• Veröffentlichungsdatum : 08.02.2021
  • – Letztes Update : 09.02.2021

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Das Gefecht im Ohr

Kurt Holzinger, Felix Jurmann

Die neuen taktischen „In-Ear“-Headsets sollen die bisherigen Modelle der Gruppen- und Truppenfunkgeräte schrittweise ersetzen. Sie lassen aufgrund ihrer Kompaktheit mehr Bewegungsfreiheit zu und ermöglichen – durch die Abschottung der Umgebungsgeräusche – eine bessere Kommunikation bei Gefechtslärm. Das ist ein großer Schritt in der technischen Entwicklung, der dem aktuellen internationalen Standard entspricht.

Systembeschreibung

Das CLARUS-Headset ist ein kabelgebundenes taktisches „In-Ear“-Headset für professionelle Anwender, die sowohl hohe Ansprüche an ein Gehörschutzsystem als auch an die Kommunikation stellen. Es bietet ein einfaches Bediensystem mit einer „Hear-Through“-Funktion und einer drahtlosen Sprechtaste (Wireless Push To Talk; WPTT). Die „In-Ear“-Funktionsweise ermöglicht ein angenehmes und störungsfreies Tragen. Die Steuerung erfolgt über eine Kontrollbox, die mit einem Clip an jeder gewünschten Stelle am Körper befestigt werden kann. Das Headset erlaubt den Anschluss von bis zu zwei Funk- oder Kommunikationssystemen und verfügt über zwei Sprechtasten (Dual Push To Talk; PTT) für ein primäres und/oder ein sekundäres Kommunikationsgerät. Es kann sowohl von Links- als auch von Rechtshändern einfach gesteuert werden. Die WPTT-Sprechtaste ermöglicht eine Sprechverbindung mit dem Headset ohne Manipulation. Zum Teil kommt die bereits im Lieferumfang des Gruppenfunkgerätes PNR-500AT enthaltene WPTT zum Einsatz, wobei jedoch ein Update notwendig ist. Drahtlos mit dem Headset verbunden ist es mit dem Gerät möglich, von einem beliebigen Ort am Körper den Rufaufbau zu starten, auch mit Systemen, bei denen dies zuvor nicht möglich war (z. B. Combat Net Radio – CONRAD oder dem Interkomm-System VIC-3-0). Das „In-Ear“-Mikrofon des Headsets ermöglicht ein störungsfreies Aufnehmen von Gesprächen bei gleichzeitiger Unterdrückung von Umgebungsgeräuschen, einen automatischen Dichtheitstest zum Überprüfen des Gehörschutzes und gewährleistet mit der „Talk-Through“-Funktion jederzeit das akustische Lagebewusstsein inklusive der Richtungsortung von Schallereignissen.

Aufbau und Funktion

Im linken Ohr befindet sich eines der drei Mikrofone des Headset-Systems. Das „In-Ear“-Mikrofon ermöglicht es dem Nutzer – durch die Sprachaufnahme im Innenohr auch bei lauten Umgebungsgeräuschen –, ein möglichst ungestörtes Sprachsignal aufzunehmen. Die anderen beiden Mikrofone befinden sich auf der Außenseite der „In-Ear“-Hörer, die unter anderem für die „Talk-Through“-Funktion genutzt werden. Damit kann die Lautstärke der Umgebungsgeräusche mit einem Taster angepasst und kontrolliert werden. Die „Talk-Through“-Funktion sorgt dafür, dass ein „normales Gespräch“ geführt werden kann, ohne das Headset abnehmen zu müssen. Um einen maximalen Gehörschutz zu ermöglichen, wird diese Funktion bei zu lauten Außengeräuschen (z. B. einem Gewehrschuss) automatisch kurzzeitig unterbrochen. Zur Gewährleistung eines größtmöglichen Gehörschutzes, startet bei jedem Einschalten des Headsets ein automatischer „Dichtheitstest“. Dabei wird ein niederfrequenter Ton in beiden Ohrhörern wiedergegeben und der richtige Sitz der passiven Gehörschutzstöpsel getestet. Bei einem negativen Test ertönt für den Benutzer ein Warnton. Dadurch erhält er die Möglichkeit, den Sitz der „In-Ear“-Hörer zu verbessern oder eine andere Größe der Stöpsel zu wählen, damit ein optimaler Schutz gewährleistet ist. Die Spannungsversorgung des Headsets erfolgt entweder über eine 1,5-V-Alkaline- oder Lithium-AAA-Batterie, die eine Laufzeit von bis zu 50 Stunden ermöglicht. Bei der PNR-500AT-Version erfolgt die Stromversorgung über das angeschlossene Funkgerät. Das Headset ist durch eine Betriebstemperatur von -30° C bis +60° C für alle Einsatzgebiete geeignet und kann durch die Eintauchtiefe von maximal zwei Meter auch bei widrigen Umgebungsbedingungen verwendet werden.

