• Veröffentlichungsdatum : 31.03.2020
  • – Letztes Update : 22.12.2020

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Grips durch Klicks

Gerhard Kletzmayr

Im Jahr 2016 startete das Österreichische Bundesheer mit einer Offensive im (Aus-)Bildungsbereich, die eine Fernausbildung seiner Soldaten und Bediensteten ermöglicht. Doch die Bereitstellung einer Lernplattform im Internet war mit zahlreichen sicherheitstechnischen Herausforderungen verbunden. Bis dahin – und auch heute noch – werden und wurden sämtliche Geschäftsprozesse und interne Abläufe des Österreichischen Bundesheeres über ein physikalisch getrenntes hochsicheres Intranet durchgeführt. Die Bereitstellung einer entsprechenden leistungsfähigen Lernplattform auf einem sicheren Server im frei zugänglichen Internet ist eine entscheidende Grundvoraussetzung für diesen Schritt.

Durch die technische Realisierung einer sicheren Erreichbarkeit von Fernausbildungsinhalten, die jederzeit von dienstlichen sowie von privaten Geräten (PC, Notebook, Tablet, Smartphone) abgerufen werden können, wurde eine flächendeckende Fernausbildung im Österreichischen Bundesheer (ÖBH) ermöglicht. Der Zugriff auf diese Inhalte erfolgt über die ÖBH-Lernplattform SITOS six, die über das BMLV-Stammportal aus dem Sicheren Militärnetz (SMN) und über das Internet erreicht werden kann.

Da die Lernplattform zwar kein öffentliches, aber doch ein offenes System darstellt, musste vorab eine technische Lösung gefunden werden, die eine eindeutige Identifizierung von aktiven Angehörigen des Ressorts – aber auch der Miliz – zulässt. Die Umsetzung erfolgte durch die Vergabe einer personifizierten Stammportalkennung mit einem Initialpasswort, die den Zugriff auf die Lernplattform durch ein „Single-Sign-On“-Verfahren (Einmalanmeldung des Benutzers, die einen Zugriff auf berechtigte Dienste und Rechner zulässt; Anm.) möglich macht. Seit Anfang 2020 wird zusätzlich eine Option bereitgestellt, um relevante Lern- oder Prüfungsergebnisse der Lernplattform auch im internen Informationssystem speichern zu können.

Fernausbildung

Im ÖBH wird unter dem Begriff der Fernausbildung das Zusammenspiel von unterschiedlichen IKT-gestützten Methoden und Mitteln, die den Lernprozess direkt fördern, verstanden. Dabei liegt das Schwergewicht auf einem durch Teletutoren (Lehrpersonal mit entsprechender Medienkompetenz; Anm.) begleiteten Lernprozess. Die Fernausbildung ermöglicht die Kommunikation zwischen Lernenden untereinander und/ oder mit dem Lehrpersonal und stellt eine inhaltliche Vorbereitung, Organisation und Verwaltung von Lernprozessen bzw. Ausbildungsabläufen sicher. Im internationalen militärischen Bereich ist die Fernausbildung (Advanced Distributed Learning - ADL) zur Vorbereitung auf Kurse, Übungen und Einsätze bereits seit Jahren Standard in der Erwachsenenbildung.

Durch zahlreiche Soldaten in Auslandseinsätzen und durch die Nutzung von Telearbeitsplätzen im Sinne einer ausgewogenen Work-Life-Balance der Bediensteten sowie zur Reduzierung von Dienstreisen zu Kursen und Lehrgängen gewann die Idee einer ortsunabhängig erreichbaren Lernplattform immer mehr an Bedeutung.Mit zunehmender Fokussierung der modernen Bildungslandschaft auf lernerzentrierte Unterrichts- und Lehrmethoden trifft die Fernausbildung mit ihren breiten Anwendungsmöglichkeiten den „Nerv der Zeit“. Die Methode stellt ein geeignetes modernes Mittel dar, um dem Lernenden Eigenverantwortung für das Erreichen seiner Lernziele zu übertragen.

