• Veröffentlichungsdatum : 24.06.2016
  • – Letztes Update : 25.06.2021

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Sicherungseinsatz 1991

Josef Paul Puntigam

Ab dem 27. Juni 1991 kam es an der österreichischen Staatsgrenze zu Kämpfen zwischen den slowenischen Freiheitskämpfern und der Jugoslawischen Volksarmee. Kurz darauf wurden Verbände des Österreichischen Bundesheeres erstmalig zum Einsatz gemäß Wehrgesetz, Paragraph 2, Absatz 1, litera a, „Militärische Landesverteidigung“ in der Zweiten Republik in die Grenzregion entsandt. Das Landwehrstammregiment 53 (LWSR53) sicherte dabei einen Gefechtsstreifen von etwa 130 Kilometern Breite.


Dieser Beitrag umfasst Auszüge aus dem Tagebuch von Brigadier i.R. Josef Puntigam. Dabei wird die Zeit vom 26. Juni bis zum 3. Juli 1991 besonders herausgehoben. Der Beitrag soll Zeugnis geben über die Eindrücke und Gefühle, die den Geist von damals unmittelbar und unreflektiert wiedergeben, ohne die historische, zeitgeistige oder politische Dimension im Detail widerzuspiegeln. Der Beitrag ist eine Chronik jener schicksalshaften Tage aus dem ganz spezifischen subjektiven Blickwinkel, auf das damalige Geschehen bezogen. Es soll ein lebendiges Abbild und eine Erinnerung daran sein, dass österreichische Soldaten vor 25 Jahren bereit waren, ihr Treuegelöbnis unter Beweis zu stellen.


Der 27. Juni 1991 war ein schwüler und regnerischer Sommertag. Der Kommandant des Landwehrstammregimentes 53 (LWSR53), Oberstleutnant Josef Puntigam, saß in seiner Kanzlei, als er von seinem Hauptkanzleileiter zu einem dringenden Anruf gebeten wurde. Eine Frau aus Lichendorf/Murfeld meldete sich am Telefon und fragte aufgeregt, ob denn österreichische Hubschrauber einen roten Stern tragen.

Was war passiert? Tatsächlich hatte die Frau Hubschrauber der Jugoslawischen Volksarmee (JVA) gesehen. Etwa vier Hubschrauber hatten nach 1800 Uhr den österreichischen Luftraum bei Mureck-Lichendorf-Gersdorf und Spielfeld überflogen. Dabei wurde eine jugoslawische Infanteriekompanie auf dem Bubenberg, 300 Meter ostwärts von Spielfeld/Šentilj, angelandet. Dies sorgte bei einigen Anrainern für Aufregung.

So begann für viele Menschen in der „windigsten Ecke Europas“, an der Nordgrenze des ehemaligen Jugoslawien, die erste bewaffnete Auseinandersetzung nach dem Zweiten Weltkrieg an der Grenze zu Österreich.

Ausgangslage für das LWSR53

Das Landwehrstammregiment 53 war in den Orten Strass und Radkersburg, in der Südoststeiermark, ganz nahe an der Staatsgrenze stationiert. Die Soldaten an der Grenze spürten, dass der Zerfall Jugoslawiens unvermeidlich bevorstand. Deshalb widmete das Regiment der Einsatzart „Schutz der Staatsgrenze“ erhöhte Aufmerksamkeit.

Die Zusammenarbeit mit den Bezirkshauptmannschaften, der Gendarmerie, der Zollwache und den Blaulichtorganisationen stand im Vordergrund. So hatten der damalige Bezirkshauptmann von Leibnitz, Hofrat Dr. Johann Seiler, der mit den südlichen Nachbarn in gutem Kontakt stand, die ehemaligen Regimentskommandanten, Oberst Walter Fritz und Oberst dG Karl Augustin, bereits Vorarbeiten für einen möglichen Einsatzfall geleistet. Fritz und Augustin widmeten den Kampfverfahren des räumlich begrenzten Abwehrkampfes und dem Sicherungseinsatz an der Staatsgrenze großes Augenmerk, ebenso der Zusammenarbeit mit den Behörden, der Gendarmerie und der Zollwache.

In diesem Zusammenhang beschreibt Oberstleutnant Puntigam die Leistungen der eingesetzten Soldaten: „Sie alle, Offiziere, Unteroffiziere, Chargen und Rekruten, haben Großartiges zuwege gebracht. Es kann nicht oft genug erwähnt werden, dass sie alle eine enorme militärische Führungsleistung und Durchsetzungsarbeit vollbracht haben. Mit Professionalität, Mut, Aufopferungswillen und Kreativität haben sie Großartiges für ihre Heimat und für Freiheit in Frieden geleistet.“ 

Das LWSR53 führte 14 Tage vor Beginn des „Ernstfalles“ mit Milizverbänden eine umfangreiche Sicherungsübung zum Thema „Schutz der Staatsgrenze“ in der Weststeiermark durch. Die Erfahrungen aus dieser Übung machten sich ab dem 27. Juni 1991 bezahlt. Unter anderem wurde geübt: der Unterschied zwischen einem Stützpunkt zur Abwehr eines Feindangriffes und dem Stützpunkt zum Schutz eines Grenzüberganges, der Kontrollpunkt zum Unterschied zur Vorpostengruppe, das Trennen von Streitparteien, Roadblocking, Maßnahmen gegen Aufruhr, Hausdurchsuchung, Bedeckung, Bewachung, Überwachung, Schießen unter Vermeidung von Kollateralschäden etc.

Mit der Unabhängigkeitserklärung der beiden Teilstaaten Kroatien und Slowenien von Jugoslawien am 25. Juni 1991 war eine Konfrontation programmiert. Im Zuge der Unabhängigkeitsfeier in Laibach/Ljubljana wurden die jugoslawischen Grenzsicherungskräfte laufend verstärkt, die anfangs erwähnte Luftlandung war ebenfalls zum Zeitpunkt dieser Feiern erfolgt. Während an den Grenzstationen sowohl slowenische als auch jugoslawische Polizei- und Zollbeamte Dienst versahen, wurde die so genannte „Grüne Grenze“ ausschließlich durch die Jugoslawische Volksarmee (JVA) überwacht.

Es herrschte eine Zeit der Hiobsbotschaften über Übergriffe der JVA gegenüber Regimekritikern und Gerüchte (z. B. zum jugoslawischen Planspiel „Bedem 91“), der Hektik, der Vielzahl an politischen Reaktionen (z. B. Treffen von Bundeskanzler Franz Vranitzky mit dem jugoslawischen Präsidenten) und der anschwellenden Hysterie in den Staatskanzleien. 

