• Veröffentlichungsdatum : 08.06.2017

  • 6 Min -
  • 1227 Wörter

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Yvonne Hofstetter

Wie intelligente Maschinen in unser Leben eindringen und warum wir für unsere Freiheit kämpfen müssen.

351 Seiten, 14,5 x 22,5 cm, gebunden mit Schutzumschlag

€ 20,60

ISBN 978-3-570-10216-9

C. Bertelsmann Verlag, München 2014

Wie intelligente Maschinen in unser Leben eindringen und warum wir für unsere Freiheit kämpfen müssen.

Die Autorin läutet gleich zu Beginn des Werkes das Big-Data-Zeitalter ein. Sie beschreibt es als quasi neue Achse zwischen Wirtschaft, Diktatur, Kapitalismus und der Menschheit. Das erklärte Ziel sei die Maximierung von Gewinn durch die Generierung dieses neuartigen Geschäftsmodells. Verhaltensweisen von Menschen werden als Daten gesammelt, mittels Algorithmen berechnet und als Big Data potentiellen Kunden zur Verfügung gestellt. Alles drehe sich dabei um den Menschen der zugleich Quell und Kunde jeglicher Daten ist!

Gleich zu Beginn des Buches führt Hofstetter aus, dass der Mensch durch das Primat der Mathematik und Algorithmen eine schleichende Veränderung der Rechts- und Staatssysteme erleben wird und aktuell gerade erlebt. Im weiteren Verlauf des Buches gibt Hofstetter Verweise auf bestehende Abhörsysteme von Geheimdiensten und Analysesoftware von Finanzunternehmen um die Durchdringung des Lebens durch Big Data im Hier und Jetzt zu dokumentieren. Mit dieser überdehnten Vorschau auf den eigentlich interessanten Teil des Buches gehen die ersten Kapitel eher in den Bereich der Liebhaberei und werden dem Titel des Buches nicht wirklich gerecht.

Hofstetter beschäftigt sich anfangs ausschließlich mit militärischen Themen rund um einen Luft-Boden Angriff im Irak im Jahr 1988 wo unter Zuhilfenahme von reinen Auswertedaten versehentlich ein ziviles Flugzeug abgeschossen wurde. Sie attestiert der AWACS Story ein kollektives Versagen des US-Militärs und begründet dies mit den 290 Todesopfer des irrtümlich abgeschossenen zivilen Flugzeugs. Big Data als kollektives Analyseinstrument reiche eben nicht aus um finale Entscheidungen zu treffen. Hier sei der Mensch immer noch notwendig um die entsprechenden Variablen bei Bedarf zu verändern.

Das zweite Kapitel ist getragen von mathematischen Ausflügen u.a. in die Netzwerktechnik. Diese werden ohne entsprechendes Fachwissen schnell ermüdend und überfordernd. Aufgelockert werden die Textpassagen durch Beispiele einzelner Unternehmen und deren Herangehensweise ihrer Big-Data-Fusionspolitik. Stringent verfolgt Hofstetter ihre Argumentationslinie und unterlegt die angeführten Beispiele mit immer mehr mathematischen Begriffen und Beweisen. Abschließend definiert sie den herkömmlichen Agentenbegriff als Software die sammelt und auswertet und final dann eine Risiko- bzw. Bedrohungsanalyse vornimmt.

Das Folgekapitel beschäftigt sich mit der Finanzkrise 2008, deren Auswirkungen und möglichen Folgen. Auch hier werden Beispiele anhand mathematischer Logiken erklärt und schlussendlich mutieren Informationen zu Big-Market-Data welche nach Hofstetter immer berechenbar werden, um so z.B. Aktiengewinne von Finanzunternehmen noch weiter zu maximieren. Immer und immer wieder wird anhand von Wahrscheinlichkeiten und Verteilungen Beweise ins Feld geführt.

Bei all der Sammlung von Daten und Informationen stellt sich berechtigter Weise die Frage nach dem wohin! Dadurch, dass es verschiedene Intentionen und dadurch unterschiedliche Ansätze der Macht- und Machtakkumulation gibt, wird das bis dato funktionierende Zentrum einer staatlich-hierarchischen Macht durch die partikularen Interessen von Unternehmen mit globaler Reichweite ersetzt. Eine Kontrolle wird dadurch immer schwerer möglich, vermutlich sogar verunmöglicht. 

Die gesamte Thematik wirkt insofern prekär, da mittlerweile alles vollautomatisch gesammelt und gespeichert wird. Sämtliche Informationen zu Menschen, wie Kaufgewohnheiten, Lebensgewohnheiten bis hin zur Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen und U-Bahnen wird beobachtet. Google arbeitet an künstlichen Intelligenzen, kauft Firmen welche Roboter herstellen und entwickelt künstliche Intelligenzen. Andere Unternehmen - vornehmlich Rüstungskonzerne - entwickeln Kampfroboter. Amazon investiert in Experten für maschinelle Lernverfahren im Bestellsektor der Kunden. Alles wird aufgezeichnet, gesammelt und archiviert. 

