• Veröffentlichungsdatum : 22.12.2017
  • – Letztes Update : 09.02.2018

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  • 3204 Wörter

Generalleutnant Höfler im Interview

Redaktion Truppendienst

TRUPPENDIENST berichtet seit drei Jahren in jeder Ausgabe über die Militärvertretung Brüssel, die seit Jänner 2013 durch Generalleutnant Höfler geleitet wird. Davor hat Generalleutnant Höfler über sechs Jahre die Streitkräfte des Österreichischen Bundesheeres geführt, und dabei richtungsweisend die Basis für das heutige Bundesheer gestaltet. 

Redaktion TRUPPENDIENST (TD): Herr Generalleutnant, wie unterscheiden sich diese beiden Aufgaben und wie sehen die jeweiligen Spezifika aus?

Generalleutnant Höfler (GH): Als Kommandant der Streitkräfte führte ich operativ mit dem Streitkräfteführungskommando die Teilstreitkräfte des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH) - also die Landstreitkräfte, die Luftstreitkräfte und die Spezialeinsatzkräfte - und nahm die nationalen Führungsaufgaben der österreichischen Beteiligung in internationalen Einsätzen wahr.

Nachdem die Hauptaufgabe der Streitkräfte zu allererst die Bewältigung des Einsatzes ist, lag das Schwergewicht darauf, die Truppen des Österreichischen Bundesheeres für den Einsatz vorzubereiten und diese anlassbedingt in Einsätzen zu führen. Dies war natürlich eine sehr verantwortungsvolle, umfassende und intensive Aufgabe, betrug doch die Truppenstärke rund 26 000 Soldaten ohne die Milizkräfte.

Die Aufgabe der Militärvertretung Brüssel ist es, die österreichischen Interessen in den militärischen Gremien der Europäischen Union, in der Europäischen Verteidigungsagentur und der NATO-Partnerschaft für den Frieden wahrzunehmen und in sicherheitspolitischen Angelegenheiten beratend zu wirken.

Dabei kommt es darauf an, Informationen zu erhalten, zu bewerten, einen Beitrag zur Entwicklung der österreichischen Positionierung sowie zu internationalen Entscheidungsfindungsprozessen zu leisten, um so die österreichischen Interessen vor Ort in den verschiedenen Gremien einzubringen.

In der EU und in der NATO gibt es einen Militärausschuss, der sich aus den jeweiligen Repräsentanten der Mitgliedsstaaten zusammensetzt. Meine Aufgabe ist es, in den Militärausschüssen der EU und der NATO das ÖBH und dabei ganz besonders den österreichischen Chef des Generalstabes zu vertreten. Das sind naturgemäß zwei sehr unterschiedliche Aufgaben. Der Streitkräftekommandant ist der Truppenführer, der Leiter der Militärvertretung agiert als Militärdiplomat. Rückblickend kann ich sagen, dass mir meine Erfahrung als Kommandant der Streitkräfte, vor allem aus dem Bereich der internationalen Einsätze, geholfen hat, die österreichischen Anliegen in den internationalen Gremien einzubringen.

TD: Wie sehen Sie die Dimension der europäischen Sicherheit und des europäischen Krisenmanagements?

GH: Zur europäischen Sicherheit Folgendes: Die Instrumente der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU, wie auch der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), wurden seit 1993 über die Jahre hinweg schrittweise entwickelt und ermöglichen es der EU auf der internationalen Bühne mit einer Stimme zu sprechen und zu handeln. Gemeinsam haben die EU-Staaten weitaus mehr Gewicht, als wenn jedes Land seine Interessen allein vertreten würde. Vor allem in Anbetracht der Entwicklungen während der vergangenen Jahre ist klar geworden, dass zur Bewältigung der sicherheitspolitischen Herausforderungen eine vertiefte Kooperation im Bereich Sicherheit und Verteidigung der EU-Staaten erforderlich geworden ist.

