• Veröffentlichungsdatum : 05.01.2018

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Sir Douglas Haig "The Butcher of the Somme"

Martin Prieschl

Er sollte der umstrittenste Kommandant des Ersten Weltkrieges überhaupt werden. Haig war der Oberbefehlshaber des Britischen Expeditionskorps (BEF). Unter seinem Kommando erlitten die Briten während der Somme-Schlachten 1916 mit fast 420 000 Mann die höchsten Verluste an Toten und Verwundeten bei einer Kampfhandlung in der gesamten britischen Militärgeschichte.

Als Großbritannien als Teil der „Entente Cordiale“ an der Seite Frankreichs und des Zarenreiches am 4. August 1914 in den Krieg eintrat, hatte die britische Regierung und Militärführung keinerlei Vorstellungen von den Opfern, die die britische Bevölkerung bis 1918 erbringen musste. Die Kriegserklärung traf dabei in Großbritannien auf eine Gesellschaft, die - wie fast überall in den europäischen Industriestaaten - den Vorstellungen des sozial-darwinistischen Kampfes um das Dasein anhing.

Dies wurde von der britischen Öffentlichkeit - und vor allem der Presse - auf einen „Wettstreit der Völker“ umgemünzt und mit Ansichten eines „Reinigungsbades eines großen Krieges“ kombiniert. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Kriegserklärung Großbritanniens und des Commonwealth vor allem in den Großstädten Englands, Wales, Schottlands und Nordirlands - nicht aber in den katholischen Teilen des Königreiches Irland - eine große Kriegsbegeisterung auslöste.

Der kontroversielle Feldherr

Um die französische und belgische Armee im Kampf gegen die über Belgien im August 1914 nach Nordfrankreich vorrückenden Deutschen zu unterstützen, entsandte Großbritannien große Teile seiner als Berufsarmee konzipierten Streitkräfte als „British Expeditionary Forces“ - BEF in der Stärke von fünf Divisionen unter dem Oberkommando von Field Marshal John French - auf den Kontinent. Gleichzeitig begannen Massenaushebungen („Kitcheners Army“ in der Stärke von 70 Divisionen) im Land. Denn für einen längeren Krieg musste das Königreich auf Freiwillige und ab 1916 auch auf die Allgemeine Wehrpflicht zurückgreifen.

Einer der Korpskommandanten von Sir John, der auch gleichzeitig als sein Stellvertreter fungierte, war ein in Schottland geborener, erfahrener Kavallerieoffizier mit reichlich Einsatzerfahrung aus den Kolonialkriegen: Douglas Haig. Er sollte der umstrittenste britische Kommandant des Ersten Weltkrieges überhaupt werden. Einer seiner Biographen, Prof. Gary Sheffield (University of Wolverhampton), bezeichnete ihn gar als „the most controversial British military commander in the 20th century, possible of all time (…)“.

Von Zeitgenossen erhielt Sir Douglas den Beinamen „Butcher of the Somme“, denn während der über fünf Monate dauernden Schlacht an der Somme (1. Juli - 18. November 1916) erlitt die British Army mit fast 420 000 Mann die höchsten Verluste an Toten und Verwundeten in einer Kampfhandlung in der gesamten britischen Militärgeschichte. Doch Sir Douglas Haig hatte nicht nur Kritiker, sondern auch Bewunderer, wie den Kommandanten der American Expeditionary Force, John Pershing, der ihn als „the man, who won the war“ bezeichnete.

Die Kritik an Sir Douglas ist bis heute nicht verstummt, wenn auch moderne Autoren wie J. P. Harris und Gary Sheffield versuchten, das Bild des „Schlächters“ etwas zurechtzurücken. Doch schon seine Zeitgenossen - unter anderem Premier David Lloyd George - kritisierten den Feldmarschall, der nur geringe Erfolge mit großem Materialaufwand und enormen Verlusten an Menschenleben erreichte.

Immerhin aber erreichten Sir Douglas und seine französischen Verbündeten mit dieser Vorgehensweise, dass die deutsche Armee nach dem endgültigen Abbruch der Schlacht von Verdun im Dezember 1916 bis ins Frühjahr 1918 an der Westfront in der Defensive bleiben musste. 

Hauptkritikpunkte an Haig waren seine konservative, an das moderne Gefechtsfeld des Ersten Weltkrieges unangepasste Truppenführung und das Ignorieren der Fortschritte in der Militärtechnik. Der britische Oberbefehlshaber schätzte dazu die Wirkung einzelner Waffensysteme - wie des Maschinengewehres -­ vollkommen falsch ein und trug damit ein gerüttelt Maß Mitschuld an den Verlusten in der Schlacht an der Somme 1916 und in Flandern 1917. Der einstige Kavallerist Haig hatte dazu erklärt, dass feindliche MG-Nester am besten durch frontale Reiterangriffe auszuschalten seien, da eine Kugel „(…) ein Pferd kaum aufzuhalten vermag (…)“ - eine Vorstellung, die durch die Erfahrungen aus dem Mexican-American War 1846-1848, dem Krim-Krieg und vor allem aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg, in denen Gewehre mit gezogenen Läufen und Minigeschossen zum Einsatz kamen, damals bereits völlig obsolet war.