Donnerstag, 27. Juni

Gerüchte geisterten durch die Medienwelt: etwa, dass der Einmarsch der JVA in Slowenien erfolgt, sollte sich das Bundesheer der jugoslawischen Grenze nähern, oder dass das Bundesheer gemeinsam mit der NATO Nordjugoslawien überfallen will. Diese Informationen stammen aus dem JVA- Planspiel „Bedem 91“ und wurden in Österreich selbst von honorigen Personen (Bezirkshauptleuten) geglaubt und ernsthaft diskutiert.

Tatsächlich rollten Panzer der JVA auf die österreichische Grenze zu. Diese Kräfte hatten gemäß Generaloberst Konrad Kolschek, kommandierender General der 5. Armee mit Sitz in Zagreb, der in Eigeninitiative ohne Rücksicht auf den Primat der Politik handelte, den Auftrag, alle internationalen Grenzübergänge zu besetzen. Dabei flogen jugoslawische Jagdbomber knapp an die österreichische Grenze heran.

Die slowenische Polizei und die Territorialverteidigung waren fest entschlossen, die Besetzung der Grenzübergänge durch die JVA zu verhindern. Von Maribor aus bewegten sich JVA-Panzerkräfte in Richtung Spielfeld/Šentilj. Bei Pesnica, elf Kilometer südlich von Spielfeld, errichtete die slowenische Verteidigung eine Straßenblockade aus Lastkraftwagen unterschiedlichster internationaler Herkunft. Die JVA-Panzer feuerten in diese Sperre. Das Peitschen der Panzerkanonen und das Knattern der Maschinengewehre waren bis in die Kaserne Strass deutlich hörbar.

Von Varaždin stießen Panzer des 31. Korps nach Verzej vor. Fernfahrer und Slowenen berichteten den österreichischen Grenzsicherungskräften persönlich oder fernmündlich über die aktuelle Lage, sodass das LWSR53 bestens unterrichtet war.

Hektik herrschte indes auch in der Stadt Gornja Radgona. Der Grenz­übergang war geschlossen, wurde aber zwischendurch wieder geöffnet. Die jeweilige Beurteilung der Lage der JVA-Kräfte durch die zivile Behörde war unpräzise und widersprüchlich, der militärischen Lagefeststellung durch das ÖBH wollte man nicht immer Glauben schenken. Die Situation war dadurch gekennzeichnet, dass die einen mit massiven Grenzverletzungen rechneten und die anderen die Lage als völlig harmlos hinstellten. Das BMI sah kein Erfordernis für die Anforderung eines Assistenzeinsatzes des ÖBH an der Grenze.

In der steirischen Grenzlandbevölkerung begann sich daher Unruhe bemerkbar zu machen. Einige Slowenen flohen zu Bekannten und Verwanden nach Radkersburg oder Graz. Während sich an der Grenze die Situation zuspitzte, gaben offizielle Wortmeldungen der hohen Politik nicht immer die in Jugoslawien herrschende Realität wieder, währenddessen u. a. in Gornja Radgona bereits eine JVA-Panzerkompanie bis zur Staatsgrenze durchgebrochen war. Der Grenzübergang Sicheldorf/Gederovci wurde geschlossen, nachdem dort Hubschrauber etwa 20 JVA-Soldaten angelandet hatten sowie etwa 50 JVA-Soldaten mit Fahrzeugen angerückt kamen. Die slowenische Polizei nahm sie unter Beschuss.

Die Soldaten des LWSR53 durften in dieser Situation nicht näher als zwei Kilometer an die Staatsgrenze heranrücken. Für die österreichische Exekutive wurde indes der „Fall Süd“ angeordnet, was letztlich eine Verstärkung der grenznahen Gendarmerieposten und Zollwachstellen bedeutete. Zwar machte die Exekutive für Außenstehende ein entschlossenes Bild, sie war aber angesichts der Panzerbedrohung und durch die Luftlandungen der JVA nicht entsprechend gerüstet. Sie hatte auch keinen Kombattantenstatus gemäß Völkerrecht und durfte gegebenenfalls nur zur Notwehr oder Nothilfe von ihrer Waffe Gebrauch machen. Oberstleutnant Puntigams kurzer Kommentar: „Es war alles wie in einer Erzählung von Roda-Roda.“

Der Grenzverlauf zwischen Öster­reich und Jugoslawien ist teilweise sehr unübersichtlich und schlecht gekennzeichnet gewesen. Daher bekam das Bundesheer den Auftrag diesen mit Fahnenstangen zu markieren. Nachdem aber den österreichischen Soldaten die Markierung des österreichisch-jugoslawischen Grenzverlaufes an neuralgischen Punkten strikt untersagt worden war, wurden der Zoll und die Straßenverwaltung mit der Grenzmarkierung beauftragt. Aber bereits nach dem ersten Knall auf slowenischer Seite wagten sich die Angestellten der Straßenverwaltung nicht mehr an die Grenze. So musste dann doch das Bundesheer an die Front. Somit war das Gezerre um die Grenzmarkierung an diesem Tag unter den Soldaten zu einer willkommenen Lachnummer geworden.

Trotz der angespannten Lage bereiteten sich die Rekruten des Landwehrkontingentes I/1991 gemäß dem Befehl des Militärkommandos vom 28. Juni, 1120 Uhr, auf das Abrüsten vor. Die Kadersoldaten waren darüber entsetzt. Im Tagebuch des Regimentskommandanten ist zu lesen: „Jetzt, wo sie all das Gelernte umsetzen sollen, mussten wir sie abrüsten lassen und heimschicken? Wir konnten es nicht glauben.“ 

Bis zu diesem Zeitpunkt war die JVA schon seit 32 Stunden in Richtung österreichischer Grenze marschiert. Nun wurde auch in Österreich den Verantwortlichen der Boden unter den Füßen zu heiß. Knapp vor 1200 Uhr kam der Befehl an das LWSR53, die Aufnahme von vier Assistenzkompanien vorzubereiten:

  • Assistenzkompanie des Versorgungsregimentes 2 (VR2) in den Verfügungsraum St. Peter im Sulmtal;
  • Assistenzkompanie des LWSR55 mit unterstelltem Offiziersanwärterzug des LWSR52 in die Kaserne Leibnitz;
  • Assistenzkompanie des Jagdpanzerbataillons 4 (JaPzB4) in die Kaserne Radkersburg;
  • Assistenzkompanie des Pionierbataillons 2 (PiB2) aus Salzburg in die Kaserne Strass.

Das LWSR53 war alarmiert. Vier Kaderangehörige des Regiments meldeten sich freiwillig für Beobachtungstätigkeiten an die Grenze. Die Verbindung wurde über Handfunksprechgeräte sichergestellt; die Ablöse alle sechs Stunden geregelt. So mimten die Freiwilligen einfach „Waidmänner“ auf Hochsitzen. Niemand durfte zu diesem Zeitpunkt davon etwas erfahren. Nur der Regimentskommandant und ein weiterer Offizier wussten über diesen Einsatz Bescheid.