Krisen, Konflikte und Kriege sind zahlreicher geworden und geografisch näher an die EU und deren Mitgliedstaaten herangerückt. Herausforderungen wie internationaler Terrorismus, außerhalb und mittlerweile auch innerhalb der EU, die illegale Migration und damit verbunden die Fragen der Integration, die Piraterie entlang der Seehandelswege, der Klimawandel oder etwa die fehlende Energiesicherheit und die Cyber Security machen deutlich, dass die einzelnen EU-Staaten alleine keine Antworten auf diese gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen geben können.

Vor diesem Hintergrund hat die Leiterin des Europäischen Auswärtigen Dienstes, die Hohe Vertreterin der EU, Federica Mogherini, dem Europäischen Rat (ER), dem Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten am 28. Juni 2016 ihr Konzept einer neuen EU-Sicherheitsstrategie vorgestellt. Diese neue EU-Sicherheitsstrategie ist wesentlich weiter gefasst als jene aus dem Jahre 2003 mit weiterentwickelten Grundlinien aus dem Jahr 2008. Sie wurde als EU-Globale Strategie (EUGS) durch den ER angenommen. Sie stellt somit den Rahmen für die Stärkung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik dar, mit drei strategischen Prioritäten: der Schutz Europas, das Krisenmanagement und die Unterstützung von Partnern in Krisen. Die Aufgabe der Verteidigung von Europa wird als Aufgabe der NATO angesehen, gehören doch 22 EU-Mitgliedstaaten der NATO an.

Sollte eine Strategie tatsächlich die gewünschte Wirkung erzielen, dann ist dazu eine Realisierung konkreter Maßnahmen mit konkreten Ergebnissen erforderlich. Folgerichtig wurde ein Umsetzungsplan der EU Globale Strategie für den Bereich Sicherheit und Verteidigung (Implementation Plan on Security and Defence) unter Einbindung und Zuarbeit der EU-Staaten erarbeitet und am 15. Dezember 2016 seitens des ER angenommen.

Eine weitere Maßnahme zur Stärkung der GASP und GSVP stellt der Europäische Aktionsplan im Verteidigungsbereich (European Defence Action Plan) dar. Dieser ist eine Initiative der Europäischen Kommission in enger Kooperation mit der Europäischen Verteidigungsagentur und der Europäischen Investitionsbank zur Einrichtung eines EU-Forschungsprogramms. In weiterer Folge sollen erforderliche Rüstungsgüter gemeinsam entwickelt und beschafft werden, auch mit dem Ziel, Arbeitsplätze, Wachstum und Innovation in der gesamten EU zu fördern und die strategische Autonomie der EU zu stärken.

Darüber hinaus verfolgt die Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung zwischen EU und der NATO das Ziel, die Zusammenarbeit zu vertiefen, um weitere Synergien zu nutzen. Ein wesentlicher Meilenstein zur Vertiefung der europäischen Verteidigungskooperation ist die ständig strukturierte Zusammenarbeit. Durch gemeinsame Projekte soll ein höherer Grad an sicherheits- und verteidigungspolitischer Integration und eine stärkere GSVP erreicht werden. Nun zum europäischen Krisenmanagement: Die Bewältigung der Bedrohungen von Heute und Morgen erfordert neben einer verstärkten nationalen und internationalen Zusammenarbeit ein umfassendes Vorgehen - durch einen  „Comprehensive/Integrated Approach“, einen umfassenden/integrierten Ansatz. Dabei kommen politische, wirtschaftliche, diplomatische, zivile und militärische Komponenten zur Wirkung. Gerade das ist eine besondere Stärke der EU, die über alle diese Komponenten verfügt.

Im Krisenmanagement kann die EU Kräfte zum Aufbau von demokratischen Strukturen, zur Verbesserung von wirtschaftlichen Abläufen oder zum Aufbau von Polizeikräften entsenden. Eine wesentliche Rolle in diesem Krisenmanagement spielt dabei natürlich auch die militärische Komponente. Im Europäischen Auswärtigen Dienst gibt es den EU-Militärstab, der Missionen und Operationen plant und auch durchführt.

