• Veröffentlichungsdatum : 25.10.2017
  • – Letztes Update : 26.10.2017

  • 7 Min -
  • 1463 Wörter

Die Royal Air Force und der Luftkrieg 1922-1945

Martin Böhm

392 Seiten, 16,5 x 24 cm, gebunden

€ 39,90

ISBN 978-3-506-78240-3

Ferdinand Schöningh

Der Bombenkrieg war ein wesentliches Merkmal des Zweiten Weltkrieges. Vor allem für die Menschen, die sich weit hinter den Frontlinien befanden und eigentlich kein Ziel eines militärischen Angriffes darstellten, brachten sie den Krieg in die Städte. Der Bombenkrieg und die Art, wie er geführt wurde, ist jedoch nicht „vom Himmel gefallen“. Er war das Ergebnis von strategischen Entwicklungen, die bereits vor der Erfindung des Flugzeuges begannen, und dem Krieg ein neues Antlitz gaben.

Das vorliegende Werk bearbeitet einen Ausschnitt der Geschichte, nämlich die Zeit zwischen 1922 und 1945. Es deckt somit jene Zeit ab, in der die Lehren des Ersten Weltkrieges hinsichtlich des Luftkrieges umgesetzt wurden, eine wesentliche Schärfung erfuhren und schließlich adaptiert im Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurden. Der Fokus liegt auf der Royal Air Force (RAF) - der britischen Luftwaffe. Das wirkt auf den ersten Blick ein vielleicht zu enger Fokus, erweist sich aber bei der Bearbeitung des Themas als richtiger Blickwinkel. Schließlich war es die RAF, die den strategischen Grundstein des Bombenkrieges legte.

Vom Grabenkrieg zum "Knockout-Blow"

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war die RAF kleiner als die französischen Luftstreitkräfte, weshalb es das erste Ziel der britischen Planungen war diese aufzubauen. Das war für Großbritannien insofern von Bedeutung, da die Insellage durch das Auftauchen der Flugzeuge strategisch-taktisch nicht mehr gegeben war. Das war zwar bereits vor dem Ersten Weltkrieg bekannt, und man war sich bewusst, dass es nur mehr eine Frage von wenigen Jahren sein konnte, bis Flugzeuge in der Lage sein würden, als Transporter für Artillerie oder Bomben zu fungieren. Wie sich diese Überlegungen in die Praxis umsetzen ließen, zeigte dann der Erste Weltkrieg, bei dem auch britische Städte zum Ziel deutscher Bombenangriffe wurden.

Spätestens die Brutalität des Grabenkrieges veränderte die Perzeption zukünftiger bewaffneter Konflikte und schließlich setzte sich ein neues Paradigma durch: Kurze und totale Kriege, die keine Rücksicht auf Zivilisten oder Soldaten nehmen sollten und denen sich die gesamte Nation bedingungslos unter Einsatz aller Kräfte zu fügen hatte. Das Ziel der Anstrengungen war es, durch einen „Knockout-blow“ - den massiven Einsatz der Luftwaffe - mit einem Schlag die Entscheidung im Krieg herbeizuführen und die gegnerischen Kräfte so zu schwächen, dass diese noch vor dem Beginn einer Bodenoffensive die Waffen strecken würden. Dadurch sollte eine Pattsituation wie zwischen 1914 und 1918 vermieden werden und der Bewegungskrieg auf keinen Fall erstarren. So die Überlegungen der britischen Armee. Es war also nicht beabsichtigt ein „Gleichgewicht des Schreckens“ (wie Jahrzehnte später im „Kalten Krieg“) herzustellen, sondern eine deutliche Überlegenheit zu besitzen.