Freitag, 28. Juni

Die „Waidmänner“ meldeten keine Vorkommnisse. Die vielen erwarteten Flüchtlinge kamen nicht. Sie kamen auch in weiterer Folge nicht. Das LWSR53 verstärkte die Grenzbeobachtung durch weitere Soldaten. Dabei war der Idealismus der Männer erstaunlich. Sie führten z. B. selbstständig stundenlang Waffen- und Schießdrill sowie ABC-Schutzausrüstungsdrill durch. Alles in Eigenregie - ohne Befehl und außerhalb des Dienstplans. Es gab aber auch Charaktere, die sofort Urlaub nehmen wollten bzw. kurzerhand krank wurden.

Indes musste auch Oberstleutnant dG Heinz Winkelmayer, der damalige G3 des Militärkommandos Steiermark, bestätigen, dass die Rekruten des Einrückungs-Turnusses Jänner 1991 wirklich abzurüsten hätten. Ein militärischer Einsatz sei für sie vorerst ausgeschlossen.

Etwa 400 bestens ausgebildete Soldaten hatten die Kaserne zu verlassen, da sie abrüsten mussten. Sogar der eine oder andere Rekrut verstand diese Anordnung nicht. Aber der Primat der Politik galt, ganz besonders in einer solchen Situation. Stattdessen mussten nun die vor drei Monaten eingerückten Soldaten in den Einsatz. Nicht nur der Kader war sich des Ausbildungsstandes von Zwölf-Wochen-Rekruten bewusst, auch alle militärischen Kommandanten meldeten ihre Bedenken an.

Es nutzte jedoch nichts - der Befehl war erteilt. So bildete das LWSR53 mit den Berufssoldaten und den verbliebenen Acht-Monate-Systemerhaltern so genannte Alarmeinheiten - zur Führung, Versorgung und Verbindung eines möglichen Assistenzeinsatzes sowie zur Unterstützung der Behörden und der Exekutive. Auch ein Aufklärungszug, ein Panzerjagdzug mit sechs schweren Panzerabwehrrohren, ein Transport- und ein Wachzug wurden gebildet.

Die Assistenzkompanie des Pionierbataillons 2 meldete sich um 1053 Uhr im Einsatzraum, und in Änderung der Lage wurde ihr der Verfügungsraum Leibnitz zugewiesen. Umfunktioniert in und eingesetzt wie eine Jägerkompanie fand diese sich mit einem Schutz- und Aufklärungssauftrag dort wieder. Die Ausbildung der Soldaten an den zugewiesenen Waffen erfolgte „frontnah“. Die Jagdpanzerkompanie wurde zum Garnisonsübungsplatz (GÜPl) Strass verlegt.

Jenseits der Grenze stieß ab den frühen Morgenstunden desselben Tages eine Panzergruppe, aus Verzej kommend, über Križevci, Hrastje Mota und Radenci weiter Richtung Gornja Radgona vor. Trotz heftigen Widerstandes der slowenischen Verteidiger, stand sie um 1050 Uhr vor der Stadt. Dazu bemerkte Oberstleutnant Puntigam: „Ihr Ziel war die Grenzstation an der Murbrücke, 100 Meter von Österreich entfernt. Vier Transportfahrzeuge der JVA und auch Häuser gingen im Verlauf dieser Auseinandersetzungen in Flammen auf.

Die Kampfgruppe unter dem JVA-Oberst Berislav Popov bestand aus einem Räumpanzer, drei Kampfpanzern, zehn Schützenpanzern, einem Sanitätskraftwagen, vier LKW, drei Versorgungs-LKW, einem LKW mit Kastenaufbau, einem Sanitäts-LKW und einem Tank-LKW. Insgesamt befehligte Popov etwas mehr als 100 Soldaten. Zivilisten setzten vier dieser Transportfahrzeuge mit Molotow-Cocktails in Brand. Zwei Transporter mit Munition explodierten. Die anderen zwei brannten aus - einer hatte Decken und Schlafsäcke geladen, auf dem anderen saßen Soldaten, die sich gerade noch retten konnten. Ein fünfter Transporter mit Lebensmitteln, wurde durch Jugendliche um 1340 Uhr ‚abgefackelt?.

In Bad Radkersburg verletzte ein Querschläger einen Urlauber schwer. Der Garnisonskommandant Hauptmann Königshofer und der Bürgermeister Werner Reiter handelten umgehendst und veranlassten, dass alle grenznah liegenden Objekte sowie Schulen, das Finanzamt und die Parktherme geschlossen und die Menschen heimgeschickt wurden.“

Am Abend des 28. Juni wurde die Grenzstadt Gornja Radgona durch die JVA-Panzer eingenommen. Die Bilanz: zwei Tote Soldaten der JVA, mehr als zwanzig verletzte Kämpfer und ein getöteter Journalist. Der Journalist und Psychologe, Janez Svetina, starb durch eine MG-Garbe just in dem Augenblick, als er einen JVA-Panzer fotografieren wollte. Etwa zur gleichen Zeit kam es bei Cmurek zu einem kurzen Schusswechsel. Größere Kampfhandlungen blieben aber aus.

Der Kampf um Šentilj brach um 1100 Uhr aus. Ein JVA-Panzer wurde durch eine slowenische Panzerfaust getroffen und brannte aus. Vier Panzer bezogen Stellung und schossen in die Gegend. Slowenische Territorialkämpfer überwachten die Panzer.

Zur Mittagszeit, um 1110 Uhr, stand Oberstleutnant Puntigam mit dem damaligen Bezirkshauptmann von Leibnitz, Hofrat Dr. Seiler, dem Inspizierenden der Zollwache Steiermark, Oberst Friedrich Mulzet, dem Abteilungsinspektor der Gendarmerie, Alfred Lampel, und weiteren Personen auf dem Bubenberg bei Spielfeld und beobachtete die Vorgänge in der Ortschaft Šentilj.

Um 1112 Uhr war im Murtal plötzlich ein dumpfes Dröhnen zu hören. Über Leibnitz kamen zwei dunkle Punkte auf die versammelte Gruppe zu. Rund einen Kilometer entfernt konnte man zwei jugoslawische Jagdbomber erkennen. Kurz darauf eröffneten diese um 1115 Uhr das Feuer auf verschiedene Einrichtungen in der Ortschaft Šentilj. Mehrere Anflüge folgten. Der Luftangriff wurde mit Maschinenkanonen und Raketen, aber auch mit den verbotenen Streubomben geführt. Auf österreichischer Seite war man sprachlos und entsetzt. Mitten in Europa war Krieg - spätestens jetzt war dies allen Anwesenden klar. Die JVA schlug mit Bomben und Raketen gegen die eigene Bevölkerung zu.