Das EU-Militärkomitee bringt die militärische Expertise der 28 Mitgliedsstaaten ein, und berät die politische Entscheidungsfindung militärisch. Im Politischen- und Sicherheitspolitischen Komitee werden die Krisenmanagementeinsätze politisch geplant und zur Entscheidung durch die Minister aufbereitet. Als „Hardware“ für den Bereich des militärischen Krisenmanagements sind schließlich die EU-Kampfgruppen (EUBG) anzusehen.

Zur Zeit führt die Europäische Union 15 Missionen und Operationen durch, davon neun zivile und sechs militärische. Österreich ist an vier von sechs militärischen Missionen beteiligt und stellt für die Operation EUFOR „Althea“ in Bosnien und Herzegowina die militärische Führung durch österreichische Kommandanten. Gesamt gesehen ist der militärische Beitrag Österreichs zum europäischen Krisenmanagement höchst anerkannt.

TD: Unter den europäischen Institutionen befindet sich die Europäische Verteidigungsagentur. Welche Bedeutung hat diese für das Bundesheer, und wie könnte der praktische Nutzen beschrieben werden?

GH: Die Europäische Verteidigungsagentur (European Defence Agency - EDA) mit Sitz in Brüssel wurde 2004 gegründet und unterstützt die Verteidigungszusammenarbeit von 27 europäischen Mitgliedstaaten (ohne Dänemark). Sie spielt eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung operativer Fähigkeiten, bei Forschung und Innovation, Ausbildung und Übungen, bei der Unterstützung von Operationen sowie bei der Rüstungszusammenarbeit und der Stärkung der Verteidigungsindustrie in Europa. Die Militärvertretung Brüssel steht ständig mit der EDA in Verbindung und gestaltet die Entwicklungen der EDA aktiv mit. Die EDA bildet eine Koordinierungsstelle für die Verteidigungszusammenarbeit der europäischen Mitgliedstaaten. Sie ist in der Lage, maßgeschneidert Unterstützung für Projekte zu geben, um die operativen Anforderungen und Interessen der Mitgliedstaaten zu unterstützen. Die Agentur ist zwar personell klein, jedoch verfügen ihre Mitarbeiter über beachtliches Fachwissen, leiten Expertengruppen und stehen in engem Kontakt mit den Mitgliedstaaten und anderen EU- und multinationalen Organisationen. Das Österreichische Bundesheer ist derzeit in über 80 verschiedene Aktivitäten der EDA eingebunden.

Beispiele der Verteidigungsforschung mit österreichischer Mitwirkung sind der „ballistische Schutz durch leichte Keramik“, das „Programm zur Identifizierung von improvisierten Sprengkörpern“, der „Schutz von autonomen Systemen“, die „Entwicklung von innovativen Antrieben mittels Brennstoffzellentechnik“, das Projekt „Dismounted Soldier“ sowie die „ABC-Abwehr“ oder das „Bio-Labor-Netzwerk“, wobei großteils die Kompetenz österreichischer Firmen eingebracht wird. Dies sind gute Beispiele dafür, auch eine nationale Wertschöpfung zu ermöglichen.

Im Bereich der Ausbildung tut die EDA einiges - zum Beispiel bei der europäischen Pilotenausbildung. Gerade Österreich profitiert stark durch diese Aktivitäten, nehmen doch österreichische Heeres-Hubschrauberpiloten seit Jahren an den „Blade Exercises“ teil. In dieser Übungsserie werden Hubschrauber-Crews aus mehreren europäischen Ländern auf gemeinsame, herausfordernde multinationale Einsätze vorbereitet. In Zukunft wird auch die Cyber Defence-Ausbildung einen wichtigen Platz einnehmen. Als ein Beispiel der Fähigkeitenentwicklung mit österreichischer Beteiligung möchte ich hier auf die Projekte unter österreichischer Führung im Bereich Counter-IED, die manuelle Entschärfung von Sprengfallen, hinweisen. Ein enorm wichtiger Bereich, man bedenke nur die Gefahren in den Einsatzgebieten sowie die gestiegene Gefahr des Terrorismus im Inland. Mit dem „Europäischen Zentrum für manuelle Entschärfung“ (ECMAN) in der Heereslogistikschule (HLogS) liegen wir also punktgenau richtig und können unsere Erfahrungen zum Schutz unserer Soldaten für den Einsatz bündeln.

