• Veröffentlichungsdatum : 06.03.2019

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Ausbildungsziel Militärsprache

Manfred Gratzer

Die meisten österreichischen Kaderangehörigen beherrschen ihre eigene Fachsprache ausreichend bis perfekt, auch wenn sie diese im Alltag nicht immer konsequent anwenden. Bei der Zusammenarbeit mit Nachbarstaaten ist es aber fallweise notwendig, deren Fachsprachen zu kennen, um Missverständnisse zu vermeiden - z. B. bei gemeinsamen Auslandseinsätzen, gemeinsamen Ausbildungsvorhaben oder grenzüberschreitenden Katastrophen. 

Englisch ist dabei unbestritten wichtig, aber oft nur ein „Umweg“, denn Englisch ist weder in Österreich noch bei seinen Nachbarn Muttersprache. Doch Kader, die die Militärsprache der Nachbarn ausreichend beherrschen sollen, müssen erst einmal ausgebildet werden. Das wird hier beispielhaft an Hand des Tschechischen dargestellt, gilt aber für alle Nachbarsprachen. Diese auf Allgemeinsprachkenntnissen aufbauende Fachsprachausbildung dauert zwar lange und ist sehr intensiv, betrifft aber nur einen überschaubaren Personenkreis. Die Sprachkenntnisse dieser wenigen erleichtern vielen die Auftragserfüllung und können sogar Leben retten.

Fachsprachen beginnen bereits in der Schule: Schon ein Schulzeugnis ist „Fachsprache pur“. Ein Beispiel ist das Abschlusszeugnis von Albert Einstein. Diesem nach war Einstein scheinbar ein schlechter Schüler. Das war er aber keineswegs, denn das damalige schweizerische Schulnotensystem - also die schulische Fachsprache der Schweiz - unterscheidet sich von dem uns gewohnten Bewertungssystem diametral. Das heißt, die Eins ist dort die schlechteste Note, die Sechs entspricht sinngemäß einem „Ausgezeichnet“ und die Fünf etwa unserem „Sehr gut“. Das Nichtbeachten der Fachsprache führte in diesem Fall zum Mythos vom „schlechten Schüler Einstein“. Im Bereich der Sicherheit geht es bei der Übertragung von Fachsprachinhalten nicht nur um Blamagen, sondern in letzter Konsequenz um Sicherheit und Menschenleben. 

Die militärischen Begriffe „erreichen“ (Ziel feindfrei), „gewinnen“ (Feind im Ziel möglich) und „nehmen“ (Feind im Ziel) sind für Angehörige des Bundesheeres, die dessen Fachsprache beherrschen selbstverständlich, nicht jedoch für Personen, die nur die deutsche Allgemeinsprache beherrschen, und schon gar nicht für Angehörige ausländischer Streitkräfte. Die „eigenen“ Fachbegriffe lernt der Heeresangehörige in seiner Ausbildung sowie im täglichen militärischen Gebrauch.

Für die internationale Zusammenarbeit ist es notwendig, auch „fremde“ Fachsprachen zu verstehen, wozu Kenntnisse der Allgemeinsprache nicht ausreichen. „Fremde“ Fachsprachen müssen daher auch ausgebildet werden. Denn der Soldat kennt grundsätzlich keine militärischen Begriffe einer anderen Armee, weil er dort nicht (wie in seiner Heimat) jahrelang gedient hat. Will er also eine andere Militärsprache benutzen, muss er entweder eine militärische Ausbildung im Zielsprachenland absolvieren oder „zumindest“ die Militärsprache des betreffenden Landes systematisch erlernen. Mit der Sprache alleine ist es aber nicht getan. Um mit ausländischen Soldaten zusammenarbeiten zu können, sind auch praktische Kenntnisse der Verfahren der fremden Armee notwendig.

Militärkultur

Wesentlich ist auch das Verständnis der ausländischen Kultur und als ihr Teilbereich auch der Militärkultur. Dazu zwei Beispiele: Das tschechische Wort „podplukovník“ bedeutet wortwörtlich übersetzt: „Unterregimentler“. Es gibt also eine Führungsebene an. Der dem „podplukovník“ grob entsprechende deutsche Militärbegriff für das ÖBH „Oberstleutnant“ gibt hingegen eine Funktion an, nämlich die Funktion des „Stellvertreters eines Obersten/Obristen“. Unsere „Krankenschwester“ bezieht sich auf den Bedarfsträger, den Kranken, die tschechische „zdravotní sestra“ (wörtlich: „Gesundheitsschwester“) hingegen auf die Tätigkeit bzw. das Ziel.