Varianten des Headsets

Das CLARUS-Headset-System wird im Österreichischen Bundesheer (ÖBH) in verschiedenen Varianten eingeführt. Diese sind mit dem Truppenfunksystem CONRAD und dem Gruppenfunksystem PNR-500AT kompatibel und verfügen über eine Anschlussmöglichkeit an das Interkomm-System VIC-3-0. Bei den Luftstreitkräften wurde für Truppentransporte (S-70 „Black Hawk“ und Agusta Bell 212) der Betrieb mit der Luftfahrzeug-Interkom ermöglicht. Im Katastrophenfall oder bei der Unterstützung von Blaulichtorganisationen ist die Interoperabilität durch die Anschlussmöglichkeiten für BOS-Funkgeräte gewährleistet. Des Weiteren wird auch für das Jagdkommando eine (geringe) Anzahl von Testsystemen beschafft.

 

Standard- und Kommandantenversion

Durch verschiedene Konfigurationen wird jedem Nutzer das für seinen Einsatzzweck passende Headset zur Verfügung gestellt. Die Konfigurationen sind aufgeteilt in eine Standard- und eine Kommandantenausführung. Die Standardversion hat nur einen Anschluss für ein Kommunikationsgerät, jene für Kommandanten verfügt zusätzlich über einen QDC-Stecker (Quick Disconnect Connector) für ein zweites Gerät. Das CONRAD-Standard-Headset hat einen U-229-Audiostecker, der den Anschluss an ein CONRAD-Funkgerät ermöglicht. Zudem erlaubt die im Lieferumfang der CONRAD-Version enthaltene WPTT eine kabellose Funkverbindung. Die Ausführung für Kommandanten verfügt über zwei Anschlüsse, einen U-229-Audiostecker und einen QDC-Stecker, an dem verschiedene Adapterkabel angeschlossen werden können. Somit können Systeme wie ein zweites CONRAD-Funkgerät, das VIC-3-0-Interkomm-System oder einige Systeme der Luftstreitkräfte verwendet werden. Mit der Taste „A“ oder „B“ (PTT oder WPTT) wird entweder das Hauptgerät oder ein Sekundärgerät angesprochen. Die eindeutige Zuordnung des Sprachrufes zum jeweiligen Kommunikationsgerät wird gewährleistet, indem jedem Gerät ein Ohr „zugeordnet“ ist. Das PNR-Standard-Headset ist für den Betrieb mit einem PNR-500AT (Gruppenfunkgerät) konzipiert. Wie gewohnt ist es möglich, mit den Tasten („A“ und „B“) die Verbindung zu direkten Netzteilnehmern bzw. hierarchisch höher gestellten Netzen oder Teilnehmern aufzubauen. Die PNR-Kommandantenausführung verfügt, wie das CONRAD-Kommandanten-Headset, über zwei Anschlüsse: einen PNR-500AT und eine QDC-Kupplung zum Anschluss von Adapterkabeln, entsprechend der CONRAD-Version. Das CLARUS-Headset-System wurde in einer Anzahl von 2.000 Stück für das PNR-500AT Gruppenfunksystem und 1.150 Stück für das CONRAD-Funksystem beschafft. Weitere Headset-Varianten, die vorerst nur in geringen Stückzahlen für eine interne Evaluierung beschafft wurden, betreffen die BOS-Systeme, Motorola MTP3550 und Motorola MTP850S sowie eine Kommandantenversion zum Anschluss der „Harris“-Funksysteme der Sondereinsatzkräfte. Eine Version ohne serienmäßigen Endgerätestecker erlaubt zudem die Erprobung zukünftiger Systeme oder Fahrzeugeinbauten ohne speziell angepasste Headset-Varianten.