Durch die gestiegene Bedrohung Europas hat die Europäische Kommission nun auch der Unterstützung von sicherheitsrelevanten Initiativen einen höheren Stellenwert eingeräumt. Dies manifestiert sich durch die erstmalige EU-Förderung von rein militärischer Verteidigungsforschung und Fähigkeitenentwicklung. Der Europäische Verteidigungsfond wurde seitens der Europäischen Kommission (EK) geschaffen, um die Effizienz in den Ausgaben der Mitgliedstaaten für gemeinsame Verteidigungsfähigkeiten zu steigern, die Sicherheit der Bürger Europas zu erhöhen und eine wettbewerbsfähige und innovative industrielle Basis zu fördern.

Ich möchte darauf hinweisen, dass diese Entwicklungen im europäischen Verteidigungsbereich auch für die österreichische Wirtschaft verstärkt von Bedeutung sein können. Gibt es doch in unserem Land mehrere Klein- und Mittelbetriebe mit höchst anerkanntem technischem Know-How. Ich glaube, dass aufgrund steigender Anforderungen das ÖBH weiterhin das Potenzial der EDA voll ausschöpfen und bei zukünftigen Kooperationen vermehrt auf die EDA zurückgreifen soll. 

TD: Die NATO ist die zweite Sicherheitseinrichtung in Brüssel und besteht bereits seit 1949. Mancherorts wird sie als Produkt des Kalten Krieges bezeichnet und in ihrer Bedeutung hinterfragt. Nun, am Beginn des 21. Jahrhunderts, geht es auf der Welt politisch sehr turbulent zu und es stellt sich auch die Frage nach dem Nutzen der NATO.

GH: Die NATO ist seit 1949 untrennbar mit der Sicherheit in Europa verbunden. Sie ist ein Eckpfeiler für Stabilität in und im Umfeld von Europa, als politisch-militärische Organisation, die die Freiheit der Bürger mit allen Mitteln schützt. Ihre Hauptaufgaben sind die Kollektive Verteidigung (Collective Defence), das Krisenmanagement (Crisis Management) und die Kooperative Sicherheit (Cooperative Security).

Die NATO wurde im Kalten Krieg als Wertegemeinschaft westlicher Demokratien zum Schutz ihrer Bürger gegründet. Nach dem Zerfall des Warschauer Paktes (WAPA) engagierte sich die NATO für die Lösung der bestehenden Konflikte in Europa, sie nahm ehemalige WAPA-Staaten als Mitglieder auf und kooperiert mit nunmehr 41 Staaten in der NATO Partnerschaft für den Frieden. Die neuen friedensunterstützenden Einsätze wurden in besonderer Qualität absolviert und man engagierte sich am Balkan (Implementation/Stabilization Force bzw. Kosovo Security Force - IFOR/SFOR/KFOR) bzw. in Afghanistan (International Security Assistance Force - ISAF) als Stabilisierungsfaktor. Das Krisenmanagement war lange Zeit das Schwergewicht der NATO. Der Krim-Konflikt 2014, die Kampfhandlungen in der Ukraine (2014 bis dato) und die damit verbundene hybride Kriegsführung sowie die Rolle Russlands ergaben Bedrohungen, die einen neuen Ansatz erforderten. Damit wurden die Verteidigung und Abschreckung (Defence and Deterrence) inklusive der Schutz Ost- und Südosteuropas (Forward Presence) und „Projecting Stability“, also vorausgeplante Stabilität im Umfeld der Allianz zu den derzeitigen Hauptaufgaben der NATO.

TD: Eine Aufgabe der Militärvertretung Brüssel ist die Vertretung des Bundesministeriums für Landesverteidigung in der NATO. Wie sieht die Einbringung der Interessen Österreich in der Praxis aus?

