• Veröffentlichungsdatum : 14.12.2020
  • – Letztes Update : 18.12.2020

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Die frühen Jahre

Gerold Keusch, Luis Wildpanner

„In meiner frühesten Kindheit haben mich meine Großeltern, vor allem an den Wochenenden, oft zum Wandern mitgenommen. Wir haben Halbtages-Touren unternommen, die mir als Kind wie eine kleine Weltreise erschienen. Aber ich habe diese ausgedehnten Wanderungen meistens sehr genossen. Neben meinen für den Ausdauersport begünstigten Genen waren diese Ausflüge sicherlich einer der Grundsteine für meine spätere Ausdauerleistungsfähigkeit und für die Leidenschaft an der Bewegung“, erinnert sich Wildpanner an den Beginn seines Sportlerlebens. 

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Anfang der 1970er nimmt der junge Luis Wildpanner als Zwölfjähriger an einem öffentlichen Wandertag teil. Er meldet sich erst unmittelbar vor dem Start für die Marathon-Distanz über 42,2 km an und steckt sich kurzerhand das Ziel, die Strecke durchzulaufen – ohne sich jedoch auf dieses Abenteuer speziell vorbereitet zu haben. Drei Stunden und 20 Minuten benötigt der spätere Weltmeister für diese Distanz – trotz eines Orientierungsfehlers, der ihm passierte, weil er eine Markierung übersehen hatte. „Mein Hauptschuldirektor, der Veranstalter dieses internationalen Wandertags in Biberbach (Bezirk Amstetten), konnte es vorerst kaum glauben, dass ich die einigermaßen selektive Strecke in dieser unglaublich kurzen Zeit zurücklegen konnte. Da ich aber alle Stempel auf der Teilnehmerkarte hatte, akzeptierte er letztendlich das Ergebnis und widmete dieser Leistung sogar einen Artikel in den Niederösterreichischen Nachrichten.“ Den Entschluss zu laufen anstatt zu wandern, fasste Luis erst am Morgen des Wandertages: „Ich stand in der Früh auf und dachte mir, dass es einerseits nicht besonders aufregend ist so weit ,nur’ zu gehen und andererseits war es für mich keine besondere Herausforderung, eine kürzere Strecke zu laufen. Deshalb entschied ich mich kurzerhand dazu, den Wandertag in Form eines Marathonlaufs zu absolvieren.“ 

Bereits als Kind war Luis ein relativ schneller Läufer. Exakt drei Minuten benötigte er mit 14 Jahren für die 1.000-m-Strecke, die damals neben dem 60-m-Sprint (in 7,6 Sek) zu seinen Lieblingsdisziplinen zählte. Sein Schulrekord über 1.000 m hielt bis zur Pensionierung seines damaligen Sportlehrers, wie er bei einem Klassentreffen etwa 30 Jahre später, erfuhr. Auf den ersten Blick erscheint es außergewöhnlich, dass jemand sowohl über 60 m als auch über 1.000 m so schnell laufen kann. Wildpanner, der heute selbst ausgebildeter Sportlehrer ist, erklärt dies folgendermaßen: „Sämtliche Top-Marathon-Läufer waren zuvor Spezialisten über die Mittelstreckendistanz (800 bis 5.000m), wo sie sich die muskulären Voraussetzungen für ihre hohe Grundschnelligkeit angeeignet haben. Wenn sie diese Fähigkeit auch bei längeren Strecken anwenden können, sind sie letztendlich in der Lage, eine höhere Geschwindigkeit auch über einen weit längeren Zeitraum zu laufen als die Masse der (selbst ambitionierteren) Hobbysportler. Von denen absolvieren viele ihre gesamten Trainingseinheiten (nicht nur die langen!) mit der gleichen, eher langsamen, Geschwindigkeit.“ Dieses Phänomen zeigt sich auch im Breitensport, wo viele Fußballer nach dem Ende ihrer spielerischen Karriere relativ erfolgreiche und schnelle Läufer werden, da sie über „schnelle Muskeln“ verfügen.