Dunkle Rauchsäulen standen südlich von Šentilj; auch von Pesnica kam Gefechtslärm. Dazu notierte Oberstleutnant Puntigam in sein Tagebuch: „Ich fuhr schleunigst in die Kaserne, um dem Militärkommando zu melden. Wir waren auf das telefonische Festnetz angewiesen, mobile Telefone gab es im Heer noch nicht. Wir führten wie der Volkssturm 1945! Die Funker mussten ja auch am Vormittag abrüs­ten. So standen wir ohne brauchbare Verbindungsmittel da.“

Diese Meldung mobilisierte Vorgesetzten sowie Politiker. In dem Augenblick, als sowohl der Militärkommandant der Steiermark, Divisionär Hubert Albrecht, als auch der Kommandierende des I. Korps in Graz, General Eduard Fally nach Lösungen suchten, hörte man den damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky im Mittagsjournal sagen: „Jetzt (österreichische; Anm.) Panzer an der Grenze sind das falsche Signal!“ Die Einsatzkräfte an der Grenze fragten sich natürlich, für wen es denn das falsche Signal sei? Die Bevölkerung vor Ort war jedenfalls verunsichert.

In weiterer Folge kam es wieder zu Verletzungen des österreichischen Luftraumes durch jugoslawische Militärflugzeuge im Raum Radkersburg-Mureck-Spielfeld-Strass und Graz. Dies änderte sich, als die „Draken“  des Österreichischen Bundesheeres den Einsatzbefehl erhielten. Durch ihre Präsenz endeten die Luftraumverletzungen der JVA. Bis zum späten Abend demonstrierten die österreichischen Luftstreitkräfte mit „Draken“, Saab 105OE und Hubschraubern den Einsatzwillen.

Aber auch auf dem Boden zeigte Österreich langsam mehr und mehr Präsenz. Jagdpanzer des Jagdpanzerbataillons 4 aus Graz patrouillierten grenznah zwischen Eibiswald und St. Anna am Aigen. Die Bevölkerung begrüßte jubelnd und erleichtert die Soldaten. Auch die Slowenen im grenznahen Raum nahmen mit Genugtuung die österreichische Truppenpräsenz zur Kenntnis. Die Soldaten selbst genossen die Kundgebungen. Gegen 1500 Uhr besuchte dann der steirische Landeshauptmann Krainer die österreichischen Soldaten im Grenzgebiet.

Am späten Nachmittag entschloss sich der Bundesminister für Landesverteidigung Werner Fasslabend den Einsatzbefehl zu erteilen. Das Bundesheer wurde nun gemäß Wehrgesetz, Paragraph 2, Absatz 1, litera a zur Militärischen Landesverteidigung an der Staatsgrenze in der Steiermark und in Kärnten eingesetzt. Die Truppe war erleichtert - keine sicherheitspolizeiliche Assistenz, sondern die Militärische Landesverteidigung. Vier Kompanien, darunter eine Pionierkompanie aus Villach und eine Jagdpanzerkompanie aus Graz, wurden dem Landwehrstammregiment 53 für den Einsatz unterstellt.

Die Kräfte aus den Verfügungsräumen verlegten in die grenznahen Einsatzräume, wo sie die Struktur von Jägerkompanien einnahmen und mit schweren Waffen, scharfer Munition und Panzerminen versorgt wurden. Währenddessen erteilte der Militärkommandant der Steiermark den Einsatzbefehl. Er war kurz und klar: 

  1. Grenzbevölkerung beruhigen.
  2. Demonstrativ direkt an der Grenze auftreten.
  3. Grenzübergänge schützen und Zwischengelände überwachen.“

Der Generalstabsoffizier für Führung und Organisation gab noch zusätzliche Einzelweisungen für koordinierende Maßnahmen, die Verbindung sowie Versorgung und präzisierte die Feuereröffnung. Die Befehlsausgabe durch den Kommandanten des LWSR53 an seine Einheiten erfolgte erst nach Mitternacht. Es herrschte eine gespenstische Stimmung.

Von Slowenien hörte man Panzerkanonen und die Maschinengewehre feuern. Die Heeresfilm- und Lichtbildstelle (HBF) war vor Ort und filmte. Die Ereignisse überschlugen sich nun (Panzeralarm in Radkersburg und Spielfeld/Šentilj; Giftgasalarm in Spielfeld; Fliegeralarm in Šentilj. Luftlandung südlich Radkersburg.) Das Landwehrstammregiment 53 und die Kasernenkommanden Strass, Radkersburg und Leibnitz mussten erst führungsfähig und versorgungsfähig gemacht werden. Das führte dazu, dass der Organisationsbefehl wie auch der taktische Befehl gleichzeitig erteilt werden mussten.

Viele Einzelheiten, wie die neue rechtliche Situation hinsichtlich des Waffengebrauches, die Aussetzung der Straßenverkehrsordnung für alle im Einsatz befindlichen Kraftfahrzeuge etc., die später selbstverständlich wurden, mussten erst aufgrund der neuen rechtlichen Situation erklärt und auch dezidiert befohlen werden. 

Noch nie in der Geschichte des Bundesheeres gab es einen Einsatz gemäß Wehrgesetz, Paragraph 2, Absatz 1,  litera a. Daher hatte die Befehlsausgabe sowohl den Charakter eines Unterrichtes, als auch den einer klassischen Befehlsausgabe. Gleichzeitig schrillten im ganzen Haus die Telefone, in- und ausländische Medien wollten Interviews. Alle hatten Akkreditierungen von Grazer Dienststellen.  

Samstag, 29. Juni

Am Morgen des 29. Juni 1991 stand die Truppe vollzählig in der Sicherungslinie zwischen Bonisdorf im Burgenland und dem Jantschki - einem Fels in der Soboth - direkt an der Kärntner Landesgrenze. Die Truppe war zwar noch nicht gefechtsbereit, aber sie stand deutlich sichtbar für alle Menschen diesseits und jenseits der Grenze.

Der Vermittlungsversuch der EG-Troika (aus Vetretern Italiens, Luxemburgs und den Niederlanden) war erfolglos. Die JVA zeigte keine Bereitschaft, in die Kasernen zurückzukehren. Aber auch Slowenien war nicht bereit, seine Unabhängigkeit auszusetzen. Und Serbien verhinderte weiter die Wahl des Kroaten Stipe Mesic zum jugoslawischen Staatspräsidenten.

An der Grenze war es seit dem Einsatz österreichischer Truppen ruhig geworden. Allerdings war die Lage am Grenzübergang Gornja Radgona sehr angespannt. Der dortige serbische Kommandant Oberst Popov musste erkennen, dass er von slowenischen Kämpfern völlig eingeschlossen war. Seine Versorgungsfahrzeuge waren durch slowenische Freiheitskämpfer mit Molotow-Cocktails abgefackelt worden. In der Partizanska cesta (Partisanenstraße) standen die ausgebrannten LKW, wodurch der Grenzübergang nachhaltig blockiert und daher geschlossen war. Popovs Truppen mussten deshalb durch einen Hubschrauber versorgt werden.

