• Veröffentlichungsdatum : 14.08.2017
  • – Letztes Update : 22.12.2017

  • 6 Min -
  • 1111 Wörter

Wem gehört die Zukunft

Jaron LANIER

Jaron LANIER

Du bist nicht der Kunde der Internet-Konzerne, du bist ihr Produkt

479 Seiten, 14,5 x 21,5 cm, gebunden mit Schutzumschlag

€ 25,70

ISBN 978-3-455-50318-0

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2014

Du bist nicht der Kunde der Internet-Konzerne, du bist ihr Produkt

Der Informatiker, Musiker, Autor und Unternehmer Jaron Lanier unterstreicht in seinem Buch „Wem gehört die Zukunft. Du bist nicht der Kunde der Internet-Konzerne, du bist ihr Produkt“ eindrucksvolle Erkenntnisse aus Sicht eines mit der Materie unmittelbar Betroffenen im Bereich des Datenschutzes bzw. im Umgang mit Daten.

Gleich zu Beginn führt Lanier aus, dass der Mensch immer schon bestrebt gewesen sei Herr über seine Kommunikationsmittel zu sein. Dies führte bis hin zu Maßnahmen der Unterdrückung in der Zeit der Sklaverei. Gutsherren verboten ihren Untertanen sogar die Verwendung von Trommeln, da sich die Inhalte der Kommunikation den Feudalherren nicht erschlossen und befürchtet werden musste dass, so indirekt eine Revolte organisiert wird.

Daten und Versicherung

Mittlerweile erheben sogar schon Krankenversicherungen Daten um diejenigen zu identifizieren, welche mögliche Versicherungsansprüche am wenigsten benötigen würden. Offensichtlich kranke Personen werden nur im Notfalle behandelt, von einer eigentlichen Zusatzversicherung sind sie jedoch ausgeschlossen. Kommunikation hat sich im Laufe der Zeit zur Information und als Mittel zur Machtausübung gegenüber anderen transformiert.

Somit kommt es zu einer klaren Verschiebung von Macht - oder wie Lanier es beschreibt - zu einer Zerrüttung und Dezentralisierung derselben. Und gerade im Bereich der Sammlung von Daten herrscht die Bündelung von gemeinsamen Interessen vor. Niemand kann  diese Menge an Informationenalleine bearbeiten, daher bilden Dienstleister eigene Cluster und stellen diverse Dienste für andere bereit. Lanier bezeichnet diese Dienstleister als Sirenenserver, welche ohne großes Aufsehen scheinbar wahrnehmungslos agieren und doch dauernd präsent sind. 

Während die Macht an herrschaftliche Systeme und deren handelnde Personen geknüpft war diffundiert sie heute in alle Bereiche. Informationshoheit ist daher in den meisten Fällen der Schlüssel zum Erfolg.

Selbstredend ist die Sammlung von Informationen über das menschliche Leben nicht per se schlecht oder zu verurteilen. Lanier zeichnet in einem Beispiel die durchaus positive Möglichkeit einer Nutzung der - bereits heute schon in Teilen vorhandenen - technischen Möglichkeiten.

Nanosonden

Es gibt bereits Nanosonden die in die Blutbahn injiziert werden und so laufend Daten an ein System außerhalb des Menschen liefern. Diese Technik wird unter anderem beim Einsatz von Spezialeinsatzkräften verwendet um einerseits deren Standort, als auch die aktuelle physische Verfassung abrufen zu können. Damit gelingt es im Falle eines Abweichens der Messdaten entsprechende Gegenmaßnahmen ohne unmittelbare Anwesenheit eines Arztes zu setzen. Im medizinischen Bereich der Kernspintomografen findet diese Technik - zwar eingeschränkt auf das Gehirn - bereits heute Anwendung.

Die bereits beschriebenen Sirenenserver können durch die permanente Akkumulation von Daten neben der Bereitstellung für einzelne Dienstleister dieses Konglomerat an Informationen auch zur Verschiebung der Macht eines größeren Systems nutzen und dieses destabilisieren und/oder manipulieren. An dieser Stelle sei auf die bereits gängige Methode des Anzeigens von hochpreisigen Informationen (z. B. Urlaubsreisen) bei einer Abfrage aus dem Internet für Nutzer teurer IT-Infrastruktur erwähnt. Der Besitzer z. B. eines tendenziell hochpreisigen Produktes bekommt ausschließlich Informationen zu wesentlich teureren Angeboten. Somit wird dieser Person eine andere - günstigere Information - bewusst vorenthalten.