IKT-Technik im IKT & CySiHZ

Der Bereich IKT-Technik ist für die Konzeption und Bereitstellung der IKT- Infrastruktur des ÖBH verantwortlich. Dazu gehören das Netzwerk zur Übertragung von Sprache und Daten, die erforderlichen Endgeräte für alle Anwender im ÖBH, wie Desktops bzw. Notebooks, Smartphones, Telefone, Server und zentrale Datenbanksysteme, aber auch Hardware für spezielle Anforderungen wie Radarsysteme und Funkgeräte.

Ferner werden die systemnahe Software für den Betrieb der IKT-Systeme und die erforderliche Standardsoftware auf allen Endgeräten implementiert, um über eine einheitliche Basisausstattung für die Bewältigung der Einsatzaufgaben zu verfügen. Eine besondere Herausforderung ist die IKT-Sicherheit, die durch die IKT-Technik in Zusammenarbeit mit dem Militärischen Cyber Zentrum (MilCyZ) auf allen Hard- und Software-Plattformen gewährleistet wird.

Audio Messplatz

Die hohe Stückzahl der beschafften CLARUS-Headset-Systeme von ca. 3 200 ist bei deren Einführung nicht nur für die Truppe eine Herausforderung. Vor allem für die Fachabteilungen im IKT & Cybersicherheitszentrum, der Abteilung Kommunikation im Bereich IKT-Technik (IKTTe/Komm), die für die technische Güteprüfung und Abnahme zuständig sind, ist das eine besondere Aufgabe. Eine technische Überprüfung und Freigabe der hohen Anzahl an „In-Ear“-Headsets wurde von der IKTTe/Komm ohne entsprechende technische Messverfahren und Unterstützung mit teil- oder vollautomatischen Messungen als nicht praktikabel angesehen. Deshalb wurde ab Mitte 2019 die Entwicklung eines Headset-Audio-Messplatzes für die technische Überprüfung und Messung im Zuge der Güteprüfung initiiert. Die Kernkomponenten des Messplatzes sind ein Kunstkopf mit integrierten Messmikrophonen für die Überprüfung der „In-Ear“-Headsets (Typ „GRAS 45CA“ und UPP-400). Als Monitorboxen für die externe Beschallung wird ein Paar Hornlautsprecher (Klipsch „RP-600M“) verwendet, die mit einem Standard-Stereo-Audio-Leistungsverstärker (Yamaha „A-S201“) angesteuert werden. Für eine hinreichende akustische Isolation des Audio-Messplatzes und zur Gewährleistung der Reproduzierbarkeit der Messergebnisse ohne Außenstörungen wurde eine Schalldämmbox konstruiert. In diese wurden der Kunstkopf und die Monitorlautsprecher installiert. Zur Minimierung der akustischen Reflexionen und zur Optimierung der Schalldämmung wurde die Schalldämmbox mit einem speziellen Akustikschaumstoff ausgekleidet. Für einen möglichst vollautomatisierten Messablauf wurde ein Automat zum Betätigen der Sprechtaste (PTT-Tasten) der Headset-Kontrollbox und für das PC-gesteuerte Aktivieren der Tasten der WPTT konstruiert. Hierzu wurde eine mechanische Konstruktion mit einem 3D-Drucker erstellt, die mit Servo-Unterstützung über Federelemente eine Aktivierung der Sprechtasten ermöglicht. Die Steuerung des Messplatzes inklusive der Nutzerführung, Ansteuerung des Audio Analyzers, der Aktivierung der Sprechtasten sowie der Aktivierung der WPTT, Fernbedienung der weiteren Messgeräte und Netzteile sowie die Protokollierung der Messergebnisse erfolgen mittels der technischen Programmiersprache „Matlab“.