Bewegte Kindheit

Luis Wildpanner wurde am 23. Dezember 1960 in Waiern (heute ein Ortsteil von Feldkirchen in Kärnten) geboren. Sein Vater war dort Bergbauer, die Mutter eine Lehrerin, die aus Baden bei Wien stammte. Nach der Geburt seiner jüngeren Schwester trennten sich seine Eltern, was in den 1960er-Jahren noch eher selten und für die Betroffenen oft mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war. Luis, der damals noch keine zwei Jahre alt war, zog mit seiner Mutter und den beiden Schwestern nach Baden zu den Großeltern. Einige Jahre später lernte die Mutter seinen Stiefvater kennen, der in Biberbach (Bezirk Amstetten) lebte. Mit neun Jahren übersiedelte er mit seiner Familie erneut – dieses Mal ins Mostviertel. „Meine Kindheit in Biberbach habe ich in guter Erinnerung. Mein Stiefvater hatte bereits sieben Kinder aus erster Ehe (seine erste Frau kam bei einem Autounfall ums Leben), von denen sechs Mädchen waren. Auf einmal hatte ich neun Geschwister: zwei Schwestern, sechs Stiefschwestern und einen Stiefbruder. Er war damals gleichzeitig mein bester Freund und obwohl wir heute leider nur mehr selten Kontakt haben, hat sich daran nichts Grundlegendes geändert – mit ihm verstehe ich mich bis zum heutigen Tage bestens. Später kamen aus dieser Ehe noch ein Halbbruder und aus der zweiten Ehe meines Vaters in Kärnten ein Stiefbruder und drei weitere Halbgeschwister hinzu; ich bin also das Kind einer Patchwork-Familie, die aus insgesamt 15 Kindern besteht.“

Im Gegensatz zu der Zeit in Biberbach hat Luis an seine frühe Kindheit bei den Großeltern in Baden nicht nur gute Erinnerungen. „Meine Großeltern waren alles andere als erfreut, als meine Mutter mit uns drei Kindern aus Kärnten zu ihnen nach Baden zurückkam. Meine Schwestern wurden immer deutlich bevorzugt. Ich fühlte mich hingegen stiefmütterlich und oft sehr ungerecht behandelt. Die Erfahrungen und Erlebnisse von damals haben mich bis zum heutigen Tag sehr geprägt. Sie sind auch der Grund für meine Sensibilität, vor allem wenn es um die Themen Gerechtigkeit, Vorurteile und Ausgrenzungen geht.“

Schule und Sport

Die ersten Jahre seiner schulischen Laufbahn verliefen nicht außergewöhnlich, dafür waren sie umso abwechslungsreicher. Nach zwei Jahren Volksschule in Baden bei Wien besuchte Luis nach seinem Wohnsitzwechsel ins Mostviertel die letzten beiden Klassen in Biberbach und wechselte danach ins Stiftsgymnasium nach Seitenstetten. Gymnasialprofessor Urban, sein damaliger Sportlehrer drillte ihn und seine Klassenkameraden im Sportunterricht vor allem mit Laufsprints. „Laufen, laufen und nochmals laufen lautete seine Devise. Bis zum Exzess sprinteten wir über die 60- und 100-m-Strecken – nahezu in jeder Sportstunde.“ Was er damals als eher langweilig und oft sogar als lästig empfand – wie beinahe alle Kinder in diesem Alter hätten er und die meisten seiner Klassenkameraden viel lieber Fußball gespielt – betrachtet Wildpanner im Nachhinein als einen der wichtigsten Grundpfeiler für seine späteren Erfolge. „Ich bin davon überzeugt, dass diese Trainingseinheiten neben meiner genetischen Voraussetzung einer der wesentlichen Gründe sind, warum ich zunächst über die Mittelstreckendistanz und später sowohl im Langstreckenlauf als auch über die längeren Triathlondistanzen so schnell war. Ich bin auch davon überzeugt, dass wir die Sprints trainierten, weil unser Sportprofessor genau wusste, dass die Schnelligkeit gerade im Kindes- und Jugendalter am besten trainiert werden kann.“