An diesen Beispielen erkennt man den unterschiedlichen Denkzugang bei der Formulierung von Begriffen bzw. Inhalten. Interessant ist, dass sowohl im Deutschen als auch im Slawischen der Begriff eines engen Familienangehörigen verwendet wird („Schwester“/„sestra“). Im Englischem, das mit der Deutschen Sprache wesentlich näher verwandt ist, drückt der Begriff „nurse“ aber keineswegs ein familiäres Naheverhältnis aus. Der Weg über die Konversationssprache Englisch wäre in diesem Fall ein Umweg. Anders gesagt: die slawische und die deutsche Kultur stehen einander hier näher als die englische und deutsche.

Fachsprachen werden grundsätzlich ausgehend von der Muttersprache in der Fachausbildung, hier der militärischen, vermittelt. Diese erfolgt generell berufsbegleitend. Ausländische Fachsprachen werden hingegen auf einem ganz anderen Weg ausgebildet. Die „ideale“ Ausbildungsmethode hierfür wäre die entsprechende Fachausbildung im Ausland, die aber nur in Einzelfällen möglich ist. 

Fachsprachen sind lebende Sprachen. Ein Landsknecht hätte mit dem Terminus „Funkgerät“ nichts anfangen können. Der Kern für die nationalen Unterschiede der Fachsprachen liegt in deren Entwicklung, die von Staat zu Staat unterschiedlich verläuft. Ein anderer Staat bedeutet eine andere Kultur und folglich eine andere Militärkultur, die in einer anderen Militärsprache mündet. Die Fachsprachen haben sich in und mit der Zeit entwickelt und verändert. Fachsprachen sind eben keine „Bäume“, die parallel und voneinander unabhängig wachsen. Sie sind oftmals ineinander und miteinander verschlungen und an die nationale Kultur und deren Allgemeinsprache gekettet. Fachsprachen zu „anglifizieren“ ist auf keinen Fall ausreichend, oft verwirrend und fallweise sogar gefährlich, weil es sinnentstellend sein kann. Darüber hinaus gilt: je spezifischer ein Fach, desto „eigen-artiger“ die Kommunikation. Der Schwerpunkt liegt dabei auf „Kommunikation“ und nicht auf der „Sprache“ - denn diese ist nur ein Teil der Kommunikation. Die Kommunikation umfasst auch Schrift, Zeichen, Abkürzungen, Signale, ja sogar Bekleidung, Gestik und Mimik.

Fachsprachen, wie die tschechische Militärsprache, wurden schon vor über hundert Jahren an der Österreichischen Militärakademie als Hauptgegenstand unterrichtet. Auch heute werden sie im Bundesheer wieder unterrichtet. Dagegen spricht wenig, vieles aber dafür. Das Fehlen dieser Ausbildung würde das Bundesheer (im Bereich der Fachkompetenz) deutlich ärmer machen, denn ohne die Kenntnis der tschechischen Militärsprache wäre eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit dem Nachbarn (etwa im Katastrophenfall) deutlich schwieriger. Strahlen kennen keine Grenzen. Bei Störfällen in Kernkraftwerken müssen die Hilfskräfte der Nachbarstaaten zusammenarbeiten. Dazu müssen sie einander aber im wahrsten Sinne des Wortes „verstehen“.

Besonderheiten von Fachsprachen

Beim Erlernen von Fachsprachen sind folgende Punkte essenziell:

  • nationale Prägung (Kultur, Entwicklung, Landes- und Fachgeschichte);
  • Fachinhalte, die die Fachsprachen prägen;
  • Fremdeinflüsse (Anglizismen, andere Fächer, …);
  • Terminologie;
  • umfassende Sprachkenntnisse (auch der eigenen Allgemeinsprache);
  • fachinhaltsbezogene Sprachmittlung und -vermittlung (Anwendung, Forschung, Lehre, Dokumentation);
  • Transport von Fachinhalten über geschriebene und gesprochene Texte hinaus.