GH: Die Militärvertretung Brüssel nimmt ihre Aufgaben gemeinsam mit der Österreichischen Vertretung, aus dem Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, wahr. Gemeinsam verfolgt man einen umfassenden Ansatz im gesamtstaatlichen Interesse. Österreich nimmt eine aktive Partnerrolle ein, die Mitarbeit in der NATO-Partnerschaft für den Frieden erfolgt auf mehreren Ebenen: Bei Gipfeltreffen, bei Verteidigungsministertreffen bzw. bei Formaten, Themen bzw. Operationen, die im nationalen Interesse Österreichs liegen.

An zahlreichen Arbeitsgruppen nehmen österreichische Vertreter auf der Fachebene teil, wobei deren Expertise geschätzt wird. Stabsoffiziere bzw. Experten werden dabei via dem Partnership Staff Post Konzept, also in NATO-Kommanden oder Exzellenzzentren, eingesetzt. Somit kann das ÖBH bei der Mitgestaltung von Konzepten unmittelbar Einfluss nehmen. Durch die Beteiligung an Operationen, Übungen sowie durch Evaluierungen von eigenen Einsatzkräften, den Zugang zu Rüstung, Logistik und Standardisierung, die Nutzung von IT-Systemen zum Schutz eigener Netzwerke und zur Cyberabwehr kann Österreich seine sicherheitspolitischen Ziele verfolgen und erfolgreich zum internationalen Krisenmanagement beitragen. 

Aktuell stellt Österreich den Vorsitz in der Partnership Interoperability Advocacy Group, ein engagierter „Think Tank“ von sieben Partnern (Irland, Schweden, Finnland, die Schweiz, Australien, Neuseeland und Österreich), der wertvolle Beiträge zur Entwicklung der Partnerschaft einbringt. Kooperation ist für Österreich essenziell, gerade für die Transformation des ÖBH auf internationalem Niveau sowie zum Ausbau der Interoperabilität (Fähigkeit zur internationalen Zusammenarbeit).

Im Gegenzug bringt sich das ÖBH beispielsweise im Gebirgskampf und beim Schutz von Zivilisten (Protection of Civilians) ein. Österreichs Erfahrungen in der Gebirgsausbildung und das Engagement in der EU Mountain Training Initiative, also in der europaweiten Gebirgsausbildung der NATO, wird sehr geschätzt. Beim Schutz von Zivilisten hat Österreich erstmals für die NATO ein Partnerschaftsziel formuliert, das bereits von anderen Partnernationen übernommen worden ist. Dieses einsatzwichtige Thema ist mittlerweile bei der NATO strukturell abgebildet und wird auch immer wieder durch nationale Experten des ÖBH unterstützt.

TD: Was sind besondere Aspekte für die Mitgestaltung Österreichs in der NATO, wenn man an den praktischen Nutzen für das Bundesheer denkt?

GH: Die Mitgestaltung lässt sich am besten im Zusammenhang mit dem EU- sowie dem NATO-Krisenmanagement darstellen. Das Interesse Österreichs liegt in der GSVP bzw. in der österreichischen Außenpolitik begründet. Die Auslandseinsätze des ÖBH, geführt durch die UNO, EU bzw. die NATO sowie national, sind wesentliche Instrumente dieser Umsetzung. Die Interoperabilität, die Fähigkeit zur internationalen Zusammenarbeit, ist dabei von höchster Bedeutung. Die NATO bietet hier verschiedene Programme an. Hauptinstrumente sind dabei das Individual Partnership Cooperation Program mit der gegenseitigen Abgleichung der Kooperationsbereiche sowie der Planning and Review Process, der wiederum der Steigerung der Kooperationsfähigkeit bzw. Transformation dient.

Das Operational Capabilities Concept Evaluation and Feedback Program dient zur Umsetzung der Partnerschaftsziele im operativen Bereich bzw. der Zertifizierung der österreichischen Einsatzverbände. Die standardisierte Ausbildung bei Exzellenzzentren und zertifizierten Trainingseinrichtungen der NATO-Mitgliedstaaten ergänzt die nationale Aus-, Fort- und Weiterbildung des Kaders hinsichtlich Wissen und Anerkennung. Die Teilnahme an NATO-Übungen erspart eine ressourcenaufwändige Eigenorganisation und trainiert internationale Standards, darüber hinaus kann man nationale Einsatzverbände, z. B. inklusive EU Battlegroups, zertifizieren.