Die Grenzübergänge Sicheldorf/Gederovci und Spielfeld/Šentilj waren ebenfalls geschlossen. Nur der Übergang Mureck/Trate war noch offen. Das LWSR53 hatte nun alle neuralgischen Punkte besetzt, Straßen- und Panzersperren waren errichtet und machten auf die Menschen einen nachhaltigen Eindruck des entschlossenen Abwehrwillens Österreichs. Während dem LWSR53 eine weitere Jagdpanzerkompanie unterstellt wurde, wurde die Assistenzkompanie des VR2 noch am Morgen des 29. Juni abgelöst und durch die schwere Kompanie des Jägerbataillons 21 aus Kufstein ersetzt.

Um 1600 Uhr ergaben sich die vier JVA-Besatzungen der südlich von Šentilj stehenden Panzer den Slowenen. Die Sommerhitze hatte sie zur Aufgabe gezwungen. 32 Stunden hatten sie mit Panzerkanonen und Maschinengewehren auf alles geschossen, was ihnen in den Weg gekommen war. Slowenische Kämpfer nahmen die Panzer in Besitz, aktivierten diese wieder und fuhren damit bis knapp an die österreichische Grenze heran. Sie brauchten die Panzer zur geschützten Feuer­unterstützung gegen JVA-Widerstandsnester und im Kampf um die Karaule (befestigte Unterkunft für militärische Überwachungszwecke) Šentilj.

Die Situation spitzte sich mehr und mehr zu. Bei einigen lagen die Nerven blank. An einer Grenzübertrittstelle musste sogar einem Zöllner von Soldaten die Pistole weggenommen werden, weil er damit auf slowenische und JVA-Soldaten schießen wollte. Die österreichischen Soldaten wussten aber, dass genau jetzt das Zeigen von eigener Präsenz das einzig Richtige war. Jedoch befürchtete man den Übermut der slowenischen Freiheitskämpfer.

Eine Verletzung des österreichischen Territoriums durch Slowenen mit erbeuteten JVA-Panzern wäre für die jugoslawische Diplomatie ein Fressen gewesen. So wurde der Raum um die Murbrücke von Spielfeld nun gänzlich vom Bundesheer gesperrt, bis sich die Situation entspannte. Zusätzlich hielt man eine weitere dem LWSR53 unterstellte Jagdpanzerkompanie als Reserve in der Teichhalle in Ratschendorf bereit.

An diesem ereignisreichen Tag gab es bei den österreichischen Truppen an der Grenze laufend hohen Besuch. General Hannes Philipp, General Fally und Divisionär Albrecht inspizierten das LWSR53 am Vormittag und am Abend. Sie waren ständig präsent und standen jedem mit Rat und Tat zur Seite. Am Nachmittag stieß Verteidigungsminister Werner Fasslabend, in Begleitung der Generäle Raimund Schittenhelm und Wolfgang Spinka dazu, was die Soldaten mit großer Sympathie zur Kenntnis nahmen. Puntigam bemerkte: „Er war ein Minister zum Anfassen. Einfach eine Persönlichkeit. Er getraute sich immer er selbst zu sein?. Und er hatte auch die richtigen Berater - nämlich Schittenhelm und Spinka.“

Noch am selben Abend kündigte General Fally eine mögliche Mobilmachung der 5. und der 7. Jägerbrigade an.

Sonntag, 30. Juni

Am 30. Juni um 1706 Uhr ordnete Oberst Franz Gigler vom Militärkommando Steiermark telefonisch an, dass alle Vorbereitungen für eine mögliche Mobilmachung zu treffen seien. Während einerseits dieser Befehl bei den Kommandanten tiefe Genugtuung auslöste (es fehlten wichtige Führungs-, Verbindungs-, Versorgungs- und Unterstützungsteile) wussten sie andererseits auch, welche großen Probleme jetzt auf sie zukommen würden. So waren gleichzeitig drei gewaltige Aufgaben zu bewältigen:

  • Fortführung des Sicherungseinsatzes an der Staatsgrenze;
  • Austausch des Mob-Schlüsselpersonals;
  • Aufmarsch zur Mobilmachung.

In kürzester Zeit gab das Kommando des LWSR53 alle Befehle zur Vorbereitung einer Mobilmachung heraus und ordnete die notwendigen Maßnahmen dazu an. 

Doch es kam anders - es wurde nicht mobil gemacht. Stattdessen verlegten weitere Truppen aus Oberösterreich, Tirol, Osttirol und Niederösterreich in das Grenzgebiet. Das LWSR53 hätte somit acht Kompanien auf einem 130 Kilometer breiten Gefechtsstreifen zu führen gehabt. Dies wäre eine führungsmäßige Zerreißprobe gewesen. Daher teilte der Militärkommandant den Gefechtsstreifen.

Im Osten bis an die Mur sollte das LWSR52 führen und im Westen, von der Mur bis an die Kärntner Landesgrenze, das LWSR53. Dazu kam es aber erst am 3. Juli. Denn mit dem 30. Juni bahnte sich der Höhepunkt der Krise an, sodass der Befehl zur Teilung des Gefechtstreifens vorerst zurückgenommen werden musste. Am Abend führte der Kommandant des LWSR53 zusätzlich zu den Stammkompanien noch

  • eine Jägerkompanie des Landwehrstammregimentes 55,
  • eine Jägerkompanie des Landwehrstammregimentes 52,
  • eine Jägerkompanie des Jägerbataillons 21,
  • zwei Jagdpanzerkompanien des Jagdpanzerbataillons 4 und
  • eine Kompanie des Pionierbataillons 2.

Am späten Abend hörte man in einem slowenischen Radiosender, dass der Kommandant des 21. Operationszentrums der JVA-Luftabwehr, Oberst Drago Brencic, die jugoslawische Armee verlassen hat. Dies bedeutete, dass die ursprünglich als homogen beurteilte JVA plötzlich Risse bekam. Der Kampfwert und die Kampfkraft begannen zu bröckeln. Er erhob schwere Vorwürfe gegen die JVA-Führung. Aber auch die JVA bekrittelte das Bundesheer an der Grenze. Der österreichische Botschafter wurde ins Belgrader Außenamt zitiert.

