• Veröffentlichungsdatum : 08.11.2017

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"Allheilmittel" Auftragstaktik?

Stefan Rakowsky

Auftragstaktik ist nach dem Militärlexikon ein Führungsprinzip, das dem Unterführer bei der Auftragsdurchführung Handlungsspielraum gibt. Die Voraussetzung für die Umsetzung der Auftragstaktik ist die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen.

In einem Artikel in „Die Presse“ vom 6. Mai 2017 beschreibt Michael Köttrisch ein angeblich völlig neues Mitarbeiterführungssystem der U.S. Navy. Diese hat ein Schiff in Dienst gestellt, auf dem der Kommandant nicht auf Befehl und Gehorsam besteht, sondern vielmehr auf gegenseitige Unterstützung, Zusammenhalt und Teamloyalität und die persönliche Entwicklung der Crewmitglieder fördert. Dieses Führungssystem, das dem Prinzip der selbstlernenden Organisation folgt, würde dazu führen, dass (kleine) Teams „erfolgreicher“ werden.

Im selben Artikel wurde ein hochrangiger Offizier der Landesverteidigungsakademie erwähnt, der meinte, dass im Österreichischen Bundesheer ein ähnliches Prinzip gelebt wird - die Auftragstaktik. Auftragstaktik ist nach dem Militärlexikon ein Führungsprinzip, das dem Unterführer bei seiner Auftragsdurchführung Handlungsspielraum gibt. Die Voraussetzung dazu ist die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen. Die Anwendung der Auftragstaktik ist gemäß Lehrmeinung auch abhängig von der Führungsebene. Dieses Führungsprinzip ist auf der militärstrategischen Ebene vollends realisiert. Auf der unteren Ebene der Gefechtstechnik findet man allerdings weitgehend die Befehlstaktik, bei der auch die Einzelheiten der Durchführung vorgeschrieben werden.

Prinzip der selbstlernenden Organisation

Beide Ansätze, die selbstlernende Organisation und die Auftragstaktik, haben im ÖBH ihre Berechtigung. Stellen Sie sich beispielsweise eine Geschütz- oder Panzerbesatzung vor. Nach unzähligen Stunden, Tagen, Wochen auf engstem Raum bildet sich ein eingeschworenes Team (Kampfgemeinschaft), das sich blind versteht. Der Kommandant kennt seine jeweiligen Soldaten ganz genau. Der Vorgesetzte kann individuell auf seine Teammitglieder und deren Bedürfnisse eingehen, und sein Team wird aller Voraussicht nach erfolgreich sein. So hat auch Köttrisch dieses „neue“ Führungssystem beschrieben.

Demgegenüber steht die Befehlstaktik als eher starres System. Je nach Führungsebene ist festgelegt, in welchem Verhältnis Auftragstaktik und Befehlstaktik im jeweiligen Auftrag zueinander stehen. Je höher die Führungsebene, desto größer der Anteil der Auftragstaktik. Wie so oft werden dabei die Mitarbeiter und deren Bedürfnisse nicht im eigentlich notwendigen Maße berücksichtigt.

In der Reifegradtheorie haben Hersey und Blanchard postuliert, dass persönliche Eigenschaften (die "Reife") der Mitarbeiter wichtig für die Wahl des jeweiligen Führungsstils sind. Sie gehen davon aus, dass Führungskräfte sowohl aufgabenbezogen, also eher direktiv und handlungsorientiert, und/oder mitarbeiterorientiert, also die Beziehung in den Vordergrund stellend, führen können. Mitarbeiter unterscheiden sich anhand von zwei Kriterien: dem Wollen und dem Können. Es gibt Untergebene, die fachspezifisches Wissen für ihre Tätigkeit mitbringen, also Können. Das zweite Kriterium ist das Wollen, also die Frage, ob genügend Motivation und Vertrauen vorhanden ist.

Es gibt Teammitglieder die motiviert sind, jedoch über kein fachspezifisches Wissen verfügen; sie wollen zwar, können aber (noch) nicht. Jene Mitarbeiter, die meist neu in einem Aufgabengebiet sind, sollten stark aufgaben- und mitarbeiterorientiert geführt werden, um erfolgreich zu werden. Im umgekehrten Fall, also vorhandenes Wissen aber keine Motivation, ist die Sache anspruchsvoller. Die Führungskraft muss dabei einen stark mitarbeiterorientierten Führungsstil an den Tag legen, der die Motivation und das Vertrauen stärkt - die Aufgabenorientierung ist dabei zweitrangig. Gerade dieser Ansatz ist im heutigen Umfeld oftmals notwendig, da die Mitarbeiter zwar Expertise aufweisen, der Sinn und die Motivation allerdings weniger ausgeprägt sind.

Mitarbeiter, die weder können noch wollen, sollen durch einen aufgabenorientierten Stil geführt werden, sie benötigen genaue Anweisungen (das entspricht wohl am ehesten der Befehlstaktik). Am einfachsten zu führen sind jene, die sowohl über fachspezifisches Wissen, als auch über Motivation verfügen - diese führen sich quasi selbst. Die Anwendung der Auftragstaktik verspricht bei diesen Personen in den meisten Fällen Erfolg.

Mitarbeiterführung ist somit nur bedingt von der Führungsebene abhängig. Vielmehr bedarf es in jedem Fall der individuellen Herangehensweise der Führungskraft an seine Untergebenen. Das Wesen der Auftragstaktik ist als Grundeinstellung dabei vorteilhaft. Den Idealzustand, wie oben anhand des Beispiels des U.S. Navy-Schiffes beschrieben, wird man erst nach mühevoller, gemeinsamer Arbeit von Führungskraft und Untergebenen erreichen. Dazu bedarf es einer großen Portion Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung.

Oberstleutnant dhmfD Mag. Ing. Stefan Rakowsky ist Psychologe am Zentrum für menschenorientierte Führung und Wehrpolitik an der Landesverteidigungsakademie. 

 

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