Außerhalb der NATO gibt es derzeit kein vergleichbares Angebot. Durch eine internationale Vernetzung erfolgt auch ein Austausch von Luftlagedaten zur Luftraumsicherung und von Cyber-Warnungen. Die Beteiligung am „Frame Work Nation Concept“ bietet weitere Möglichkeiten, die eigenen Streitkräfte für gemeinsame Einsätze weiterzuentwickeln. Die NATO ist die „Standardisierungsagentur“ der westlichen Streitkräfte. Die aktive Teilnahme Österreichs an der NATO Partnerschaft für den Frieden ist eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung der eigenen Streitkräfte für Einsätze im Inland und im internationalen Rahmen.

TD: Jedes Land verfügt über bestimmte Ressourcen. Wie sieht die praktische Zusammenarbeit zwischen EU und NATO aus?

GH: Jede Nation verfügt über ein „Single Set of Forces“, das sind Kräfte für einen Zweck bzw. eine Aufgabe. Die Notwendigkeit einer koordinierten Zusammenarbeit von EU und NATO wurde beim NATO-Gipfel 2016 in Warschau mit sieben komplementären Themenfeldern (NATO-EU-Deklaration) definiert: 

  • der Kampf gegen hybride Bedrohungen (z. B. Besetzung der Krim); 

  • der Ausbau Maritimer Kooperation (Schutz von Schiffsrouten bzw. Eindämmung von Migration);

  • die Cyberabwehr (Expertise und Warnungen);

  • die Steigerung von Interoperabilität; 

  • die Einbindung der Industrie in Projekte; 

  • gemeinsame Übungen;

  • eine verbesserte Resilienz. 

Die verstärkte Zusammenarbeit soll durch Synchronisierung bestehender Abläufe erreicht werden, ohne dabei Parallelstrukturen zu schaffen. Bisher griff man auf das „Berlin Plus-Abkommen“ (Beispiel Operation EUFOR/Althea) zurück, wo NATO-Einrichtungen und -Systeme gemeinsam genutzt werden. Auch die Folgeversorgung von EU Battlegroups stützt sich auf Abrufverträge der NATO.

In maritimen Einsätzen (NATO Operation Sea Guardian im östlichen und EUNAVFOR MED Sophia im zentralen Mittelmeer) versucht man die Migration einzudämmen. Die gemeinsame Vorbereitung auf diese Einsätze und der bessere Datenabgleich stellen hier schon den Mehrwert dar. Kooperation erfordert den internen Konsens aller NATO-Mitglieder, daher können Partner auch Einschränkungen erfahren.

Das Konsensprinzip der NATO ist Stärke und Schwäche zugleich. Derzeit sind alle Partner, vor allem Österreich, eingeschränkter als zuvor, da die Türkei bestimmte Abläufe behindert. Ziel Österreichs sollte es sein weiterhin in der EU und in der NATO aktiv zu bleiben, um bei der Entwicklung neuer Konzepte und Fähigkeiten mitzuwirken. Die Zusammenarbeit zwischen EU und NATO wird sich weiter vertiefen wie die Abstimmung der Operationen in Bosnien und Herzegowina und in Kosovo zeigen. Dies dient ganz klar der Sicherheit in der Region sowie in Europa.

TD:

Nach fünf Jahren in Brüssel und Mitgestaltung der europäischen Sicherheit verfügen Sie über viel Erfahrung und ein breites Wissen. Was könnte in der europäischen Sicherheit verbessert werden, und wo liegt die Zukunft derselben?

GH: In den vergangenen Jahren hat sich, was die europäische Sicherheit betrifft, viel getan. Die neue EU-Globale-Strategie wurde angenommen, ein Umsetzungsplan für diese erstellt und umfassende Initiativen zur Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wurden eingeleitet.