Für die moderne Aneignungsdidaktik steht die Aufnahme von Wissen durch Lernende im Mittelpunkt. Demnach soll je nach Ausbildung und Ausbildungsstand zur Erreichung der individuellen Lernziele die erfolgversprechendste (Ausbildungs-) Methode gewählt werden. Das heißt aber ebenso, dass die Selbst-Erarbeitung (auch ohne Anwesenheitspflicht) von Ausbildungsinhalten oder Aufgabenstellungen am erfolgversprechendsten sein kann – allerdings nur unter Berücksichtigung einer qualitativen Rückmeldung an die Auszubildenden (was war gut/schlecht, wie soll sich der Auszubildende weiterentwickeln, Stärken/Schwächen usw.) sowie der Reflexion der Lernenden über ihren Lernfortschritt.

Vor allem junge Menschen und viele Angehörige der Miliz sind es heute durch ihr Studium an Universitäten oder zivilen Bildungseinrichtungen gewohnt, dass Lerninhalte oder Unterlagen elektronisch zur Verfügung gestellt bzw. Ausbildungsabschnitte oder Prüfungen online absolviert werden. Ein solches Lernangebot wird somit auch von einer modernen Armee erwartet.

Vorteile der Fernausbildung

Ein wesentlicher Vorteil der Fernausbildung ist, abgesehen von ihrer zeit-, orts- und geräteunabhängigen Verfügbarkeit, die ressortweite Einheitlichkeit der Lerninhalte. Die durch speziell geschultes Lehr- und Ausbildungspersonal aufbereiteten Unterlagen sind für alle Lernenden gleich und aktuell verfügbar. Dies erzeugt einen einheitlichen Wissensstand und erleichtert unter anderem die Durchführung von Prüfungen und Tests.

Einen weiteren positiven Effekt der Fernausbildung stellt die frei wählbare Lerngeschwindigkeit des Einzelnen dar. Die Möglichkeit, bereits bekannte Themen zu überspringen oder nur zu streifen, sich aber schwierigeren oder neuen Themen und Abschnitten intensiver und öfter zu widmen, erhöht die Lernqualität wesentlich.

Dies betrifft auch die von den Ressortangehörigen teils verpflichtend und regelmäßig durchzuführenden Belehrungen. Als Fernausbildungsinhalte didaktisch und pädagogisch aufbereitet, sind diese Belehrungen für die Bediensteten einheitlich und aktuell verfügbar. Sie müssen grundsätzlich nur einmal erarbeitet und bereitgestellt bzw. im Bedarfsfall aktualisiert werden. Dadurch wird Personal entlastet, das die Verantwortung für die Durchführung dieser Belehrungen zusätzlich zu den Arbeitsplatzanforderungen trägt.

Schlussendlich ist für den Lernerfolg aber auch eine spezielle Lernwegprogrammierung, die bei Lernprogrammen und digitalen Lerninhalten zur Anwendung kommt und die individuellen Lernprozesse der Nutzer unterstützt, verantwortlich. Außerdem können – durch die zahlreichen technischen Entwicklungen und Möglichkeiten in der Fernausbildung – eine vergleichsweise rasche Reaktion auf künftige Änderungen in der Bildungslandschaft sowie eine zielgerechte Anpassung auf das jeweilige Lernverhalten unterschiedlicher Personen- und Altersgruppen sichergestellt werden.

Lernplattform SITOS six

Die Lernplattform SITOS six dient in erster Linie der Bereitstellung elektronischer Lernprogramme, digitaler Ausbildungsinhalte, Dienstvorschriften sowie der Anlage von Fernausbildungslehrgängen. Darüber hinaus verfügt die Lernplattform über ein E-Testing-Modul und wird mit zusätzlichen Tools ergänzt. Mit dem Programm Adobe Connect kann beispielsweise ein „virtueller Klassenraum“ eingerichtet werden, in dem über Audio-Konferenzen, Text-Chats oder ein interaktives Whiteboard miteinander kommuniziert und Dateien ausgetauscht werden können. Als Autorenwerkzeug für die ausgebildeten Teletutoren kommt andererseits die Applikation „Xerte Online Toolkits“ zum Einsatz.

