• Veröffentlichungsdatum : 18.05.2017
  • – Letztes Update : 31.05.2017

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  • 1507 Wörter

Der lokale Krieg in der Krise

Gábor Orbán

Die Intervention der Sowjetunion in Afghanistan sowie die Kriege der USA in Vietnam und Korea zeigten die Grenzen des Konzepts des „lokalen Krieges“. Klassische Kriegskonzepte mussten in der Folge überdacht werden und wurden auch durch neue technologische Entwicklungen beeinflusst.

Teil 2 der Serie: Kriegsführung seit 1945

Dass Mächte wie die USA oder die Sowjetunion nicht imstande waren, „einfache“ Partisanengruppierungen zu besiegen, hatte eine regelrechte Schockwirkung in den Fachkreisen ausgelöst. Die Militärtheoretiker stellten dementsprechend die Effizienz der gesamten lokalen Kriegsführung in Frage. Sowohl Vietnam als auch Afghanistan waren zwar „lokale Kriege“, die mit konventionellen Mitteln asymmetrisch geführt wurden, sie wiesen allerdings auch einige Besonderheiten auf. In Afghanistan trat der Glaube in den Vordergrund, womit der Krieg eine starke religiöse Färbung erhielt – eine Tendenz, die im 21. Jahrhundert im Aufschwung begriffen ist.

Des Weiteren haben die Besatzungsmächte die Partisanenbekämpfung verfehlt. Die USA, aber auch die Sowjetunion, gingen mit Gewalt gegen den Gegner vor, missachteten aber dabei die Grundregel der asymmetrischen Kriegsführung, nämlich die Partisanen von der Bevölkerung zu isolieren. Stattdessen beschossen sie mit schweren Waffen zivile Objekte, womit sie die örtliche Bevölkerung gegen sich aufbrachten. Der brutalen Vorgehensweise und dem Unvermögen, zwischen Zivilisten und Aufständischen zu unterscheiden, fielen in Vietnam schätzungsweise zwei bis vier Millionen, in Afghanistan mindestens eine Million Menschen zum Opfer.

Solche Verluste erweckten Zweifel am „begrenzten“ Charakter „lokaler Kriege“, denn der Tod von Millionen von Unschuldigen erinnerte eher an einen totalen Krieg wie den Zweiten Weltkrieg. Einen weiteren Kritikpunkt stellte die territoriale Eingrenzung der Einsätze dar. Der Halt an der jeweiligen Landesgrenze ermöglichte es den Partisanen, in den benachbarten Staaten für den weiteren Kampf ungestört Kraft zu sammeln. Weder die USA, noch die Sowjetunion griffen in diesen Ländern militärisch ein.

Die Theorie des „lokalen Krieges“ war damit in Bedrängnis geraten. Im Jahr 1989 brach das sowjetische Imperium östlich des Eisernen Vorhangs zusammen. Der jahrzehntelange Rüstungswettlauf der Supermächte ging plötzlich zu Ende und die Gefahr eines atomaren Krieges schien der Vergangenheit anzugehören. Der Umschwung von 1989 blieb auch in der globalen Kriegsführung nicht ohne Folgen. Die neue Machtkonstellation beziehungsweise das Vakuum, das die Sowjetunion hinterließ sowie das Versagen des „lokalen Krieges“ führten Ende der 1980er Jahre zu einer erneuten militärischen Revolution. Voraussetzung für diese waffentechnische Weiterentwicklung war der rasante und unaufhaltsame Siegeszug der Computertechnik.

Integrierte Kriege und das Informationszeitalter

Die Lehre vom „lokalen Krieg“ bewies, dass Konflikte nicht immer demselben Muster entsprechen können, da vollkommen identische Kriege nicht existieren. Die Abweichungen von dem offiziellen Konzept vermehrten sich im Laufe des Kalten Krieges ständig, bis die strategisch-taktischen Anomalien das Bild des „lokalen Krieges“ verzerrten: Verstärkte Asymmetrie in Form von Guerilla, Terror und Abbau klarer Frontlinien, religiöser Fanatismus oder Tendenzen zu einer aggressiven Totalität (trotz angekündigter Begrenzung von Gewaltanwendung) deuteten auf eine notwendige Veränderung im militärischen Denken hin. Die neuen Regeln der Kriegsführung versuchten auf diese Erfordernisse zu reagieren. Sie wurden ab 1986 unter dem Begriff „Integrierter Krieg“ zusammengefasst. 