Dennoch kam es unter seinem Oberbefehl am 16. September 1916 in der Schlacht an der Somme bei Fleurs-Courcelette zum ersten Einsatz einer neuen Waffe - des Tanks. Sir Douglas Haig war ähnlich wie seine Kameraden der Entente von der Militärdoktrin „Offensive à outrance“ (Offensive bis zum Äußersten) durchdrungen und rechtfertigte damit das Erkaufen geringer Geländegewinne durch eine Unzahl an menschlichen Opfern.

Im Unterschied jedoch zu Joffre, Nivelle und Cadorna blieb Sir Douglas Haig trotz der massiven Kritik an seiner Führung nach dem Abgang von Field Marshal French bis Kriegsende der Oberbefehlshaber der britischen Truppen auf dem westlichen Kriegsschauplatz.

The dour Scotsman?

Der Schotte Douglas Haig, Spross einer berühmten Destillateursfamilie (John Haig & Co Ltd., heute: Diageo plc), den sein Offizierskollege Philip Walhouse Chetwode, 1. Baron Chetwode, als „(…) a dour scotsman and the dullest dog I ever had the happiness to meet (…)“ bezeichnete, wurde am 19. Juni 1861 im schottischen Edinburgh geboren. Aus vermögendem Hause stammend, konnte Haig das Clifton College in Bristol besuchen und dann an der Oxford University weiterstudieren, ohne jedoch einen Abschluss zu machen.

Im Alter von 23 Jahren wechselte er schließlich an die Royal Military Academy Sandhurst, um Berufsoffizier zu werden und musterte 1884 als Leutnant zu den 7. Queen´s Own Hussars aus. Haig galt schon damals als Liebhaber von Golf und des Polospieles - Sportarten für die er sich bis ins hohe Alter in noblen Vereinen engagierte. 

Als junger Kavallerieoffizier stand Douglas Haig auf verschiedenen Kriegsschauplätzen des Empires im Einsatz. Nach seinem ersten Aufenthalt in Indien versuchte er 1892, seine Aufnahme in das Staff College in Camberly zu erreichen, was ihm jedoch erst bei seinem zweiten Versuch vier Jahre später 1896 gelang. Nach einem weiteren kurzen Einsatz am indischen Subkontinent kehrte Haig nach Großbritannien zurück, wo er einen Mann traf, der sein weiteres Leben mitbestimmen sollte - Sir John French.

Nach dem Abschluss am Staff College nahm Douglas Haig als Kavallerieoffizier an den Kämpfen im Sudan sowie am Buren-Krieg teil, bevor er 1903 - schon als Oberst - wieder für drei Jahre nach Indien zurückkehrte. Hier am unruhigen Subkontinent diente Haig als „Generalinspekteur Kavallerie („Inspector General of Cavalry“)“ und kehrte danach - befördert zum Generalmajor - nach England zurück, um im Kriegsministerium in London die Leitung der Ausbildungsabteilung zu übernehmen.

Doch dieser Ausflug in die Welt der Militärbürokratie dauerte nicht lange, denn schon im Herbst 1909 verließ er das Land für drei Jahre zum vierten und letzten Mal in Richtung Indien, wo Sir Douglas 1910 zum Generalleutnant ernannt wurde und seinen Dienst als „Chief of the General Staff“, India versah. Nach seiner Rückkehr nach Europa kam seine Versetzung nach Aldershot als „General Officer Commanding Aldershot Command“, einen Posten, den er bis Sommer 1914 innehatte. 

Weltkrieg am Kontinent 1914 - 1915

Mit dem Kriegseintritt Großbritanniens am 4. August wandelten sich die Aufgaben von Sir Douglas. Das Aldershot Command wurde in ein Korps umgewandelt, dessen Kommando er nun innehatte. Haig unterstützte seinen Freund Sir John French beim Aufbau der British Expeditionary Force und dessen Verlegung nach Nordfrankreich und Südbelgien.

Hier gelang es den britischen Berufssoldaten mit ihren französischen und belgischen Verbündeten unter großen Verlusten in der 1. Schlacht bei Ypern (1. Flandern-Schlacht 20. Oktober - 18. November 1914) einen deutschen Durchbruch zu verhindern; Sir Douglas hatte an der Planung und Durchführung der Schlacht maßgeblichen Anteil.