 

Der Headset-Messplatz erlaubt die hochautomatisierten Messungen zu Funktionen, Parametern und Kennwerten:

  • Überprüfung des Einschaltverhaltens inklusive Messung der Funktion und des Ergebnisses der automatischen Dichtheitsprüfung („Seal Test“) der Headsets;
  • Verlauf der Stromaufnahme beim Startvorgang inkl. Spitzenstromaufnahme und Stromaufnahme bei minimaler und maximaler Batterie- bzw. Versorgungsspannung;
  • vollautomatischer Start des Pairing-Vorganges zwischen dem Headset und der WPTT (inklusive Messung des akustischen Feedbacks des Headsets) sowie die Durchführung des Pairings und die Überprüfung des Pairing-Status;
  • Überprüfung der Funktion der beiden Sprechtasten der WPTT inklusive Messung des Hintergrundrauschens bei Aktivierung der Sprechtaste sowie Funktion, Pegelverlauf und Timing der elektrischen Ansteuerung der PTT-Leitungen vom Headset zum Funkgerät;
  • Funktionstest der beiden drahtgebundenen Sprechtasten der PTT inklusive Messung des Hintergrundrauschens bei Aktivierung der Sprechtaste sowie deren Funktion, des Pegelverlaufes und Timings der elektrischen Ansteuerung der PTT-Leitungen vom Headset zum Funkgerät;
  • Überprüfung der korrekten Installation der „In-Ear“-Headsets im Kunstkopf;
  • Messung des Pegelverlaufes und des Klirrfaktors der beiden Lautsprecher der „In-Ear“-Headsets;
  • Messung des Grundrauschens des Mikrophonverstärkers sowie der „Hear-Through“-Funktion;
  • Überprüfung des Dynamikverlaufes sowie des Klirrfaktors verschiedener Stufen der „Hear-Through“-Funktion sowie Berechnung und Auswertung von deren Kompressionsverläufen;
  • Test der Empfindlichkeit und des Klirrfaktors des Mikrophons des „In-Ear“-Headsets für beide Sprechtasten.

Je nach Headset-Variante und gewählter Detaillierung sind für einen Testdurchlauf etwa 15 bis 20 Minuten zu veranschlagen. Die bis dato gewonnenen Erfahrungen zeigen, dass durch eine manuelle Überprüfung der „In-Ear“-Headsets – selbst durch erfahrene Produkttester – nicht die Reproduzierbarkeit, Detaillierung und Qualität der Ergebnisse eines automatischen Messplatzes erreicht werden können. Das hat sich im Laufe der durchgeführten Tests von etwa 15 Prototypen und Freigabemustern verschiedener Headset-Varianten sowie der Güteprüfung von über 200 Headsets bestätigt.

Conclusio

Die Beschaffung und Einführung des „In-Ear“-Headsets mit integriertem Gehörschutz für das Gruppenfunk-PRR-Radio sowie das CONRAD-Truppenfunksystem und zusätzliche Kommunikationssysteme im ÖBH schließen eine wichtige Fähigkeitslücke für die Anwender und Nutzer. Für die technischen Dienststellen der Streitkräftebasis stellt es jedoch eine Herausforderung bei der Systembetreuung, Instandsetzung und -haltung sowie Güteprüfung dar. Bei der Güteprüfung des Headset-Projektes hat sich gezeigt, dass im ÖBH die technische Expertise und das Know-how vorhanden sind, um an fachbereichsübergreifenden Systemen bei Bedarf detaillierte technische Analysen und Messungen durchzuführen, die jenen der Hersteller sogar überlegen sein können. Dadurch ist sichergestellt, dass den Bedarfsträgern Produkte in einer optimalen Qualität und Ausführung zur Verfügung gestellt werden.

Hofrat Dipl.-Ing. Kurt Holzinger; Leiter des Referates Übertragungssysteme im IKT&CySihZ, Revident Felix Jurmann; Referent im Referat Übertragungssysteme des IKT&CySihZ.

 

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