Zusätzlich ermöglicht es SITOS six, unterschiedliche abteilungsspezifische Lerninhalte in einzelne Bereiche zu trennen oder auch vernetzt miteinander abzubilden. Das hat den Vorteil, dass die verschiedenen Bildungseinrichtungen des ÖBH (die drei Akademien sowie die Waffen- und Fachschulen) die ihnen zugewiesenen Bereiche jeweils unabhängig für ihre Fernausbildungsmaßnahmen nutzen können. Darüber hinaus wurden und werden auf ministerieller Ebene Bereiche zentral vorgegeben und festgelegt, die das gesamte Ressort betreffen, wie die für alle Ressort- und Milizangehörigen frei verfügbaren Lernprogramme, Belehrungen, digitalen Ausbildungsinhalte sowie über 450 elektronisch vorhandene Dienstvorschriften. Diese können nun von allen Abteilungen des ÖBH abgerufen werden.

Inhalte

Über SITOS six werden den aktiven Angehörigen des Ressorts sämtliche im ÖBH verfügbaren elektronischen Lernprogramme zur freien Nutzung zur Verfügung gestellt. Dabei handelt es sich überwiegend um allgemeine und spezielle Lerneinheiten zu militärischen Themen, die im Auswahlkatalog Kategorien wie Tutorials, Taktik, Stabsdienst, Logistik, Sprachlernprogramme, IT-Kurse, Applikationen (Apps), Gaming oder auch Inhalte fremder Armeen zugeordnet sind. Die militärischen Lernprogramme werden vom Referat Fernausbildung der Entwicklungsabteilung der Theresianischen Militärakademie für das gesamte ÖBH entwickelt und produziert. Die Angehörigen dieses und zukünftig eines zweiten Autorenteams arbeiten mit moderner Software und speziellen Zusatzprodukten, um optimale Ergebnisse in der Lernprogrammproduktion zu erzielen.

Didaktisches und pädagogisches Know-how sowie Kreativität sind elementare Grundanforderungen an die Verantwortlichen der zu produzierenden Lernprogramme. Nur so kann eine moderne, zeitgemäße, kundenorientierte und erwachsenengerechte Produktion von Lerninhalten erzielt werden. Das Zusammenspiel von Wissensvermittlung, Selbstüberprüfungen, Erfolgskontrollen, spielerischen Anteilen und Erfolgserlebnissen im Lernprozess trägt wesentlich zur Akzeptanz und dem gewünschten Lernerfolg bei.

Zusätzlich werden Fernausbildungslehrgänge durchgeführt, die in ihrer speziellen Zusammenstellung der Vermittlung der vorgesehenen Inhalte dienen. Diese Lehrgänge werden durch das zu Teletutoren ausgebildete Lehrpersonal entwickelt und bereitgestellt. Sie sind in unterschiedliche Abschnitte gegliedert und beinhalten Kooperations- und Selbstlernphasen, Kommunikationsabschnitte zwischen dem Lehrpersonal und anderen Kursteilnehmern sowie die kreative Nutzung des „virtuellen Klassenraumes“ zur Inhaltsvermittlung. Die breitgefächerte Auswahl an unterschiedlichen Lerninhalten eröffnet eine Vielzahl von Optionen, die zu einem nachhaltigen Lernerfolg beitragen.

Ergänzt werden die eigens produzierten Inhalte durch den wechselseitigen Austausch von Lernprogrammen bei internationalen Kooperationen sowie mit anderen Armeen, wodurch eine wesentliche Zeit- und Arbeitsersparnis erzielt werden kann. Diese Programme besitzen internationale Gültigkeit und können daher auch nationenübergreifend verwendet werden

Lehrkräfte

Der Lehrberuf beinhaltet eine Vielzahl unterschiedlicher Herausforderungen, denen sich die Lehrkräfte immer wieder von Neuem stellen und anpassen müssen. Beispielsweise verlangen Adaptierungen und Änderungen in der (Aus-)Bildung oder den Methoden vom Ausbildungspersonal eine regelmäßige Auseinandersetzung mit neuen Inhalten und Möglichkeiten, die vor allem die Fernausbildung betreffen. Hierbei findet eine fundamentale Abkehr von klassischen Unterrichtsmitteln und Methoden wie Tafel und Kreide, Whiteboard, Flipchart, Overhead Projektor sowie dem Frontalunterricht statt. Der moderne Lehrer fungiert bei dieser Methode als Lernbegleiter und benötigt dafür eine grundlegende Medienkompetenz.