Es liegen viele gute Konzepte auf dem Tisch bzw. werden weiter erarbeitet. Die EU ist die Summe der Mitgliedstaaten. Es sind die Mitgliedstaaten, die über Erfolg oder Versagen einzelner Initiativen/Projekte/Maßnahmen bestimmen. Entscheidend ist letztlich, den politischen Willen zur Umsetzung getroffener Entscheidungen auch tatsächlich aufzubringen. Dieser politische Wille beeinflusst die Zukunft der europäischen Sicherheit.

TD: Sie treten mit Ende Jänner 2018 in den wohlverdienten Ruhestand. Was möchten sie den Lesern des TRUPPENDIENST an Lebenserfahrung und für den Dienst im Bundesheer mitgeben?

GH: Wenn es irgendwie möglich ist, sollte man den Beruf wählen den man anstrebt und der einem Freude macht. Ich beschloss im Alter von 15 Jahren Berufsoffizier zu werden, beeinflusst ganz wesentlich von einem Zitat des ehemaligen US-Präsidenten J. F. Kennedy: „Frage nicht, was der Staat für dich tut, sondern frage, was du für den Staat tun kannst.“ Etwas für die Sicherheit unseres Staates, seiner Bevölkerung zu tun, erscheint mir sehr wichtig. Ich wählte für mich zweifellos den richtigen Beruf.

Es ist bei der Ausübung des Berufes ganz entscheidend, die Begeisterung dafür zu erkennen und diese auch zu leben. Denn aus dieser Begeisterung kann man immer wieder Kraft schöpfen. Eine weitere Erfahrung ist, dass man sich ganz klar der Kernaufgabe widmet, die der Beruf erfordert. Macht man andere Dinge, verzettelt man sich, und dies nehmen darüber hinaus die Mitarbeiter wahr. Besonders für eine Führungskraft ist die Vorbildwirkung und das damit verbundene Erscheinungsbild wesentlich. Die eigene innere Stärke zeigt sich in der äußeren Haltung. Die meiner Meinung nach wichtigste Formel für zivile und militärische Führungskräfte lautet: "E (Effizienz oder Effektivität) = Q (Qualität) x A2 (Akzeptanz2)". Ist einer der beiden Faktoren Null, ist das Ergebnis auch Null. Für den Erfolg sind daher die Qualität und die Akzeptanz auschlaggebend, wobei die Akzeptanz noch wichtiger ist. Die beste Entscheidung hilft nichts, wenn diese nicht akzeptiert und mitgetragen wird.

Um es nicht zu umfassend zu machen - ich kann zweifellos auf ein sehr erfülltes Berufsleben zurückblicken, möchte aber noch eine weitere Erfahrung mitgeben: Es ist im Leben ganz besonders wichtig, eine gute Balance zwischen Beruf und Familie zu finden. Durch zu großes, vielleicht auch zu intensives berufliches Engagement kann man Gefahr laufen, diese Balance zu verlieren. Trotz der vielen Arbeit sollte man die Verantwortung für die Familie nicht vernachlässigen, zudem kann man aus der Familie viel Kraft schöpfen!

Was den Dienst im Bundesheer betrifft, möchte ich an dieser Stelle keine klugen Vorschläge machen. Ich habe im Laufe meiner Dienstzeit viele Soldaten aller Dienstgrade und viele Zivilbedienstete kennen - und vor allem schätzen gelernt. Bis heute beeindruckt mich das unglaubliche Engagement vieler Angehöriger des Aktiv- und des Milizstandes, die oft trotz schwierigster Rahmenbedingungen ihre Aufträge nicht nur erfüllen, sondern darüber hinaus, besondere Leistungen erbracht haben.

So möchte ich all jenen danken, die ein Stück des beruflichen Weges gemeinsam mit mir gegangen sind. Ich wünsche jedem Einzelnen alles Gute, viel Erfüllung, den erhofften Erfolg, Freude und Soldatenglück! Thank you, merci beaucoup und vielen Dank!

 

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