Die Streitkräfte einer integrierten Kriegsführung sollten dazu fähig sein, weltweit rasch und effektiv einzugreifen, symmetrisch und auch asymmetrisch kämpfende Gegner auszuschalten sowie totale und begrenzte Kriege auszutragen. Das Rückgrat der reibungslosen Durchführung solcher Operationen sollte die digitale Elektronik auf Grundlage der modernen Computertechnik bilden. Mit der Erfindung des Mikrochips und des satellitengesteuerten Navigationssystems nahmen Kriege zudem einen mehrdimensionalen Charakter an. Die neuesten Radaranlagen waren nun imstande, weit hinter die feindlichen Linien zu sehen beziehungsweise militärisch wichtige Informationen zu sammeln.

Ins Visier gelangte dabei vermehrt die Lokalisierung und Ausschaltung der gegnerischen Kommandostruktur, womit das gesamte feindliche Heer lahmgelegt werden konnte. Zu diesem Zweck wurden lasergesteuerte, sogenannte „intelligente“ Waffensysteme eingesetzt, die Ziele haargenau treffen konnten. Die Angriffe erfolgten aus dem Hinterland, sodass die eigenen Verluste gleich null waren. Diese Raketen flogen entweder ohne Piloten, so etwa der Marschflugkörper Tomahawk oder wurden von für Radar unsichtbaren Kampffliegern wie der F-117 „Nighthawk“ abgefeuert.

In US-amerikanischen militärischen Kreisen verbreitete sich daraufhin der Begriff „Chirurgische Präzision“. Eine weitere Dimension stellte der erhöhte Informationsverkehr dar, da der Besitz von Informationen stark aufgewertet wurde. Der Kampf um die Information sowie die Verbreitung von Desinformation brachte den Krieg in den kybernetischen Raum. Der „Informationskrieg“ und der „Propagandakrieg“ zählen seitdem zu den Grundpfeilen der integrierten Kriegsführung.

„Desert Storm“ in Irak (1991)

Wie der „Integrierte Krieg“ in der Praxis aussieht, zeigte das Jahr 1991. Ein Jahr zuvor versuchte der irakische Diktator Saddam Hussein seinen Einfluss im Nahen Osten auszudehnen. Der Irak litt seit dem langwierigen Krieg mit dem Iran (Erster Golfkrieg- 1980 bis 1988) unter ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sodass Hussein versuchte, die inneren Probleme mit Eroberungen zu lösen. Das erdölreiche Kuwait war dabei sein Ziel. Im August 1990 wurde das kleine Land zur irakischen Provinz erklärt und erobert. Saddam Hussein ließ dort schätzungsweise 500.000 Soldaten stationieren. Diese verschanzten sich, waren aber nur wenig kampfbegeistert. Der Westen und die USA wurden dadurch zum sofortigen Handeln gezwungen, da die Gefahr, Saudi-Arabien könnte als nächstes der Expansion Saddam Husseins zum Opfer fallen, als realistisch angesehen wurde.

Mit dem Fall Saudi-Arabiens hätte der Irak 40 Prozent der weltweiten Erdöl-Vorräte besessen, was die vom Öl abhängigen USA und ihre Verbündete nicht zulassen wollten. Bis in Saudi-Arabien eine Koalitionsstreitmacht von hunderttausenden Soldaten aufmarschierte, begann die US-amerikanische Führung die Theorie der integrierten Kriegsführung in die Tat umzusetzen. In einer ersten Vorbereitungsphase wurde zunächst die Konzentrierung der alliierten Kräfte unter der Führung der USA befohlen. 545.000 bis 660.000 Mann, aus verschiedensten Ländern der Welt, sollten in die betroffene Region versetzt werden - eine enorme logistische Herausforderung.

Das Verhalten der Iraker war während dieser äußerst riskanten Phase ungewiss. Eine irakische Offensive gegen die in Aufmarsch befindlichen Koalitionstruppen hätte mit großer Wahrscheinlichkeit fatale Folgen gehabt. Zum Glück der Alliierten blieben Husseins Truppen inaktiv und warteten in Kuwait auf den Angriff des Gegners. Nun begann der Kampf um den Besitz von Informationen. Neben der Kräftekonzentration zählte auch die Aufklärung der feindlichen Stellungen zur Aufgabe der Alliierten. Standen ausreichend Informationen zur Verfügung, konnte die Vorbereitungsphase in die operative Phase übergehen, die eine kombinierte Luft-Boden Offensive vorsah.