„Moral bombing und Terrorangriffe“

Dem Luftkrieg wurde in zukünftigen Kriegen eine wesentliche Rolle beigemessen. Dieser sollte kostengünstig und (zumindest für die eigene Seite) verlustarm als „Moral bombing“ geführt werden. Es ging um „Terrorangriffe“ - so die Diktion der britischen Strategen, dessen Ziel ausdrücklich auch die Zivilbevölkerung war. Das verfolgte im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens war man damals nicht in der Lage Ziele präzise anzugreifen, weshalb Flächenziele mit Zivilisten geeigneter erschienen, da sie relativ einfach zu treffen waren und sich auch in der Nähe der Industriegebiete befanden. Zweitens sollten durch einen direkten Angriff auf die Bevölkerung große Flüchtlingsströme entstehen, die den Staat unregierbar machen und in der Anarchie enden würden.

Auf jeden Fall sollte auch der Verteidigungswille der Bevölkerung gebrochen sowie ihre Lebensgrundlage zerstört, aber auch die Produktion von Kriegsmaterial verhindert werden. Darüber hinaus sollte der Bombenkrieg auch die Moral der Soldaten an der Front beeinträchtigen und ihnen vor Augen führen, dass sie ihre Angehörigen zu Hause nicht vor den Bombardements schützen könnten. Die Frage, ob Zivilisten ein „legales Ziel“ darstellen können und überhaupt bekämpft werden dürften, wurde in der Logik des totalen Krieges beantwortet: Da sie für den Krieg produzieren, sind sie ein Teil der Militärmaschinerie und somit auch ein "militärisches Ziel".

Die beschriebenen Punkte sind - bei aller Brutalität und Menschenverachtung - in der Theorie logisch nachvollziehbar. In der Praxis stellte sie jedoch heraus, dass sie nicht eintrafen. Weder kam es zu Flüchtlingsbewegungen, die alleine auf den Bombenkrieg zurückzuführen waren, noch waren diese ein Grund für einen zivilen Aufstand oder gar Anarchie. Das ist eine Erkenntnis, die sich in allen Kriegen und Konflikten in denen es zum massiven Einsatz von Bomben kam,  zeigte und in gewisser Weise als gesetzmäßig betrachtet werden kann.

Luftkrieg in den Kolonien

Eine konkrete Anwendung fand der Luftkrieg durch die RAF in den ehemaligen Kolonien. Im Buch wird diesbezüglich vor allem der Einsatz im Irak thematisiert. Dort wurde im Zuge von "Air Policy - Aktionen" die Zivilbevölkerung gezielt angegriffen, was tatsächlich die gewünschte Wirkung zeigte. Diese Aktionen der RAF im Irak wurden auch als „tax bombing“ bezeichnet. Dabei ersetzte die Bombe praktisch den Gummiknüppel, deren Einsatz nicht nur für Ruhe und Ordnung sorgten, sondern den britischen Kolonialherren die Eintreibung der Steuern ermöglichten.

Die Luftangriffe im Irak verfolgten bereits das gleiche Muster und basierten auch auf den gleichen Überlegungen, wie die Angriffe, die im Zweiten Weltkrieg in Europa verübt wurden. Der wesentliche Unterschied lag in der Quantität und Qualität der Ausführung, da der Luft- und Bombenkrieg damals noch in den Kinderschuhen steckte. Darüber hinaus war die Gesellschaft im Irak auch nicht mit jener in Europa zu vergleichen, vor allem hinsichtlich der Organisation bzw. der Dichte der Besiedlung. Das führte auch dazu, dass man aus den Einsätzen der RAF, die tatsächlich die Ordnung herstellten, den falschen Schluss zog, dass man ein gewünschtes Verhalten in Menschen oder Gesellschaften „bomben“ könne. Dennoch sind die Aktionen der RAF im Irak ein Schlüssel, um die Logik des Bombenkrieges und den theoretischen Hintergrund zu verstehen. Das ist vermutlich auch der Grund, warum der Autor diesem eher vergessenen Konflikt, eine breite Aufmerksamkeit widmet.