Der Mensch habe - hier zitiert Hofstetter Kant und andere - Würde und sei Subjekt und kein Objekt. Außerdem habe er keinen Preis und folglich müsse der Mensch - als Freiheit - gegen Big Data verteidigt werden. Einerseits um dessen individuelle Freiheit zu erhalten und um möglicherweise nicht irrtümlich Opfer einer Verwechslung zu werden. Durch sein Wesen müsse der Mensch eben arbeiten um zu überleben. Vorgänge zur digitalen Revolution erweitern die menschlichen Beziehungen und sozialen Bindungen um die Komponente der digitalen Inhalte. Auch wenn Unternehmen Big Data Diskussionen in Bezug auf Grundrechte als einen Hemmschuh in ihrer wirtschaftlichen Handelsbilanz sehen, so stellen diese doch einen immanenten Teil des menschlichen Lebens dar. Da eben dieses Leben zu schützen ist, wurde der Grundrechtsschutz im EU-Recht entsprechend abgebildet. Die Datenschutzgrundverordnung welche 2018 in Kraft tritt, trägt genau diesem Umstand Rechnung. Eben aus der Tatsache heraus, dass subjektiv erzeugte Daten zur Entwicklung neuer Daten und Datenstrukturen für andere wird, ist ein umfassender Datenschutz notwendig. Hofstetter wird hier erstmals konkret und überzeugt anhand ihrer durchgehenden Argumentation von der Notwendigkeit einer entsprechenden gesetzlichen Gegenmaßnahme.

Analog wie bei Jaron Lanier werden auch bei Hofstetter im Bereich der Geopolitik die fossilen Bodenschätze in den Hintergrund zu Gunsten der rein virtuellen Macht in Form einer massiven Datensammlung treten. Mächtig werden allein daher jene sein, die über entsprechende Möglichkeiten zur Filterung, Selektion und Verarbeitung der Daten in der Lage sein werden.

Hofstetter folgert dann weiter, dass mit den persönlichen Daten jeder Mensch ein quasi Erbe für andere erschafft und hinterlässt. Demnach entsteht neben dem Mensch als Lebewesen, ein digitaler Zwilling. Trotzdem muss jeder Mensch über diese Daten herrschen können oder diese ausschließlich anhand eines entsprechenden Rechtfertigungsgrundes verwendet wissen. In aktuellen Debatten erfolgt jedoch der Tausch oder die Preisgabe dieser Daten gegen Bequemlichkeit oder eine Gegenleistung von Big-Data-Unternehmen die jedoch keine echte im Sinne eines gleichwertigen Tauschhandels ist. Somit folgen den gesetzlichen Vorgaben reine Kontrollstrategien um dennoch das Unternehmensziel - Gewinnmaximierung mit Hilfe von Daten - zu erreichen. Natürlich erfolgt diese Kontrolle unter dem Deckmantel des Lustgewinns um eine noch weiter gesteigerte Bequemlichkeit des Menschen zu erreichen.

Den Begriff der Privatsphäre als Synonym für Geheimnis sieht Hofstetter allein bei den Mächtigen welche sich den Zugriffen anderer entsprechend entziehen können.

Im weiteren Verlauf bezieht sich Hofstetter auf die Aufgaben des Staates und Regierungen im Sinne eines legitimen Datenschutzes, welcher jedoch mit der 2018 in Kraft tretenden EU-Datenschutzgrundverordnung bereits Großteils gesetzlich festgeschrieben wurden und umgesetzt wird. Die Autorin führt rund um den Big-Data-Terminus den Begriff der Big-Data-Diktatur ins Feld, welche eben genau dort beginne, wo der Mensch einer Kontrolle unterworfen werde und im Gegenzug dafür seine Freiheit aufgeben oder massiv einschränken muss.

Abschließend werden in dem Buch noch 10 Aufgaben formuliert welche - wie bereits erwähnt - einen adäquaten Datenschutz garantieren sollen. An dieser Stelle darf erneut auf die im Jahr 2018 in Kraft tretende EU-Datenschutzgrundverordnung verwiesen werden.

Zusammenfassend kann das Werk von Yvonne Hofstetter als gut strukturiertes Buch beschrieben werden. Es thematisiert viele Bereiche des täglichen Lebens und setzt den Fokus auf technische Errungenschaften von Google, dem Militär und primär den deutschen Raum. Über weite Strecken - dies betrifft vor allen den Anfang - sind die oftmaligen Verweise auf mathematische Wissenschaften ermüdend und unzweckmäßig.

Im weiteren Verlauf versteht es Hofstetter jedoch ausgezeichnet die Leserschaft auf eine Reise in unser aller virtuelles Leben mitzunehmen. Die Zusammenschau von historischen Fakten, der Gegenwart und der Ausblick in die Zukunft fesseln beim Lesen. Auch wenn der Datenschutz niemals allumfassend sein kann, so werden doch Aufgaben an alle handelnden Personen und Institutionen gerichtet, welche 4 Jahre nach Erscheinen des Buches bereits in der EU-Datenschutzgrundverordnung ihren Niederschlag gefunden haben. Erst gegen Ende des Buches realisiert man, dass nur der Mensch alleine entscheiden kann, um welchen Preis er seine Daten, seinen digitalen Zwilling zu Big Data werden lässt, nur um sich schlussendlich damit selbst zu befriedigen. Der Mensch müsse eben bereits jetzt abwägen ob er sich für einen eher bequemen Weg entscheide, der möglicherweise in einer Diktatur endet, oder ob er weiterhin „Herr oder Herrin der eigenen Daten“ sein möchte!

-mkr-

 

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