Seine Erfolge wurden dadurch gewürdigt, dass er zu Beginn des Jahres 1915 den Oberbefehl über die 1. Britische Armee erhielt. Sein Vorgesetzter Sir John French jedoch stand in der Kritik, zu unentschlossen und zaghaft zu sein, so dass er auf Anraten von Kriegsminister Lord Kitchener von Premier Asquith am 10. Dezember 1915 durch Sir Douglas Haig ersetzt wurde. 

Oberbefehlshaber der BEF

Eine der ersten Aufgaben, die Haig als Oberbefehlshaber des BEF traf, waren die Vorbereitungen der Frühjahrsoffensiven 1916, die bereits im Dezember des Vorjahres auf der Konferenz von Chantilly mit den Verbündeten beschlossen worden waren. Anders aber als von Douglas Haig, der erneut in Flandern angreifen wollte, gefordert, sollte der Angriff genau am Berührungspunkt der französischen Armee und der BEF am Fluss Somme stattfinden.

Doch mitten in diese Vorbereitungsphase platzte der deutsche Angriff auf Verdun, der der französischen Armee wie auch der des Kaiserreiches die bis dahin schlimmsten Verluste des Krieges brachte (ca. 167 000 bzw. ca. 150 000 Tote). Quasi als Entlastungsangriff für die Verbündeten begann die BEF, unterstützt von französischen Divisionen, den Angriff an der Somme. Haigs Ziel war nicht nur der Durchbruch durch die deutschen Linien, sondern auch die Abnutzung der deutschen Streitkräfte (Materialschlacht) - ein Vorhaben, an dem der deutsche General Falkenhayn bei Verdun gescheitert war.

Doch diese mehr als fünfmonatige Schlacht wurde für die britische Armee zu einem Desaster. Trotz eines bis dahin noch nicht gekannten Einsatzes an Mensch und Material gelang der Durchbruch nicht. Der Geländegewinn beschränkte sich auf wenige Kilometer. Der britische Militärhistoriker und Weltkriegsteilnehmer Basil Liddell Hart bezeichnete im Rückblick diese Materialschlachten als „nothing but stupid mutual mass-slaughter“.

Doch das enorme menschliche Leid führte zu keinem Umdenken bei Sir Douglas - im Gegenteil. Im Frühjahr 1917 - der britische König ernannte Haig im Jänner zum Feldmarschall - beschlossen die Verbündeten wieder in Chantilly Offensiven an der Somme (Schlacht bei Arras, 9. April bis 16. Mai 1917) und in Flandern (3. Flandern-Schlacht, 31. Juli bis 6. November 1917).

Die sehr bescheidenen Geländegewinne forderten enorme menschliche Verluste - der Durchbruch blieb erneut aus. Dies brachte Feldmarschall Haig in noch schärferen Gegensatz zu Premierminister Lloyd George, der nur widerwillig seine Einwilligung zum Angriff in Flandern gegeben hatte. Auch dem britischen Angriff auf den Eisenbahnknotenpunkt von Cambrai (20. November bis 6. Dezember 1917), in dem es zu einem Großangriff britischer Tanks gekommen war, war kein Erfolg beschieden, da die deutsche Armee in einem Gegenangriff große Teile des Geländes wieder zurückeroberte. 

Im Frühjahr 1918 ging die Initiative wieder auf die Deutschen über, die mit einer Großoffensive (Frühjahrsoffensive 1918, 21. März bis 17. Juli 1918) versuchten, das Kriegsglück zu ihren Gunsten zu wenden. Doch nach deutschen Anfangserfolgen, die dem Kaiserreich die größten Geländegewinne seit 1914 brachten, und unterstützt von den immer zahlreicheren US-Amerikanischen Truppen („American Expeditionary Forces“ AEF) gelang es Sir Douglas Haig und seinen französischen Verbündeten, die Front wieder zu stabilisieren. Die festgefahrene deutsche Frühjahrsoffensive wurde am 17. Juli 1918 eingestellt. 

Am 8. August 1918 folgte die alliierte Gegenoffensive („Hunderttageoffensive“), die schließlich zur Niederlage des deutschen Westheeres im Herbst führte. Field Marshal Haig hatte bei der Planung und Ausführung dieser Gegenoffensive großen Anteil. Es war schließlich sein Verdienst, diese Operation nicht punktuell, sondern als breit gespannte Operation anzulegen, wobei er sich gegen die Ansichten des Oberbefehlshabers der Alliierten, den Franzosen Ferdinand Foch, durchsetzte. 

Douglas Haig, 1. Earl Haig

Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches war es auch die Aufgabe Haigs, die Rückführung und die Demobilisierung der britischen Armee durchzuführen. Er amtierte nur mehr ein Jahr als „Commander-in-Chief Home Forces“, bevor er - mit einer Abfindung, beschlossen von beiden Häusern des Parlamentes, in der Höhe von 200 000 £ - seinen Abschied von der Armee einreichte und sich ins Privatleben zurückzog.

Mag. Martin Prieschl, MA ist Historiker.

 

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