Außerdem brachte das Hauptreferat seine Expertise in diversen Arbeitsgruppen zu Verlautbarungsblättern und Dienstvorschriften für das ÖBH (wie Anzugsordnung und Allgemeiner Exerzierdienst) ein. Darüber hinaus wurden Genehmigungen eingeholt und Verlautbarungen für eine Vielzahl von Zugehörigkeitsabzeichen des ÖBH kundgemacht.
Ausblick 2020
Für das Jahr 2020 werden die Schwerpunkte auf verschiedenen Befragungen, der Adaptierung von Curricula und der Implementierung des Arbeitsplatzes „Data Scientist“ im Hauptreferat I zur besseren Datenaufbereitung liegen. Auch die Einführung von Inhalten im Zuge der Fernlehre und die Weiterentwicklung des Lehrganges für Informationsoffiziere sollen verstärkt in den Fokus rücken. Zusätzlich ist die Neuentwicklung eines Abzeichens für den neu geschaffenen „Trainer/Informationsoffizier“, wobei das ZMFW mit anderen Dienststellen zusammenarbeiten wird, geplant. Außerdem wird an der Überleitung von Partnern und Vereinen als „Partner des Bundesheeres“ mit gesetzlicher Verankerung gearbeitet.
Oberstleutnant dhmfD Psych. Mag.(FH) Dr. Gerd-Alois Hiess, BSc MSc ist Leiter m.d.F.b. des Zentrums für Menschenorientierte Führung und Wehrpolitik.