Nach zwei Jahren musste Luis auf Drängen seiner Mutter wegen seiner eher durchschnittlichen schulischen Leistungen das Stiftsgymnasium in Seitenstetten verlassen und in die Hauptschule nach Biberbach wechseln. Nach erfolgreichem Schulabschluss führte ihn sein nächster Weg in die Höhere Technische Bundes-, Lehr- und Versuchsanstalt (HTL) nach Waidhofen an der Ybbs, wo er sich für die Fachrichtung Betriebstechnik entschied. „In dieser Schule war ich allerdings völlig fehl am Platz und merkte bereits zu Beginn, dass ich an dieser Fachrichtung völlig uninteressiert war. Deshalb brach ich diese Schule bereits nach dem ersten Jahr ab und sah mich nach einer Alternative um.“

Mit dem Sportgymnasium in Wiener Neustadt fand er bald darauf eine optimale Möglichkeit zur Entfaltung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Für die Aufnahme in diese schulische Einrichtung gab es jedoch eine Hürde, die bereits seit der frühesten Kindheit seine sportliche Achillesferse war: das Schwimmen. „Ich war damals ein extrem schlechter Schwimmer und konnte mich mehr schlecht als recht über Wasser halten, geschweige denn, kraulen. Gerade dieser Schwimmstil war aber damals über 100 m gefordert, obwohl ich mich an das zeitliche Limit nicht mehr erinnern kann. Aus diesem Grund wurde ich vorerst nur wegen meiner sehr guten Ergebnisse in der Leichtathletik und den überdurchschnittlichen Leistungen im Geräteturnen unter Vorbehalt in das Sportgymnasium aufgenommen. Ich hatte genau ein Semester Zeit, um meine Schwimmkenntnisse so zu verbessern, dass sie den Anforderungen für den weiteren Besuch des Gymnasiums entsprachen.“ Mit viel Training, Beharrlichkeit und Ausdauer gelang es Luis – knapp aber doch – das damals geforderte Limit zu erreichen und er konnte den Besuch der Schule fortsetzen. 

Erste sportliche Erfolge

Im Wiener Neustädter Sportgymnasium gab es damals Haupt- und Nebensparten bei den Sportfächern. Wildpanner wählte Leichtathletik und Schilanglauf als Hauptsparte, Geräteturnen und Spiele als Nebensparten. Seinem Lehrer und Trainer in der Leichtathletik, Gymnasialprofessor Herbert Jakusch, war sein läuferisches Talent im Zuge der Aufnahmeprüfung sofort aufgefallen und seither trainierte er ihn speziell auf den Mittelstreckendistanzen mit Schwergewicht über 800 m. „Durch das spezifische Training am Sportgymnasium begann meine eigentliche sportliche Karriere. Damals wurde ich Mitglied beim bekannten Leichtathletikverein Schwechat (SV Schwechat), meinem ersten Sportverein, der bis heute existiert und zahlreiche nationale und internationale Erfolge vorweisen kann. In dem Verein trainierten unter anderem die damals international bekannten Sportler und Aushängeschilder des österreichischen Leichtathletikverbandes, Dietmar Millonig und Robert Nemeth. Ich begann meine Läuferkarriere in der Kategorie „Jugend“ bei den niederösterreichischen Meisterschaften im Mittelstreckenlauf und erhielt gleichzeitig die Chance, mir etwas von den Trainingsmethoden meiner bereits sehr erfolgreichen Kollegen abzuschauen und gemeinsam mit ihnen an verschiedenen Wettkämpfen teilzunehmen, wenn auch in unterschiedlichen Altersklassen.“ Wildpanners damalige Spezialdisziplinen waren der 800- und der 1.500-m-Lauf. Die 800 m lief er bereits mit 16 Jahren unter zwei Minuten, die 1.500 m knapp über vier Minuten. Seine absolute Bestzeit über die 1.000 m lief er mit 17 Jahren auf einer 333,333 m langen Kunststoffbahn in Schwechat in 2:33 min.