Obwohl die allgemeine Information vorhanden ist, wird absichtlich und vorsätzlich gefiltert und dadurch manipuliert. Diese Art und Weise der Sinnestäuschung ist am ehesten mit einer Darstellung von Edgar John Rubin erklärbar welche Lanier ausführlich beschreibt. Die so genannte Rubin‘sche Vase stellt eine Täuschung unserer visuellen Wahrnehmung dar, die auf perzeptuellen Mehrdeutigkeit beruht. Üblicherweise sieht ein Betrachter in den weiß und schwarz gehaltenen Flächen mit ihren Konturen entweder eine Vase oder zwei gegenüberliegende Gesichtsprofile. Was er davon zunächst sieht, ist nicht vorherzusagen, es sei denn man teilt ihm vorher mit, dass es sich um eine Vase oder zwei einander gegenüberliegende Gesichtsprofile handelt. In einem solchen Fall wird er seine Wahrnehmung zunächst an der einen oder der anderen Wahrnehmungshypothese (perzeptuelle Strukturierung) orientieren.

Interpretiert nach Lanier gibt es daher immer mehrere Seiten einer Information bzw. dem Inhalt einer Information. Einerseits der Mensch, welcher Daten erzeugt, Sirenenserver welche Daten sammeln und mit entsprechenden Absichten und Zielvorstellungen. Nichts erscheint daher gleich zu Beginn offensichtlich und klar.

Facebook und Google

Ein absolut plakatives Beispiel dieser Rubinschen Vase ist nach Lanier das Unternehmen Facebook oder auch Google. Diese beiden Unternehmen agieren als globale Sirenenserver, jedoch mit unterschiedlichen Ansätzen. Während jeder User bei Facebook seine Daten freiwillig bekanntgibt und sogar Bilder entsprechend kommentiert und zuordnet, müssen die Inhalte der Daten bei Google erst geordnet, validiert und geclustert werden. Bei Facebook werden Informationen bereits in einem bestimmten Kontext hochgeladen, bei Google muss erst das Muster im Informationschaos gefunden und behoben werden.

Bei all der Sammlung von Daten und Informationen stellt sich berechtigter Weise die Frage nach dem wohin. Da es verschiedene Intentionen und dadurch unterschiedliche Ansätze der Macht gibt, wird das bis dato funktionierende Zentrum einer staatlich-hierarchischen Macht durch die partikularen Interessen von Unternehmen mit globaler Reichweite ersetzt. Eine Kontrolle wird dadurch immer schwerer möglich, vermutlich sogar unmöglich. 

Dies wirkt besonders prekär, da mittlerweile Daten vollautomatisch gesammelt und gespeichert werden. Sämtliche Informationen zu Menschen, wie Kaufgewohnheiten, Lebensgewohnheiten bis hin zur Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen und U-Bahnen wird beobachtet. Alles wird aufgezeichnet und archiviert. Durch spezielle Verfahren sind Unternehmen mittlerweile in der Lage anhand von Bewegungsmustern einzelner Menschen mögliche Krankheiten zu diagnostizieren.

Gesichtsscan

Eine Identifikation mittels Gesichtsscan ist für jeden Privatuser z. B. mit der App FINDFACE möglich. Mit Hilfe dieser App wird allein durch das Foto des Gesichtes eines Menschen dessen Verknüpfung mit sozialen Netzwerken hergestellt. Auch wenn sich diese Möglichkeit aktuell nur auf den russischen Raum konzentriert, so wird dadurch schon die enorme Macht von Informationstechnologien deutlich. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, bis uns personalisierte Werbung auf der Straße begegnen wird oder uns Plakate individuell begrüßen und auf unsere Bedürfnisse zugeschnittene Werbung präsentieren.

Frei nach Lanier wird im Bereich der Geopolitik die Bedeutung fossiler Bodenschätze zugunsten  virtueller Datensammlung in den Hintergrund treten. Mächtig werden allein daher jene sein, die über entsprechende Möglichkeiten zur Filterung, Selektion und Verarbeitung der Daten in der Lage sind.

Zusammenfassung

Das Werk von Lanier kann als sehr gut strukturiertes und einfach zu lesendes Werk beschrieben werden. Es thematisiert viele Bereiche des täglichen Lebens, setzt jedoch ein Experten- oder Detailwissen nicht zwingend voraus, um den Ausführungen folgen zu können. Lanier versteht es ausgezeichnet die Leserschaft auf eine Reise in unser aller virtuelles Leben mitzunehmen. Die Zusammenschau von historischen Fakten, der Gegenwart und der Ausblick in die Zukunft fesseln beim Lesen. Auch wenn auf den ersten Blick gewisse Perspektiven und Beispiele zu futuristisch erscheinen, entstehen doch Bilder im Kopf, die die Dinge im Buch durchaus realistisch erscheinen lassen. Erst gegen Ende des Buches realisiert man erst, in der eigenen Wirklichkeit angekommen zu sein.

-mkr-

 

Ihre Meinung

Meinungen (0)