Fachsprachen umfassen sowohl das offizielle (amtliche) Vokabular eines Bereiches einschließlich seiner Phrasen (z. B. vorgeschriebene Formulierungen wie „Habt Acht!“, „um zu …“, „Im Namen des Gesetzes sind Sie festgenommen!“ u.v.m.) als auch die in der Praxis angewandte Sprachen (Allgemeinsprachen, Militärsprachen, Militärfachsprachen) der Personen, die in diesem Fachbereich wirken. Fachsprachen und Fachkommunikation sind dabei untrennbar miteinander verbunden. Denn zur Fachkommunikation gehören nicht nur die Fachsprachen, sondern auch die Schrift, Zeichen, Signale, Symbole, Abkürzungen, Formeln usw. Innerhalb eines Fachbereiches haben auch Teilbereiche ihre eigenen Fachsprachen und Fachkommunikationen. Die Militärsprache besteht unter anderem aus den Militärfachsprachen Artilleriesprache, Fliegersprache, Pioniersprache, Fernmeldesprache, ABC-Abwehrsprache, der Soldatensprache usw. All das ist ausbildungsrelevant.

Daraus folgt: Fachkommunikation ist weit mehr als nur Sprache und kann deshalb auch nur von Personen vermittelt werden, die über Jahre hinweg „in der Lage leben“ und daher über das notwendige und unverzichtbare Wissen und Können verfügen.

 

Anwendung der Fachsprache

Fachkommunikation dient der sicheren Verständigung im Fachbereich, sowie dem gegenseitigen Fachverständnis - national, binational, multinational und international. Die Fachsprachen als Teil der Fachkommunikation sind deshalb kein Selbstzweck, sondern Mittel zu mehr Sicherheit (Polizei, Militär), Gesundheit (Medizin), Rechtssicherheit (Rechtswesen), Wohlstand (Wirtschaft, Bankwesen etc.), Kultur (Musik, Kunst etc.) usw. Leider „sündigen“ oft auch erfahrene Kaderangehörige bei Regeln der Fachsprache. Die „Hauptsünden“ sind:

  • Anglizismen wie z. B. „Beiträge bis COB (close of business)!“ statt „Beiträge bis Dienstschluss!“, „Feedback“ für „Rückmeldung“, „Checkpoint“ statt „Kontrollpunkt“, „briefing“ statt „Lagevortrag“ u.v.m.),
  • unnötige sinnstörende Verwendungen von im eigenen Bereich gängigen Abkürzungen, z. B. „BKA“, was sowohl „Bundeskanzleramt“ (in Österreich) bedeuten kann, wie auch „Bundeskriminalamt“ (in Deutschland) und
  • die Verwendung klar definierter Fachbegriffe in falschen Zusammenhängen („Taskforce Abfangjäger“ für eine Kommission; pseudomartialische Verwendung von Termini, wie z. B. „Angriff“ für den Beginn einer Handlung, den überzogenen Begriff „schweres Gefecht“, wenn es z. B. nur zwei Verletzte gab; „Revolte“ für einen ganz normalen sachlichen Einwand).

Schon bei der Schaffung von Termini ist daher gewissenhaft vorzugehen. Nicht gewissenhaft erstellte Begriffe können zwar auf das „Gemeinte“ hinweisen, aber auch zur Verwirrung, manchmal gar zum Gelächter führen, wie z. B.:

  • eine sinnstörende Wortwahl z.B. „Streitkräfteführungskommando“ (ein Kommando ist bereits eine Führungseinrichtung), oder „fvGWD - freiwillig verlängerter Grundwehrdiener“ (von 1,82 m auf 1,92 m?);
  • die Missachtung des systemimmanenten Ablaufdatums von Fachbegriffen z.B. „Heeresgliederung Neu“ (gefolgt von der “Heeresgliederung noch neuer”?) und
  • die Verwendung irreführender oder gar beleidigender Abkürzungen wie z. B. „Erz“ für „Erziehung“, „Obst“ (Apfel oder Birne?).

