• Veröffentlichungsdatum : 16.03.2016
  • – Letztes Update : 26.04.2016

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60 Jahre Staatsvertrag

Gerhard Weitzer

Die Unterzeichnung des Staatsvertrages im Schloss Belvedere am 15. Mai 1955 bildete nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Grundlage zur Wiederherstellung Österreichs als souveränen, unabhängigen und demokratischen Staat. Neben der herausragenden historischen Bedeutung dieses Ereignisses stellt sich im Lichte des sechzigsten Jahrestages der Unterzeichnung die Frage, welche reale Bedeutung der Staatsvertrag heute noch besitzt.

Der Weg zum Staatsvertrag

Österreich galt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwar als befreites Land, den Status einer Siegermacht hatte es jedoch nicht. Aufgrund dieser Zwischenstellung ging der Wiedererrichtung als souveräner Staat eine Besatzung durch die vier alliierten Siegermächte und eine Aufteilung des Landes in Besatzungszonen voraus. Die zehnjährige Dauer dieser militärischen Besetzung war eine Folge des sich immer stärker abzeichnenden Kalten Krieges, dessen Front nun unmittelbar durch Österreich verlief.

Nachdem es von 1949 bis 1954 zu einem fast völligen Stillstand in den Verhandlungen über den künftigen Status Österreichs gekommen war, ermöglichte erst der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur NATO im Jahre 1955 eine Abkoppelung der Österreich-Frage von der Deutschlandpolitik der Alliierten. Bis dahin hatte vor allem die Sowjetunion die Verbindung der österreichischen mit der deutschen Frage gefordert, wobei alliierte Soldaten bis zum Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland in Österreich verbleiben sollten.

Da nun auch die Sowjetunion die Gründung eines Militärbündnisses (des Warschauer Paktes) vorantrieb, sollte das österreichische Staatsgebiet keinem der beiden Lager angehören und gemeinsam mit der Schweiz einen neutralen Keil zwischen den militärischen Blöcken bilden. Somit war der Weg frei für eine österreichische Sonderlösung außerhalb der beiden Lager. Diese wurde durch den Staatsvertrag in Verbindung mit der dauernden Neutralität erreicht.

Wesentliche Funktionen des Staatsvertrages

Der Staatsvertrag schuf die Grundlage zur Wiederherstellung Österreichs als souveränen Staat nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Seine Aufgabe bestand unter anderem in der Siche-
rung der Trennung von Deutschland und in der Beschränkung der militärischen Aufrüstung Österreichs. Weitere Funktionen bestanden in der Aufarbeitung der Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes, der Verankerung der Menschenrechte, der Sicherung der Minderheitenrechte und der Regelung der Folgen des Zweiten Weltkrieges.

Der Staatsvertrag verpflichtet Österreich unter anderem

  • keine wie immer geartete politische oder wirtschaftliche Vereinigung mit Deutschland einzugehen,
  • -die Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten in Kärnten, im Burgenland und in der Steiermark zu sichern,
  • alle nationalsozialistischen Organisationen aufzulösen sowie deren Wiedererrichtung zu verhindern,
  • eine demokratische, auf geheime Wahl gegründete Regierung zu haben und daher das Habsburgergesetz aufrechtzuerhalten (betrifft die Rechte der Familie Habsburg-Lothringen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wie den Ausschluss der Wählbarkeit zum Bundespräsidenten der Mitglieder der Familie Habsburg-Lothringen),
  • auf alle Ansprüche irgendwelcher Art gegen die Alliierten Mächte zu verzichten,
  • der Sowjetunion das bis dahin von ihr verwaltete deutsche Eigentum abzulösen und innerhalb von sechs Jahren 150 Millionen Dollar an sie zu zahlen (wobei Österreich sonst keine Reparationszahlungen an die Siegermächte zu leisten hatte),
  • Maßnahmen zu treffen, um in der NS-Zeit aus rassischen oder religiösen Gründen entzogenes Vermögen zurückzugeben bzw. zu kompensieren sowie
  • auf österreichischem Gebiet befindliche Kriegsgräber und Denkmäler der Alliierten zu schützen und zu erhalten.

Aus militärischer Sicht sind folgende Bestimmungen relevant:

  • Verbot der Dienstleistung in den österreichischen Streitkräften für ehemalige Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen und für österreichische Staatsangehörige, die in der deutschen Wehrmacht im Range eines Obersten oder in einem höheren Rang gedient haben ( siehe TD-Heft 06/2009);
  • Verbot von Spezialwaffen, insbesondere selbstgetriebener oder gelenkter Geschoßen (sog. Raketenverbot) und von Geschützen mit einer Reichweite von mehr als 30 km;
  • Verbot von Kriegsmaterial deutschen Ursprungs, ausgenommen von jenem, das nach dem Krieg im Land verblieben ist.