Den jungen und schnellen Luis wollten zwei Trainer des Sportgymnasiums gleichzeitig unter ihre Fittiche nehmen: Herbert Jakusch für den Laufsport und Fritz Waldherr, der damalige Trainer der Junioren-Nationalmannschaft, für das Radfahren. Beide hatten sein Talent von Anfang an erkannt und wollten ihn verständlicherweise in ihren Reihen haben. Den heute aus der Sportszene nicht mehr wegzudenkenden Triathlon gab es damals noch nicht, deshalb spezialisierte sich Wildpanner zunächst auf das Laufen und wechselte später zum Radfahren. „Beim Laufen war ich zwar relativ schnell, musste mich aber bei den Staatsmeisterschaften in meiner Altersklasse immer mit Platzierungen unter den Top-Ten zufriedengeben. Das war mir im Laufe der Zeit und vor allem aufgrund meiner harten Trainingseinheiten dann aber doch zu wenig. Deshalb wechselte ich nach reiflicher Überlegung und mehreren verlockenden Angeboten von Fritz Waldherr zum Radsport. Dort erhielt ich die Möglichkeit, mich mit späteren österreichischen und internationalen Topstars wie Paul Popp, Harald Maier, Hans Linhard, Gerhard Traxler, Helmut Wechselberger oder Gerhard Zadrobilek bei diversen Radrennen zu messen“.

Beim Radsport gab es allerdings das gleiche Dilemma wie im Laufsport – auch hier waren die Konkurrenten eine Spur besser, denen vor allem ihre jahrelange Erfahrung zu Gute kam, die auch im Radsport eine ganz entscheidende Rolle spielt. Luis entschied sich nach einer eher durchwachsenen Saison, die unter anderem von Querelen innerhalb seines damaligen Radsportvereines geprägt war, aber auch wegen des hohen Zeitaufwandes im Radsport, zur Rückkehr in den Laufsport. „Aufgrund meiner Unentschlossenheit und meiner mangelnden Erfahrung in der Jugend- und Juniorenzeit zwischen 14 und 18 war ich weder beim Laufen noch beim Radfahren besonders erfolgreich. Obendrein hatte ich wegen den daraus resultierenden Wechsel nun auch noch meine beiden Trainer vergrault. Ich konnte zwar kleinere Bewerbe sowie Meisterschaften gewinnen, regelmäßig gute Platzierungen erreichen und sogar den niederösterreichischen Landesrekord im 2.000-m-Hindernislauf in meiner Altersklasse mit 6:20 min erzielen, nationale oder gar internationale Spitzenergebnisse waren damals jedoch in weiter Ferne.“ Die damalige Zeit im Leistungssport verlief für Wildpanner zwar nicht wunschgemäß, wurde aber wegen der Vielzahl seiner absolvierten Trainingseinheiten und der kontinuierlichen Teilnahme an Wettkämpfen zu einer weiteren wichtigen Grundlage für seine späteren Erfolge in seiner Spezialdisziplin, dem Triathlon.

Zeiten ohne Sport

Aber nicht nur im Sport, auch im Oberstufenrealgymnasium lief es nach einem bilderbuchmäßigen Start für Wildpanner bald nicht mehr nach Plan. Der vormals Klassenbeste hatte sich von Anfang an zu sehr auf seine sportlichen Ziele konzentriert. Zusätzlich hatte er Schwierigkeiten mit seiner damaligen Englischlehrerin, die ihm das Leben schwermachte. Luis kämpfte gegen das Unvermeidliche solange an, bis sie ihm unter vier Augen klarmachte, dass sie ihn unter keinen Umständen positiv beurteilen würde. Somit hatte er keine Chance mehr, dieses Schuljahr unter fairen Umständen zu beenden.