Fachsprachen - aber nur, wenn sie richtig angewendet werden - bringen nationale und grenzüberschreitende Fachsicherheit sowie grenzüberschreitendes Fachverständnis und Fachwissen. Die Kenntnis einer fremden Fachsprache erhöht die eigene Professionalität, die eigene Fachkompetenz und das internationale Verständnis. Nur wer die entsprechende ausländische Fachsprache beherrscht, kann die Erkenntnisse aus diesem Gebiet auch national nutzen und steigert damit seine interkulturelle Kompetenz. Das gilt auch für Streitkräfte.

Daraus folgt: Jedes Outsourcen von Fachsprachkompetenzen bedeutet einen Kompetenzverlust des Bundesheeres, der wesentlich teurer kommen kann (Zwang zum Zukauf, wenn überhaupt möglich), als die Beibehaltung der eigenen Fachsprachkompetenzen.

 

Fachsprachen als lebende, national und kulturell geprägte Sprachen

Die Fachinhalte und damit die Anzahl der Fachausdrücke in Berufen, Disziplinen oder Gegenständen steigen ständig. Die Fachsprachen werden außerdem ständig „genauer“. Damit verbunden ist aber die Notwendigkeit ihrer Beherrschung. Mit einer „Weltsprache“ ist zwar vieles abdeckbar, aber bei Weitem nicht alles. Denn die Fachsprachen sind selbst im gleichen Bereich nicht inhaltlich ident. Die juristische Fachsprache eines anderen Staates (und damit einer anderen Kultur) unterscheidet sich von der juristischen Fachsprache Österreichs nicht nur in der Sprache (selbst die deutsche Sprache ist in Österreich, in Deutschland, in der Schweiz und in Liechtenstein unterschiedlich), sondern auch im Inhalt und der dahinterliegenden Philosophie. Mit der Nationalsprache überleben meist auch die landeseigenen Fachsprachen, denn auch die Fachsprachen sind direkt mit den Menschen verbunden. Ein Auslöschen der Fachsprachen wäre ein Auslöschen der eigenen Identität. Auch Fachsprachen sind lebende Sprachen!

Daraus folgt: Fachkommunikation folgt keineswegs dem Trend nach Internationalisierung, sondern ist generell national bzw. kulturell geprägt.

Terminologiearbeit

Die Terminologiearbeit als tragende Säule der Ausbildung ist daher nie abgeschlossen. In manchen Fachbereichen brauchen wir oftmals sogar in unserer Muttersprache eigene „Dolmetscher“: das sind z. B. Ärzte, Apotheker und Rechtsanwälte. Ähnlich ist es mit den Fachsprachen des Militärs und der Polizei. Und auch dieser Umstand ist ausbildungsrelevant. Terminologiearbeit bei Fachsprachen muss grenzüberschreitend sein und weit über ein paar Wortlisten hinausgehen. Es geht dabei um Begriffsdefinitionen, Begriffserklärungen, Abkürzungen, Zeichen, Symbole, ja sogar Gesten, Grafiken usw. Auch das ist Fachkommunikation und damit für das ÖBH ebenfalls ausbildungsrelevant!Die Fachsprachausbildung hebt daher auch die interkulturelle Kompetenz der Lernenden sowie der Organisation, der sie angehören. Wird „outgesourced“ verliert daher das Bundesheer einen Teil dieser Kompetenz, der nur mit großen Aufwand zurückzuführen ist.

Daraus folgt: Ohne grenzüberschreitende Zusammenarbeit gibt es auch keine Bidirektionalität in der erforderlichen Tiefe.

Die bisher angeführten Punkte begründen die zwingende Notwendigkeit der Fachsprachausbildung innerhalb der Streitkräfte. Diese aufgezählten Punkte sind allerdings nur exemplarisch und nicht vollständig. Der mögliche Ablauf einer Fachsprachenausbildung wird im zweiten Teil dieses Artikels erklärt.

wird fortgesetzt

Oberst dhmfD Mag. Manfred Gratzer, MSD; seit Dezember 2018 Referatsleiter des Sprachmittlerdienstes in der Abt FüU/SIII, zuvor Hauptlehroffizier Tschechisch am Sprachinstitut des Bundesheeres.

 

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