• Veröffentlichungsdatum : 06.06.2016
  • – Letztes Update : 24.05.2016

  • 8 Min -
  • 1676 Wörter

Interview zum Thema Nuklearterrorismus

Erwin Richter

"Die Geschichte von der in der Garage selbstgebastelten Atombombe gehört in den Bereich der Märchen"

TRUPPENDIENST erkundigte sich zum Thema „Nuklearterrorismus“ bei ao. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Helmuth Böck im Atominstitut der Technischen Universität (TU) in Wien.

Helmuth Böck studierte Technische Physik an der Technischen Universität Wien und habilitierte im Jahr 1979 auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit. Seit 1966 war der mittlerweile pensionierte und an der TU weiterhin teilangestellte Professor Betriebsleiter des Forschungsreaktors im Wiener Prater. Er gilt nicht nur aufgrund seiner mehr als 200 publizierten wissenschaftlichen Publikationen im nationalen wie internationalen Bereich als Experte zu Fragen der nuklearen Sicherheit. Von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) wurde Böck für mehr als 80 Nuklearprojekte nach Afrika, Asien und Südamerika entsandt.

Das Interview führte Oberrat Oberstleutnant Erwin Richter.

TD: Herr Professor, Nuklearterrorismus ist seit den Terroranschlägen in Brüssel im März 2016 wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt. Wie beurteilen Sie die Gefahr eines nuklearterroristischen Anschlages in Europa?

Böck: Nuklearterrorismus ist seit etwa 20 Jahren, vor allem nach dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion und zahlreichen Schmuggelversuchen von Uran, Plutonium und anderer Radionuklide in aller Munde. Generell zielt Nuklearterrorismus nicht in Richtung der Detonation einer Atombombe ab. Vielmehr geht es hier um sogenannte „Schmutzige Bomben“ oder „Dirty Bombs“, weil diese viel einfacher herzustellen sind und der Zugang zu Radionukliden wesentlich einfacher als zu spaltbarem Material ist. Die Geschichte von der in der Garage selbstgebastelten Atombombe gehört in den Bereich der Märchen. Da sind so viele Spezialmaterialien, spezielle Computerprogramme und Kenntnisse notwendig, dass es für kleine Gruppen mit Sicherheit nicht möglich ist, Atomwaffen herzustellen.

TD: Atomwaffen wären dennoch die ultimativen Terrorwaffen - warum wurde bislang noch keine zum Einsatz gebracht?

Böck: Da haben zuerst einmal die atomwaffenbesitzenden Supermächte höchstes Interesse an der Kontrolle. Zudem sind Atomwaffen derart gesichert, dass Einzelpersonen keinen Zugang dazu haben und eine Zündung nicht initiieren könnten. Es gibt hier viele Ebenen von eingebauten und installierten Sperren, sodass Terroristen der Zugang zu Atomwaffen verwehrt wird. Ein Diebstahl wäre meiner Meinung nach genauso unmöglich, weil diese Waffen in mehrfach gesicherten Bunkeranlagen lagern.

Ein Staat jedoch, der sich auf seine gesamte Industrie und Wissenschaft als Backup stützen kann, wie Nordkorea, Indien oder Pakistan, kann schon Kernwaffen produzieren. Andererseits sehen wir am Beispiel Iran, der Anreicherungsanlagen baute, von denen nicht ganz klar war, wie hoch angereichert das produzierte Uran sein sollte, dass es nach den Wirtschaftssanktionen und Verhandlungen gelungen ist, allfällige Atomwaffenpläne einzudämmen.

TD: Wäre es denkbar, dass ein atomwaffenbesitzender Staat Terroristen eine Atombombe zur Verfügung stellt?

Böck: Im Prinzip wäre das möglich. Aber auch hier gibt es etliche Hemmschwellen. Atomwaffen sind für Terroristen schwer transportierbar und sie müssten Kenntnis über die Ausschaltung sämtlicher Sicherungssysteme haben, um diese zünden zu können. Außerdem weiß man nie, ob die Terroristen diese Atombombe nicht gegen jenes Land einsetzen würden, von dem sie die Waffe haben. Das ist eine sehr unwahrscheinliche Möglichkeit.

TD: Angenommen eine Terroristengruppe hätte eine funktionsfähige Atombombe von einem „Sponsorstaat“ erhalten und diese zum Einsatz gebracht. Kann man dann aufgrund der Bombenprodukte nachvollziehen, woher diese Waffe stammt?

Böck: Das stimmt. Jede Nuklearwaffendetonation hinterlässt einen sogenannten „Fingerprint“, mit dem man - ähnlich wie bei einem Täter, der seine DNA hinterlassen hat - aufgrund der Spaltmaterialien und Spaltprodukte nachweisen kann, woher die Atombombe stammt oder zumindest wo die Anreicherung des spaltbaren Materials stattfand. Mit einem Fachausdruck wird das „Nuclear Forensic“ genannt. Diese Nachvollziehbarkeit ist auch ein Grund dafür, dass atomwaffenbesitzende Staaten, von denen es ja derzeit neun (Anm. d. Red.: USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea) gibt, sicher kein Interesse an einer Weitergabe einer funktionsfähigen Atombombe an Terroristen haben.

TD: Eine andere Form des Nuklearterrorismus wäre die Detonation einer „Dirty Bomb“, die in den Medien seit mehr als zwei Jahrzehnten beschrieben wird. Bisweilen gab es noch keinen Terroranschlag mit einer „Schmutzigen Bombe“?