„In der ersten Klasse der Oberstufe war ich noch Klassenbester, da wurde ich in der Fremdsprache Englisch sogar mit einem Gut bewertet. Im darauffolgenden Schuljahr kam es leider zu einem Lehrerwechsel in diesem Fach und die neue Lehrerin gab mir von Anfang an keine Chance. Heute kann man sich das kaum mehr vorstellen, aber zu dieser Zeit war ein derart unpädagogisches Verhalten genau so normal wie die ,g’sunde Watschn’. Ich war damals – speziell nach dem exzellenten Einstieg in das Sportgymnasium – extrem frustriert und empfand dieses Verhalten mir gegenüber nicht nur als schikanös, sondern auch als persönliche Niederlage und unbeschreibliche Enttäuschung. Ich hatte so sehr darauf gehofft, diese Schule zu schaffen und neben dem zeitaufwendigen Training auch hart dafür gearbeitet – und nun sollte ich dieses Schuljahr wegen einer schikanösen Lehrerin wiederholen. Da ich seit meiner Kindheit nie gut mit Ungerechtigkeiten umgehen konnte, steckte ich meinen ganzen Ehrgeiz und meine Energie nun in den Sport – damals war es das Radfahren. Wer weiß, wie zeitintensiv ein leistungsorientiertes Training in dieser Sportart ist, wird über die schulischen Folgen wenig überrascht sein: am Ende des wiederholten Schuljahres hatte ich sogar zwei negative Noten.“

Wildpanner hätte gemäß Schulunterrichtsgesetz zwar die Möglichkeit gehabt, zu den Wiederholungsprüfungen anzutreten, wegen seines neuerlichen Misserfolges (den er sich diesmal selbst zuzuschreiben hatte) war er aber derart frustriert, dass er sein zu Beginn so geliebtes Sportgymnasium – sehr zum Missfallen seiner Eltern – und ohne die Chance der Wiederholungsprüfung zu nutzen, kurz entschlossen verließ. Luis war damals der Meinung, dass man einem ambitionierten Leistungssportler gerade an einem Sportgymnasium hinsichtlich der schulischen Leistungen entgegenkommen sollte und im Vergleich zu anderen Schultypen toleranter hätte sein können.

„Heute sehe ich mein damaliges schulisches Scheitern mit wesentlich mehr Gelassenheit. Zu jener Zeit hingegen war es in jeder Hinsicht ein unvorstellbar schwerer Schlag für mich. Die Enttäuschung war derart groß, dass ich mich komplett neu orientieren und mein Leben völlig neu ausrichten wollte. Deshalb entschloss ich mich kurzerhand dazu, mir ab dem Sommer Zeit zu nehmen, um mir über meine weiteren Ziele und Absichten Klarheit zu verschaffen – heute würde man diese Zeitspanne ,Auszeit’ nennen.“ Luis fuhr zu Bekannten in der Oststeiermark, die er bereits seit seiner frühesten Kindheit kannte. Während der Sommerferien, die er als Kind regelmäßig dort verbracht hatte, lernte er diesen Teil Österreichs und dessen Bewohner sehr positiv kennen und fühlte sich dort überaus wohl.

In dieser schwierigen Zeit der Neuorientierung und Selbstfindung war das die optimale Umgebung für ihn. Den Sommer 1980 verbrachte Wildpanner als Lastwagenfahrer bei einem kleinen Gemüse- und Obsttransportunternehmen im Bezirk Gleisdorf. Im Herbst wechselte er zu einem Erdbewegungsunternehmen, wo er verschiedene Maschinen bediente, meistens waren es Löffelbagger zum Ausheben von Gräben für Postleitungen, aber auch Kabelpflüge und Kabelfräsen sowie Spezialbagger für unwegsames und steiles Gelände. Ihm gefielen diese abwechslungsreichen Gelegenheitsjobs einschließlich der oft speziellen Arbeitsumgebung zwar ausgesprochen gut, dennoch war ihm von Anfang an klar, dass diese Tätigkeiten nur Übergangslösungen sein konnten und keinesfalls zu einer zentralen Lebensaufgabe werden würden. So sehr er sich zuvor auf den Sport konzentriert hatte, so unbedeutend war dieser in diesem Lebensabschnitt, bei dem er kein einziges Mal die Laufschuhe anzog oder auf das Rad stieg. Seine damalige sportliche Tätigkeit reduzierte sich einzig und allein auf sporadische Fußballspiele mit Freunden und das war mit Sicherheit nicht die Sportart, in der er Höchstleistungen erzielen konnte.