Daneben sieht der Staatsvertrag vor, dass es Österreich verboten ist, zivile Luftfahrzeuge deutscher oder japanischer Bauart oder mit einer größeren Anzahl von Teilen deutscher oder japanischer Bauart zu erwerben.

Welchen Bestimmungen kommt heute noch Bedeutung zu?

Viele der Bestimmungen des Staatsvertrages haben heute ihren Anwendungsbereich verloren, da sie erfüllt wurden oder zeitlich begrenzt waren. Darüber hinaus wurden 1990 im Lichte der politischen Umwälzungen, die sich Ende der 80er- und Beginn der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts ereigneten, einige Bestimmungen, beispielsweise die militärischen und Luftfahrtbestimmungen, durch die Bundesregierung aufgrund der grundlegenden Veränderungen in Europa für obsolet (also für nicht mehr anwendbar) erklärt. Die vier Signatarstaaten des Staatsvertrages erhoben keine Einwände gegen diese Erklärung Österreichs.

Insbesondere hohe rechtliche und politische Aktualität hat aber nach wie vor jener Artikel des Staatsvertrages, der die Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten regelt. Entstanden als Antwort auf die nach dem Zweiten Weltkrieg von Jugoslawien gestellten territorialen Ansprüche, wurde etwa die jahrzehntelange Kontroverse zum Ortstafelstreit in Kärnten erst im Jahre 2011 politisch gelöst. Eine abschließende gesetzliche Regelung steht weiterhin aus. Nach wie vor gültig ist die Verpflichtung zum Schutz und zur Instandhaltung der alliierten Kriegsgräber und Denkmäler.

Staatsvertrag und Neutralität

Im Staatsvertrag ist von der Neutralität keine Rede. Sie war jedoch die politische Voraussetzung für den Abschluss des Staatsvertrages. Entgegen der ursprünglichen Forderung der Sowjetunion, einen entsprechenden Passus in den Staatsvertrag aufzunehmen, einigte man sich im Rahmen der abschließenden Verhandlungen darauf, dass Österreich nach Abzug aller alliierten Besatzungstruppen die Neutralitätsverpflichtung aus freien Stücken eingehen sollte. Die Neutralität sollte also selbst gewählt sein und nicht in einem Vertrag aufgezwungen werden.

In diesem Zusammenhang kam es im Rahmen der Staatsvertragsverhandlungen in Moskau zu einer Zusage seitens Österreichs (Moskauer Memorandum vom 15. April 1955), dass die Bundesregierung unmittelbar nach Ratifikation des Staatsvertrages dem Parlament eine Deklaration zur Beschlussfassung vorlegen werde, wonach sich Österreich international dazu verpflichtet, immerwährend eine Neutralität der Art zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird. Aufgrund dieser Zusage kam es einen Monat später, am 15. Mai 1955, zur Unterzeichnung des Staatsvertrages betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreichs durch die Außenminister der alliierten Siegermächte und den Außenminister Österreichs.

Durch die Unterzeichnung des Vertrages verpflichteten sich die alliierten Mächte (USA, Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich), innerhalb von 90 Tagen nach Inkrafttreten des Staatsvertrages aus Österreich abzuziehen. Der Staatsvertrag trat nach Genehmigung durch den österreichischen Nationalrat und der Ratifizierung durch die vier Siegermächte formell am 27. Juli 1955 in Kraft. Nach Ablauf der 90-Tage-Frist für den Abzug der alliierten Streitkräfte am 25. Oktober 1955 beschloss der Nationalrat am folgenden Tag das Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs. Im Jahre 1965 wurde aus diesem Anlass der 26. Oktober zum Nationalfeiertag erklärt.

Fazit

Insgesamt hat der Staatsvertrag in den vergangenen 60 Jahren einen erheblichen Wandel durchgemacht. Viele seiner Bestandteile haben aufgrund der geänderten Verhältnisse in Europa nach dem Fall des Eisernen Vorhanges ihren Anwendungsbereich verloren. Andere, wie die Minderheitenrechte, sind jedoch auch heute noch von hoher Relevanz.

Unabhängig von seiner rechtlichen Bedeutung ist der Staatsvertrag zu einem fixen Bestandteil der österreichischen Identität geworden. Wenn er auch etwas in die Jahre gekommen zu sein scheint, so hat er jedenfalls die Wiederherstellung Österreichs als demokratischen und unabhängigen Staat und den damit verbundenen Aufschwung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ermöglicht.


Mag. iur. Gerhard Weitzer, MBA ist Referent für Internationales Recht in der Zentralstelle des BMLVS.

 

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