Am frühen Vormittag lief ein Ultimatum der JVA an die Slowenen ergebnislos aus. Die Armee drohte nun mit Luftschlägen und Giftgaseinsatz. Die österreichische Botschafterin, Frau Dr. Stefan-Bastl, informierte die eingesetzten österreichischen Truppen, dass in allen Städten und auch in den grenznahen Dörfern von Slowenien Luftalarm gegeben werde. Tatsächlich heulten ab 0900 Uhr überall die Sirenen, auch in Šentilj und in Gornja Radgona. Oberstleutnant Puntigam notierte damals:

„Ich erhielt vom Militärkommandanten um 0800 Uhr den Auftrag, unverzüglich nach St. Anna/Aigen zu fahren, die dortige Gendarmerie und den Bürgermeister zu alarmieren, da angeblich Gefahr besteht, dass auch St. Anna/Aigen bombardiert werden kann. Er verlangte höchste Vertraulichkeit. Warum dieses so sein sollte, wusste aber auch er nicht. Der Pfarrplatz in St. Anna/Aigen war voll besetzt, eine Primiz wurde gefeiert. Die versammelten Menschen waren in bester Stimmung. In Slowenien heulten währenddessen die Sirenen, über Radkersburg standen bereits dunkle Rauchsäulen. Aber in St. Anna war es so, als ob all dies keinen was anginge. Ich informierte den Gendarmeriepostenkommandanten. Der lachte mich aus. Auch der Bürgermeister konnte mit meiner Meldung nichts anfangen. Wie auch immer, es wurde St. Anna/Aigen trotzdem nicht bombardiert, aber sehr wohl Gornja Radgona und Ljubljana. Gegen 1030 Uhr verstummten die Sirenen.“

Erst im Jahr 2009 erfuhr der damalige Kommandant des LWSR53 anlässlich eines Fachgespräches mit dem ehemaligen Polizeikommandanten von Murska Sobota die Hintergründe der Androhung, St. Anna zu bombardieren. Heute ist klar, dass die Ortschaft haarscharf einer Katastrophe entging. Die JVA drohte damals den slowenischen Kräften im Raum Murska Sobota und Kuzma mit der Zerstörung ihrer Relaisstationen. Ein österreichischer Zöllner aus St. Anna/Aigen bekam das mit und bot an, diese Relaisstation im Raum St. Anna, auf österreichischem Gebiet, für die Slowenen zu errichten. Die JVA hörte diese Telefongespräche mit und drohte daher mit der Bombardierung von St. Anna, sollte diese Relaisstation aktiviert werden.

In Radkersburg wurde am 30. Juni mit dem neuerlichen baldigen Ausbruch schwerer Kämpfe gerechnet, was später auch tatsächlich eintrat. Gerüchte besagten, dass weitere JVA-Panzer aus dem Raum Varaždin im Anrollen seien, um die in Gornja Radgona eingeschlossenen Panzer freizuschießen. Es stellte sich die Frage, ob diese Panzer bei Ormož über die dortige Drau-Brücke rollen konnten oder nicht. Ein bereits im Ruhestand befindlicher Unteroffizier entschloss sich, an die Drau zu fahren, um den Sachstand abzuklären. Als Dolmetsch nahm er einen Slowenisch sprechenden Bekannten mit. Nach drei Stunden meldeten sie über das öffentliche Telefonnetz, dass die Draubrücke zwar fest in slowenischer Hand sei, aber noch heftige Kämpfe tobten. Ein Überschreiten der Brücke sei für den 30. Juni nicht zu erwarten.

Das verschaffte dem LWSR53 etwas Zeit, um Umgruppierungen vornehmen zu können. Um die Mittagszeit überflog ein als Sanitätstransporter gekennzeichneter und mit Raketenwerfern bewaffneter JVA-Hubschrauber österreichisches Gebiet. Wie später bekannt wurde, hatte er Bekleidung, Decken und Verpflegung für die JVA-Soldaten geladen.

In Anbetracht der Problematik der in Gornja Radgona eingeschlossenen JVA-Kampfgruppe Popov (auf Luftversorgung angewiesen und durch slowenische Kämpfer eingekesselt) und der Zuspitzung der militärischen Lage in Murska Sobota entschloss sich der Kommandant des eingesetzten Feldbacher Offiziersanwärterzuges, an der Murbrücke Radkersburg zur stützpunktartigen Verteidigung überzugehen. Die Auffahrtstraße zur Brücke wurde mit Panzerigeln und Stecksperren, dazwischen Panzerminenriegeln, nachhaltig gesperrt. Seine Soldaten setzte er flankierend so ein, dass sie mit Flachfeuer vom slowenischen Murufer nicht erfassbar waren. 500 Meter dahinter stand ein Jagdpan­zerzug in Stellung, der mit dem Offiziersanwärterzug einen Feuersack bilden konnte.

Mit insgesamt 7 000 Sandsäcken wurden 16 Stellungen errichtet. Vier MG-Nester mit schweren Maschinengewehren überwachten das Vorgelände. Das Problem waren aber nicht die Soldaten der JVA, sondern die vielen schaulustigen Bürger. Sie spazierten vor den Mündungen der scharf geladenen Waffen herum und keiner durfte sie wegschicken. Die Gendarmerie griff nicht ein. Sie hatte hierzu keine rechtliche Legitimation. Für sie galten die Friedensbestimmungen.

Montag, 1. Juli

Um 0116 Uhr früh lief der Befehl beim LWSR53 ein, dass drei weitere Jägerkompanien unterstellt werden. In Slowenien stand alles auf der Kippe. Stipe Mesic wurde zum jugoslawischen Staatspräsidenten gewählt, und Slowenien forderte am 2. Juli die JVA ultimativ auf, unter Zurücklassung aller Waffen in die Kasernen zurückzukehren. 

Um 0800 Uhr rückten etwa 250 Rekruten in die Kaserne Radkersburg ein. 200 Meter Luftlinie vom gefährlichsten Punkt der gesamten Sicherungslinie würden nochmals 250 junge Rekruten in die bereits überfüllte Kaserne aufgenommen. Jetzt war die eigene Krise perfekt. Es bedurfte einer gro­ßen Anstrengung, dass diese Soldaten noch am gleichen Tag in die Kaserne St. Michael in der Steiermark verlegt werden konnten.

Um 1200 Uhr kam das in Öster­reich akkreditierte Militärattaché-Korps nach Radkersburg. Zwölf hohe Offiziere, darunter auch der jugoslawische Attaché, besuchten den Einsatzraum, um die Angemessenheit der österreichischen Maßnahmen zu überprüfen. Am Nachmittag öffnete die Zollwache Steiermark den Grenzübergang Sicheldorf/Gederovci wieder, da es keinen sachlichen Grund mehr gab,  diesen geschlossen zu halten. Ein Weiterkommen hinter den Grenzübergängen in Slowenien war jedoch nur eingeschränkt möglich. Zu viele Straßensperren der JVA und slowenische Kämpfer blockierten die Straßen.