Große Chance Bundesheer

„Als ich im Frühjahr 1981 den Einberufungsbefehl erhielt – mit dem ich schon seit längerer Zeit gerechnet habe, da ich die Musterung bereits hinter mich gebracht hatte – wusste ich im selben Augenblick: Das ist meine Chance!“ Wehrmann Luis Wildpanner (den Dienstgrad „Rekrut“ gab es damals noch nicht) rückte am 1. Oktober 1981 zum damaligen Heerespionierbataillon in Melk (heute: Pionierbataillon 3) ein. Ab dem Zeitpunkt, an dem er den Einberufungsbefehl erhalten hatte, stand für ihn fest, dass er Berufssoldat werden wollte. Der Sport spielte bei diesem Entschluss vorerst keine Rolle. In erster Linie verfolgte der junge Schulabbrecher das Ziel, die verpasste Matura beim Militär nachzuholen oder aufgrund der vielen Möglichkeiten, die der Arbeitgeber Bundesheer durch seine Organisationsgröße und Vielfalt bietet, zumindest eine passende Aufgabe zu finden.

Bevor der Einberufungsbefehl ins Haus flatterte, war das Bundesheer oder gar eine Soldatenkarriere für Wildpanner kein Thema. Im Gegenteil: als er das Sportgymnasium in Wiener Neustadt besuchte, war er im Kinderdorf Pöttsching (Burgenland) untergebracht. Dort arbeiteten großteils Erzieher, die sich der Friedens- und Umweltbewegung verbunden fühlten und ihr Weltbild an ihre Schützlinge weitergaben. „Während ich in Pöttsching war, wollte ich auf keinen Fall den Militärdienst leisten, sondern unbedingt den Zivildienst absolvieren. Doch aufgrund meiner besonderen Lebensumstände sollte es genau anders kommen. Nachdem ich den geschützten Bereich des Internats verlassen hatte, änderte sich auch meine Lebenseinstellung. Ich erkannte, vor allem auch wegen meines damaligen schulischen Scheiterns, dass das Leben ,in der freien Wildbahn’ oft anders verläuft als es dem Weltbild meiner damaligen Erzieher entsprach. Ihre Ideale waren durchaus positiv und zweifellos auch gut gemeint, entsprachen aber nicht meiner Lebenserfahrung und standen für mich sogar im krassen Gegensatz zur Realität.“ Aufgrund dieser Einsicht und seiner Erfahrungen im praktischen Berufsleben machte der Dienst mit der Waffe nun Sinn für Wildpanner, der fest dazu entschlossen war, sich beim Militär zu engagieren und diese Chance zu nutzen.

Nach dem Einrücken war der spätere Offizier wegen seiner Erfahrung als LKW- und Baggerfahrer vorerst als Kfz-Mechaniker-Gehilfe vorgesehen. Da er aber bereits am Einrückungstag bekanntgab, Berufssoldat werden zu wollen, wurde dieser Plan von der Kompanieführung geändert. Wildpanner wurde der Pionierausbildung als „Edelpionier“ zugeteilt, absolvierte die vorbereitende Kaderausbildung (vbK) sowie die Chargen-Kaderübung und unterzog sich 1982 dem Chargenkurs in Hainburg. Nach erfolgreicher Sprengprüfung sowie dem Außenbordmotorschein legte er im Jahr 1983 als Zugsführer die Aufnahmeprüfung für das damalige Bundesrealgymnasium für Berufstätige an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt ab. Mit dieser Militärschule, die 2013 den Betrieb einstellte, erhielten Kadersoldaten die Möglichkeit die Matura nachzuholen, um danach die Berufsoffizierslaufbahn einzuschlagen. Als Wildpanner einrückte, wusste er noch nicht, dass es diese Art von Schule gab, die ihn erneut nach Wiener Neustadt zurückführen sollte.