Zu diesem Zweck wurden im Nahen Osten 2.600 Flugzeuge zusammengezogen. Diese Kräfte gingen am 17. Januar 1991 unter dem Decknamen „Desert Storm“ zum Angriff über und nahmen Infrastruktur, Logistik und Führungszentrale der Iraker unter Feuer. Die irakische Luftabwehr konnte den Angreifern wenig entgegenstellen, denn die ersten Raketenangriffe trafen genau diese Truppenteile. Es folgten verheerende Flächenbombardements, die sich gegen die irakischen Einheiten in Kuwait richteten. Die USA glaubten fest an den Erfolg der Luftangriffe - so sehr, dass eine Bodenoffensive zunächst für überflüssig gehalten wurde. Trotz anhaltender Luftschläge konnte Saddam Hussein allerdings nicht in die Knie gezwungen werden.

Die irakischen Truppen hielten ihre Stellungen, sodass die Alliierten am 24. Februar 1991 eine umfangreiche Offensive starten mussten. Bereits vier Tage später streckten die demoralisierten Iraker ihre Waffen und der Krieg endete mit dem vollständigen Sieg der Koalitionstruppen. Die Erfahrungen des Golfkrieges zeigten, dass der Besitz von Information in modernen Kriegen von wesentlicher Bedeutung ist.

Der Krieg von 1991 war in dieser Hinsicht der erste „Informationskrieg“ der Militärgeschichte. Des Weiteren erzielten die Alliierten mit Luftangriffen zwar spektakuläre Erfolge, als kriegsentscheidender Faktor konnte der Luftkrieg aber nicht bezeichnet werden. Erst der Einsatz von Bodentruppen entschied den Kampf. Genau hier lag die Schwachstelle dieser Doktrin, denn die Militärstrategen glaubten, im Luftkrieg das Erfolgsrezept gefunden zu haben. Diese Ansicht verfestigte sich dann nur ein Jahr später in den Kämpfen auf dem Balkan weiter.

Luftkrieg über Jugoslawien (1991-1995)

Ende 1992 tobte der blutige jugoslawische Bürgerkrieg bereits seit zwei Jahren. Nach den schweren Auseinandersetzungen in Slowenien und Kroatien hatte er nun in Bosnien seinen traurigen Höhepunkt erreicht. Im Oktober 1992 übernahm die NATO die Überwachung der „No-Fly-Zone“ über Bosnien, die ein totales Flugverbot über dem bosnischen Hoheitsgebiet bedeutete. Die Vereinigten Nationen beziehungsweise die NATO agierten zwar offiziell neutral, ihre Aktionen richteten sich allerdings wiederholt gegen die bosnisch-serbischen Streitkräfte. Diese nahmen zahlreiche bosnische Städte, darunter die Hauptstadt Sarajewo, die sie belagerten, unter Beschuss und verletzten auch das Flugverbot. In der Folge kam es zu heftigen Zusammenstößen, in denen etliche serbische Kampfflieger abgeschossen und Flugplätze bombardiert wurden. 

Die bosnisch-serbische Armee antwortete mit Geiselnahmen. Die UN Friedenstruppen gelangten dabei oft ins Visier der Serben, um die NATO in Schach zu halten. Nach dem Massaker von Srebrenica im Sommer 1995 und dem Mörserangriff auf einem Marktplatz in Sarajewo entschloss sich die NATO, die bosnisch-serbischen Streitkräfte mit massiven Luftschlägen zum Rückzug zu zwingen, was im September 1995 gelang. Drei Monate später endete der Krieg mit dem Abkommen von Dayton. Auf den ersten Blick haben die NATO-Flugzeuge ihre Ziele erreicht: Der serbische „Friedenstörer“ wurde im „Namen der Menschlichkeit“ mit schweren Luftangriffen und, was noch wichtiger war, ohne den Einsatz von Bodentruppen „bestraft“. 

Die in dem Golfkrieg erprobte Doktrin eines massiven Luftkrieges schien sich demnach zu bestätigen. Doch der Anschein trog. Dass die bosnischen Serben zum Einlenken bereit waren, ist primär auf das Ende der Unterstützung vom serbischen „Mutterland“ zurückzuführen und nicht auf die Bomben der NATO. Eine gedanklich-strategische riesige Lücke in der integrierten Kriegsführung wurde deshalb nicht erkannt beziehungsweise missinterpretiert. Das sollte sich im nächsten bewaffneten Konflikt, der ebenfalls im ehemaligen Jugoslawien stattfand, rächen.

Teil 3


Link zur Serie

Gabor Orban, BA absolviert ein Masterstudium an der Universität Wien.

 

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