Dies erfordert von den Lehrkräften eine umfassende Auseinandersetzung mit modernen Lernplattformen, moderierten Foren, Chats, virtuellen Klassenräumen sowie die Aneignung von Kenntnissen zur selbständigen Erstellung digitaler Ausbildungsinhalte. Die ursprüngliche Befürchtung der Lehrerschaft, dass der verstärkte Fokus auf Fernausbildungsmaßnahmen zu einem Verlust des Arbeitsplatzes führen würde, bestätigte sich bis dato nicht. Mittlerweile verfügt des ÖBH bereits über 150 (!) ausgebildete Teletutoren in den unterschiedlichsten Bildungseinrichtungen. Die derzeit dreiwöchige Ausbildung wird durch die Masterteletutoren des Referates Fernausbildung der Heeresunteroffiziersakademie organisiert, geleitet und durchgeführt. Zusätzlich übernimmt dieses Fachpersonal die Administration der Lernplattform im Back-End-Bereich.

Weiterentwicklung

Das ÖBH steht bei der Fernausbildung vor gewichtigen Herausforderungen. Eine flächendeckende Ausstattung aller Ressortangehörigen mit IT-Geräten, die eine Grundvoraussetzung für die Teilnahme an verpflichtenden Fernausbildungsmaßnahmen darstellt, ist aufgrund der aktuellen budgetären Situation nicht umsetzbar. In vielen Bereichen basiert die Teilnahme an solchen Veranstaltungen aus diesem Grund auf der Freiwilligkeit der Bediensteten unter Nutzung ihrer privaten Endgeräte. Eine verpflichtende Durchführung von Belehrungen oder Lehrgängen beschränkt sich somit auf jenen Personenkreis, der über eine dienstliche IT-Ausstattung verfügt. Zu einer Teillösung dieses Problems könnte die geplante Einführung der „Chipkarte für alle“ beitragen, die zumindest die Nutzung vorhandener IT-Infrastruktur durch alle Bediensteten zulassen würde.

Durch die Schaffung eines zweiten Autorenteams besteht künftig die Möglichkeit, viele weitere Ausbildungsthemen, wie Inhalte für die unterschiedlichen Einsatzvorbereitungen – vor allem für die Angehörigen des Milizstandes –, digital aufzubereiten, online verfügbar zu machen sowie stets aktuell zu halten. Ein weiteres Ziel ist es, die Möglichkeit der Fernausbildung zukünftig verstärkt in die Ausbildung der Wehrpflichtigen des Milizstandes und der Rekruten zu integrieren.

Resümee

Der eingeschlagene Weg zur Integration der Fernausbildung in die (Aus)Bildungslandschaft des Österreichischen Bundesheeres war bislang erfolgreich. Dieses Ergebnis konnte nur durch die reibungslose Zusammenarbeit der unterschiedlichen Dienststellen und durch die tatkräftige Mithilfe von vielen engagierten Bediensteten des ÖBH erzielt werden.

Der eingeschlagene Weg zur Integration der Fernausbildung in die (Aus)Bildungslandschaft des Österreichischen Bundesheeres war bislang erfolgreich. Dieses Ergebnis konnte nur durch die reibungslose Zusammenarbeit der unterschiedlichen Dienststellen und durch die tatkräftige Mithilfe von vielen engagierten Bediensteten des ÖBH erzielt werden.

Oberst Gerhard Kletzmayr, MBA ist Referatsleiter Fernausbildung in der Sektion IV des BMLV.

 

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