Am Abend trafen die Kompanie des Landwehrstammregimentes 35 aus Amstetten sowie die Kompanie aus Oberösterreich ein. Die Ober­österreicher wurden nach Tieschen verlegt, die Niederösterreicher nach Halbenrain. Sie deckten damit die „Grüne Grenze“ zwischen Bonisdorf und Radkersburg ab.

Dienstag, 2. und Mittwoch 3. Juli

General Andrija Raseta, stellvertretender Kommandant des 5. jugoslawischen Militärbezirkes, erhob erneut Vorwürfe gegen das Bundesheer, dass u. a. der Kommandant des LWSR53 angeblich eng mit den slowenischen Kämpfern im Raum Spielfeld und Radkersburg kooperieren sollte. Dass alle Anschuldigungen haltlos waren, ließ sich schnell beweisen, denn sie basierten auf dem bereits erwähnten Planspiel „Bedem 91“.

Am Morgen des 2. Juli wurde das Kraftwerk Krško abgeschaltet, da am dortigen Flugplatz Cerklje Kämpfe ausgebrochen waren. Gegen 1000 Uhr meldete die Zollwache an der Grenzübertrittstelle von Heiligengeist/Sveti Duh schwere Auseinandersetzungen zwischen JVA und Slowenen. Ein dort befindliches Widerstandsnest des LWSR52 bestätigte die Kämpfe. Der Kommandant der Zollwache befürchtete, dass sowohl Kräfte der JVA als auch slowenische Kämpfer im dichten Wald nach Österreich ausweichen könnten. Das Problem bei Heiligengeist/Sveti Duh war jedoch rasch gelöst.

Die beiden Streitparteien wurden ohne großen Aufwand voneinander getrennt und verschwanden in Richtung Slowenien. Mit erbeuteten Kampfpanzern der JVA schossen die slowenischen Kämpfer die Stellungen der JVA um die Grenzkaserne Šentilj in Trümmer. Soldaten der JVA zogen sich in Richtung Graßnitzberg zurück und ergaben sich tags darauf mit Masse den slowenischen Truppen. Ein paar kleinere Einheiten ergaben sich dem Österreichischen Bundesheer. Sie wurden auf den Truppenübungsplatz Seetaleralpe verlegt und später an Jugoslawien übergeben.

Während der Kämpfe um Spielfeld/Šentilj schlugen in der Ortschaft Lichendorf, zwischen Strass und Mureck, Granatsplitter und Geschoße ein. Am Nachmittag verlagerte sich der Kampf nach Radkersburg. Zuerst wurde aber Gornja Radgona von der jugoslawischen Luftwaffe unter Beschuss genommen, dann zerstörten JVA-Panzer den Kirchturm der Stadt. Der Kommandant der JVA-Kampfgruppe, Oberst Berislav Popov, entschloss sich zum Ausbruch. Popovs Panzer erreichten am späten Nachmittag des 3. Juli den Südausgang der Stadt und rollten nach Varaždin zurück. Übrig blieben brennende Häuser - dichter Rauch bedeckte die Stadt.

Der Kampf um Gornja Radgona und Šentilj war am 3. Juli zu Ende. Die JVA hatte sich von der Grenze zurückgezogen. Oberstleutnant Puntigam schrieb: „Wir atmeten auf. Das Schlimmste war überstanden. Wir hatten Glück.“

Es kam wieder die Zeit der Bürokraten; der Kasernenalltag hatte die Soldaten wieder. Der Gefechtsstreifen wurde nun in Ost und West geteilt. Am 31. Juli rückten die letzten Truppen des Bundesheeres in ihre Heimatkasernen ein. Es waren die Alarmteile des Landwehrstammregimentes 53. Der Sicherungseinsatz 1991 wurde Geschichte!

Folgen aus dem Einsatz 1991

  • Das Bundesheer erhielt das Militär-Befugnis-Gesetz. Dieses fehlte im Jahre 1991.
  • Präsenzeinheiten wurden gegliedert. Dies war eine klar erkannte Notwendigkeit aus den Turbulenzen der ersten Tage des Krieges in Slowenien im Juni und Juli 1991.
  • Vollausstattung der Truppe mit Panzerabwehrlenkwaffen;
  • Ausstattung der Fliegerabwehr mit Fliegerabwehrraketen;
  • Ausstattung der Draken mit Luft-Luft-Raketen;
  • Einführung des Radpanzers „Pandur“;
  • Nachrüstung der mechanisierten Truppe mit modernen Schützen- und Kampfpanzern sowie mit zeitgemäßer Panzerartillerie;
  • Erhöhung der Nachtkampffähigkeit;
  • Verbesserung der Ausrüstung und Ausstattung allgemein.

Gedanken zum Einsatz

Die stärkste Waffe war das Glück. Es ist undenkbar, was gewesen wäre, wenn die in der zwölften Ausbildungswoche stehenden Rekruten in ein Feuergefecht verwickelt worden wären. Es war nicht primär Führungskunst oder Erfahrung, dass der Einsatz erfolgreich beendet wurde. Es war einfach nur Glück, dass die eingesetzten Soldaten nicht schießen mussten und dass nicht auf sie geschossen wurde.

Der Begriff „Bedem 91“ (in Österreich auch „Schutzwall 91“ genannt) geisterte damals durch die zivile und militärische Führungswelt. Es handelte sich um eine 1990 von JVA-Kommandanten durchgeführte Stabsübung, wobei man davon ausging, dass die NATO aufgrund der Schwäche des Warschauer Paktes (WAPA) über Österreich und Italien einen militärischen Handstreich zur Inbesitznahme von Slowenien und Kroatien führt. Es hatte auch eine recht aggressive Haltung Österreichs als Ausgangslage.

Der Unterschied zu einem allgemeinen Planspiel war, dass hinter der Kulisse dieses Spiels die JVA ihren Krieg gegen Slowenien und Kroatien vorbereitete. Es wurde verschiedenen Personen in Österreich zugespielt. Auch der steirische Landeshauptmann Krainer erhielt ein Exemplar, das er an das Militärkommando Steiermark weitergab. Von dort ging der besagte Plan angeblich bis zum Heeresnachrichtenamt. Von Seiten Jugoslawiens schien es darauf anzukommen, dass möglichst vielen österreichischen Verantwortungsträgern dieses Planspiel in die Hände fiel. Normalerweise ist man darauf bedacht, dass kein Außenstehender davon etwas erfährt.

Die damalige Offiziers- und Unteroffiziersausbildung stellte sich im realen Einsatz als hervorragend heraus. Die Kommandanten aller Ebenen bewiesen, dass sie richtig führen konnten. Trotzdem musste häufig von der Befehlstaktik Gebrauch gemacht und Einzelheiten bis ins Detail befohlen werden, da ein Teil der Truppe aus anderen Bundesländern kam und mit den Grundsätzen des Sicherungseinsatzes nicht voll vertraut war.