In diesem Abschnitt des Buches beschreibt Martin Böhm nicht nur die militärischen Einsatzüberlegungen, sondern die „Lage im Großen“. Dabei stellt er die irakische Bevölkerung, ihre Lebensumstände und Gewohnheiten umfassend dar. Das ist insofern interessant, da sich die Situation von damals auch auf die heutigen Verhältnisse übertragen lässt und Orte wie Mosul aktuell in den Medien präsent sind. Ein Beispiel dazu ist die Darstellung der Situation der Kurden, deren Siedlungsgebiet heute teilweise ein Teil der Türkei ist.

Bereits damals (1921) waren die Kurden ein „Spielball“ der Türkei, die nicht gewillt war ein britisches Mandatsgebiet zu akzeptieren, dass alle Kurden vereint hätte. Auch die Erörterung der Situation der Beduinen ist lesenswert. Anhand deren Schicksals zeigt Böhm wie schwierig es ist, eurozentristische Denk- und Handlungsweisen auf einen anderen Kulturkreis erfolgsversprechend anzuwenden. Das stellt er vor der „europäischen Idee“ des Staates dar, wobei er hier die Beduinen Arabiens thematisiert, deren nomadische Lebensweise einem Staatsbegriff im traditionellen Sinn widerspricht.

Am Vorabend des Weltkrieges

In den späten 1930er Jahren begann Deutschland aufzurüsten und seine militärische Stärke wiederherzustellen. Die Pläne für den Aufbau der RAF waren vorhanden und auch die strategischen Überlegungen lagen auf dem Tisch. Dennoch wurde sie nicht so stark aufgebaut, wie es die Pläne vorgesehen hatten, da die dazu notwendigen Geldmittel nicht freigegeben wurden. Obwohl aufgrund der britischen Insellage nur für die Luftwaffe und die Marine eine Strategie entwickelt werde konnte - die anderen Waffengattungen saßen de facto auf der Insel fest - dauerte es noch bis zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich bis die RAF tatsächlich aufgebaut wurde. Das traf nicht nur den Bau von Flugzeugen sondern auch planerische Überlegungen. So begann man 1938 mit der Festlegung von Bombenzielen in Deutschland.

Taktik zu Kriegsbeginn

Obwohl sich die Royal Air Force in den Kolonien nicht besonders ritterlich verhielt, sollte sie sich gegenüber einen europäischen Gegner in dieser Art und Weise präsentieren. So wollte es zumindest Premierminister Neville Chamberlain, der Luftangriffe verbot, sobald auch nur die Möglichkeit bestand, dass dadurch Zivilisten zu Schaden kommen könnten. Somit war die Royal Air Force dazu verdammt, vorerst am Boden zu bleiben und abzuwarten. Diese Denkweise änderte sich schlagartig, als 1940 Winston Churchill zum Premierminister gewählt wurde. Bereits fünf Tage nach dessen Amtsantritt wurde die erste deutsche Stadt bombardiert. Jene Offiziere, die in den 1920ern im Irak gedient hatten und nun die Führungsriege der RAF bildeten, hatten nun die Gelegenheit, ihre Erfahrungen, die sie dort gesammelt hatten in Form einer weiterentwickelten Strategie in die Tat umzusetzen.

Fazit

Martin Böhms Buch ist eine wissenschaftliche Arbeit - konkret seine Dissertation - in der fächerübergreifend ein militärwissenschaftliches Werk entstanden ist. Dieses zeigt deutlich, dass die Militärwissenschaft auf die Expertise und Berücksichtigung anderer akademischer Disziplinen, wie die Historie, Psychologie, Geographie etc. nicht verzichten kann, sondern erst durch diese ihre Wirkung entfaltet. Der Autor versteht es die Geschichte kurz, prägnant und schlüssig darzustellen. Er bringt auch strategisch, operative Überlegungen auf den Punkt und erklärt diese mit einfachen Worten und dennoch in einer ansprechenden akademischen Form so, dass sie auch ein interessierter Laie versteht. Diese Art der wissenschaftlichen Bearbeitung wäre ein wünschenswerter Standard für die gesamte akademische Zunft, die sich gerade im deutschsprachigen Raum häufig einer exklusiven Sprache bedient.

-keu-

 

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