Lebensinhalt Sport

Es lag in der Natur der Sache, dass Wildpanner unmittelbar nach dem Einrücken erneut an sein sportliches Talent „erinnert“ wurde. So konnte er unter den etwa 160 Präsenzdienern den damals im Bundesheer standardisiert eingeführten „Grundwehrdiener-Dreikampf“ (Hindernislauf, Handgranaten Weitwurf und 4.000-m-Geländelauf) in Melk überlegen gewinnen. Sowohl beim 4.000 m Lauf als auch auf der Hindernisbahn war er deutlich schneller als seine Kameraden (der Weitwurf zählte ähnlich wie das Schwimmen nicht zu seinen Stärken). Körperliche Leistungsfähigkeit und der daraus resultierende Heeressport sind naturgemäß wesentliche Voraussetzungen für den Dienst mit der Waffe. Daher war und ist der Sport ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung – und das war zweifellos ein großer Vorteil für Wildpanner. Aufgrund seiner körperlichen Leistungsfähigkeit war er bei sämtlichen Kursen und Ausbildungslehrgängen nicht nur einer der Besten im Sport, sondern auch wesentlich belastbarer als der Großteil seiner Kameraden, wodurch er sich vermehrt auf zusätzliche Aufgaben konzentrieren konnte.

In weiterer Folge wurde seine Tätigkeit beim Bundesheer – egal in welcher Funktion – zum optimalen Nährboden für seine spätere sportliche Laufbahn. „Der Sport war für mich auch eine Motivation, um Aufgaben zu erledigen, die mir nicht oder weniger gefielen. Schließlich wusste ich, dass der Sport ab sofort mein ständiger Begleiter und Motivator sein würde, mit dem ich auch die schwierigen Phasen meines Lebens erfolgreich bewältigen könnte.“ Spätestens während der Zeit am Bundesrealgymnasium für Berufstätige und später als Fähnrich an der Theresianischen Militärakademie wurde der Sport endgültig zu einem unverzichtbaren Begleiter in Wildpanners Leben.

Seit dem Grundwehrdienst standen fast täglich Trainingseinheiten zur Steigerung von Ausdauer, Kraft und Geschicklichkeit am Dienstplan. Die daraus resultierende Leistungssteigerung nahm Wildpanner zum Anlass, um auch wieder regelmäßig an Wettkämpfen teilzunehmen. Sein Schwergewicht war – nicht zuletzt wegen der Vorbildwirkung seines damaligen Sportoffiziers und ehemaligen Mannschaftsweltmeisters im Militärischen Fünfkampf aus dem Jahre 1970, Oberst Hans Schackl – zunächst der Militärische Fünfkampf (Präzisions- und Schnellschießen auf 200 m Entfernung mit dem Sturmgewehr, 500-m-Hindernislauf, 50-m-Schwimmen, Handgranatenziel- und Weitwerfen und 4.000-m-Geländelauf).

Nach erfolgreichem Abschluss des Bundesrealgymnasiums erhielt er von Oberst Schackl sogar das Angebot, Mitglied der Nationalmannschaft im Militärischen Fünfkampf zu werden. Wildpanner lehnte dieses verlockende Angebot jedoch ab, da er sich nicht noch einmal verzetteln wollte und seine Priorität nun voll und ganz auf der vor ihm liegenden Offiziersausbildung an der Theresianischen Militärakademie lag. Schließlich wollte er sich diese (letzte) Chance keinesfalls ein weiteres Mal entgehen lassen.

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Hofrat Gerold Keusch, BA ist Redakteur beim TRUPPENDIENST. Oberstleutnant Luis Wildpanner ist Diplomsportlehrer und Referent im Fachstab Luft.

 

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