Es gab keine Deserteure, keine Befehlsverweigerung, keine Meuterei und auch keine erwähnenswerten disziplinären Verstöße. Die Soldaten waren loyal, hilfs- und einsatzbereit. Ihr Bekenntnis zu Österreich und zur Demokratie war im täglichen Dienst erkennbar. Anständig zu sein, war Ehrensache. Die Soldaten hatten Vertrauen zu ihren Vorgesetzten und in die politische Führung. Politiker und militärische Vorgesetzte konnten damals auf diese Haltung stolz sein. Der damalige Verteidigungsminister Werner Fasslabend war des Öfteren direkt an den Brennpunkten. Er genoss hohes Vertrauen und eine hohe Glaubwürdigkeit, die für eine erfolgreiche Auftragserfüllung maßgeblich ist.

Das Korpskommando I in Graz wurde von uns wegen der ständigen Dienstaufsicht durch General Fally wahrgenommen. Die Truppe vor Ort stand unter dem Kommando des Militärkommandos Steiermark. Der damalige Stabschef, Oberstleutnant dG Heinz Winkelmayer, und Oberst Franz Gigler waren die beiden Hauptgesprächspartner des LWSR53 nach oben und „der Fels in der Brandung.“ Konsequent und kameradschaftlich standen sie hinter der eingesetzten Truppe, auch in schwierigen Situationen. Auch die Unterstützung und gute Zusammenarbeit mit dem damaligen Heeresmaterialamt und dem Heeresnachrichtenamt trugen wesentlich zur Auftragserfüllung bei. Behörden, besonders Gendarmerie und Zollwache, Post, Bundesbahn, Straßenverwaltung, Feuerwehr und Rotes Kreuz zeigten sich von der besten Seite.

Damals wie heute gab es auch Neid und Missgunst, negative Unterstellungen und diskriminierende Gerüchte. „Das konnte ja niemand wissen bzw. ahnen“ war das „Unwort“ 1991. Aus politisch korrekten Gründen wollten es viele nicht wissen und nicht wahrhaben, dass tatsächlich Krieg an der südlichen Grenze Österreichs stattfand.

Die rhetorische Keule wie „Kriegstreiber, Rambos, Rechtsextremist“ oder gar „Nazi“ wurde damals von manchen schnell in den Mund genommen. Zu viele gaben schnaubend ihre Statements, von jeglicher Sachkenntnis ungetrübt, haarscharf an der Realität vorbei, ab. Wichtig war, das Wort Konflikt oder Bürgerkrieg nicht in den Mund zu nehmen. Als dieser dann fast zehn Jahre tobte, wussten einige später nicht mehr, dass sie dies im Sommer 1991 prinzipiell und grundsätzlich ausgeschlossen hatten.

Ein Führungsgrundsatz im Frieden ist es, standhaft und konsequent seinen Weg zu gehen, auch wenn Schwierigkeiten auftreten, sich Hindernisse auftun und die Zukunft ungewiss ist. Dieses reale Handeln in die Gefahr hinein war 1991 plötzlich da. Dies war im Angesicht jugoslawischer Panzer in Gornja Radgona und Šentilj, jugoslawischer Jagdbomber über Graz und brennender Häuser an der Grenze auch erklärbar. Der Sicherungseinsatz war keine Übung nach Drehbuch. Führungsverantwortung wurde daher nur ganz vorne an der Sicherungslinie gesehen und erlebt. Die verantwortlichen Kommandanten nahmen sich ihrer Aufgabe an. Sie erklärten nicht ständig, warum etwas nicht geht, sondern unternahmen alles, damit es geht. Damals entstand der später bekannt gewordene Führungsspruch des LWSR53 „Geht nicht - gib es nicht.“

Der Einsatz 1991 wurde von wenigen Persönlichkeiten mit unterschiedlichem Profil geprägt. So handelte der JVA-Korpskommandant in Maribor erheblich energischer und engagierter, als sein Kamerad in Ljubljana. Dadurch wurden auch die JVA-Kräfte an der steirischen Grenze erheblich aggressiver wirksam, als an der Kärntner Grenze. Dass in der Steiermark das Bundesheer in den Anfangstagen richtig reagiert hatte, zeigten die negativen Reaktionen des JVA-Generals Andrija Raseta. Er bezichtigte das Österreichische Bundesheer, insbesondere jene Teile, die an der steirischen Grenze eingesetzt waren, der Kooperation mit den slowenischen Kräften und behauptete, dies wäre der Grund, weshalb die JVA-Kräfte ihre Ziele nicht erreicht hätten. Er beschuldigte das Bundesheer des Neutralitätsbruches. Die Pflichterfüllung der österreichischen Soldaten „wirkte“.

2016 wird des Einsatzes 1991 zum 25. Mal gedacht. Die soldatischen Tugenden und die soldatischen Werte haben ihre absolute Gültigkeit behalten. Sie sicherten damals den Erfolg und sie werden auch in Zukunft der Garant für den Erfolg bleiben. Führung erfordert ein hohes Maß an Belastbarkeit, Flexibilität, Engagement, Kreativität, Managementqualitäten, Verantwortungsbewusstsein, Teamfähigkeit, Mut, Tapferkeit und Demut.

Am 28. Juni 2001 formulierte die frühere steirische Frau Landeshauptmann Waltraud Klasnic in Spielfeld bei der 10-Jahrfeier den Einsatz treffend: „Sich einsetzen und nicht nachfragen, wie es ausgehen könnte.“ Die Soldaten im Sicherungseinsatz 1991, die sich wirklich in Gefahr begaben, haben es getan!

Brigadier i. R. Josef Paul Puntigam war 1991 Kommandant der regimentsstarken gepanzerten Einsatzgruppe an der österreichisch-jugoslawischen Grenze. Von 2001 bis 2007 war er Infanteriechef und Kommandant der Jägerschule.

 

Ihre Meinung

Meinungen (1)

  • kauf michael // 24.06.2016, 16:32 Uhr S.g. Redaktion!
    Dieser Artikel ist äußerst interessant und lässt vermuten, wie man auch heute politisch wieder wohl handeln würde. Allerdings vermute ich aufgrund der - unerwarteten - Aufstockung der BH-Mittel, dass Mitteilungen der Geheim- und anderer Dienste unsere Politiker etwas aufgerüttelt haben.
    Lobenswert auch das Verhalten der Soldaten. Für mich wäre interessant, was sich z.B. bei meiner Übung ca. 1985 abgespielt hätte, wo mein NT-Zug mit 30.000 scharfen Schuss Alarmmunition im Wald lag. Wie hätten sich die 30 - 40 jährigen Männer verhalten, wenn eine Meldung über eine solche Situation eintrifft? Hätten wir ggf. geschossen? Ich möchte es nicht wirklich erleben ...
    Beste Grüße! Michael Kauf, OltdRes