Böck: Vor kurzem erfuhr ich von einem amerikanischen Spezialisten im Rahmen eines Vortrages, dass bereits einige „Dirty Bombs“ entdeckt bzw. auch entschärft wurden. Das Problem einer „Dirty Bomb“ ist die Beschaffung von geeigneten Radionukliden. Grundsätzlich wäre dies durch Diebstahl denkbar, aber dies wäre nicht durch Messungen sofort feststellbar. Beispielsweise könnte man medizinische Radionuklide stehlen. Jedoch sind hier die Halbwertszeiten der Radionuklide derartig gering, dass diese unmittelbar verwendet werden müssten, um überhaupt erkennbare Strahlenschäden zu verursachen. Außerdem werden diese nur für den unmittelbaren Bedarf gefertigt.

Ein Terrorist, der sich einer derartigen Quelle bemächtigen wollte, müsste hier in die komplette logistische Kette der Strahlenquelle eingeweiht sein. Die Panik wäre in diesem Fall das größte Problem. Andererseits würde eine „Dirty Bomb“ ungeheures Aufsehen in Medien und Bevölkerung erregen. Aber der Schaden wäre in erster Linie durch den Sprengstoff und nicht durch das Radionuklid verursacht.

TD: Wie sicher sind eigentlich radioaktive Materialien, wie sie in Forschung und Anwendung (Medizin, Industrie) benutzt werden?

Böck: In der Vergangenheit wurden immer wieder Materialien gestohlen. Bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) gibt es sogar eine seit den 1990er-Jahren erstellte Datenbank über gestohlene und verlorengegangene radioaktive Quellen. Vor zwei Jahren wurde in Mexiko eine radioaktive Quelle beim Transport mit einem LKW entwendet. Dies aber deswegen, weil die Diebe den LKW stehlen wollten. Erst als diese durch die Medien von der Strahlenquelle erfuhren, stellten sie den LKW samt radioaktiver Quelle irgendwo ab.

Diebstahl oder zufälliges Auffinden einer radioaktiven Quelle ist sicherlich wahrscheinlicher als der Bau einer Atombombe. Andererseits muss eine stark strahlende radioaktive Quelle abgeschirmt werden, womit sich aufgrund der Verpackung ein allfälliger Transport als schwieriger erweisen würde. Ist keine Abschirmung vorhanden, setzt sich der Dieb dieser Strahlung aus und wird somit zum ersten Opfer.

TD: Eine „Dirty Bomb“ wäre demnach eine wahrscheinliche Bedrohung. Würden Sie allfälligen Sicherheits- und Einsatzkräften empfehlen, sich auf ein „Dirty-Bomb“-Szenarium vorzubereiten?

Böck: Auf alle Fälle. Für den Fall eines nuklearterroristischen Anschlages sollte man sich auf ein Szenario mit einer „Schmutzigen Bombe“ vorbereiten. Es gibt ja schon Computerprogramme, die Auswirkungen einer „Dirty Bomb“ vorhersagen und allfällige Dosisbelastungen berechnen können. Dazu geben derartige Programme Auskunft für Einsatzkräfte und Bevölkerung über Ausmaß und Dauer möglicher Absperrmaßnahmen. Auf jeden Fall sind Dekontaminationsarbeiten nach einer „Dirty Bomb“ erforderlich.

TD: Beschäftigen Sie sich persönlich mit Fragen des Nuklearterrorismus und der nuklearen Sicherheit?

Böck: Wir haben gerade auf diesem Sektor schon einige Arbeiten gemacht und uns mit einer allfälligen Verstrahlungssituation beispielsweise nach einem Flugzeugabsturz auf einen Reaktor beschäftigt. Wir arbeiten selbstverständlich gemeinsam mit der IAEA an der genannten Datenbank und überprüfen Orte über die radioaktives Material transportiert werden könnte. Dafür stehen uns Gate-Monitore zur Verfügung, die Personen, Fahrzeuge usw. auf Strahlung überprüfen. Dabei ist es oftmals schon zu einer Situation gekommen, in der bei Personen, die sich Tage zuvor einer medizinischen Therapie unter Anwendung von Radionukliden unterzogen haben, beim Durchgang durch solche Monitore Strahlung detektiert wurde, die sich aufgrund der medizinischen Therapie in der Schilddrüse oder im Herzmuskel ansammelte. Wir haben an der Verbesserung dieser Computerprogramme mitgearbeitet, um derartige Fälle besser unterscheiden und Patienten erkennen zu können, damit diese unbehelligt ein- oder ausreisen können. Zum Beispiel werden auch für unseren Reaktor hier im Wiener Prater, der als Forschungsreaktor mit einer ganz, ganz geringen Leistung im Sinne der Sicherheit der unmittelbaren Umgebung eigentlich unbedenklich ist, laufend Sicherheitsoptionen ausgearbeitet und verbessert.

TD: Damit wären wir beim Thema Reaktoren: Wie sicher sind eigentlich vorhandene Kernanlagen vor Flugzeugabstürzen, die auch gezielt erfolgen könnten?

Böck: Ältere und kaum mehr in Betrieb befindliche Anlagen waren für den Absturz von Militärflugzeugen ausgelegt, die Kernanlagen der neueren Generation sind auch gegen Abstürze von großen Passagiermaschinen vergleichbar einer Boeing-767 ausgelegt. Selbst ein bewusstes Hineinfliegen in einen Reaktor wäre nicht nur wegen der Größe des Reaktors - man denke hier an den Unterschied zwischen einem etwa 60 m hohen Reaktorgebäude und dem World Trade Center - eine fliegerische Herausforderung. Ein Durchdringen der sichernden Betonhüllen wäre unmöglich. Darüber hinaus gibt es etliche redundante Sicherheitssysteme in den Kernanlagen selbst.

TD: Wir haben bereits eine andere Gefährdung mehrmals erwähnt: Wie schätzen Sie die Möglichkeit terroristischer Cyber-Angriffe auf Kernanlagen ein?

Böck: Hier gibt es zurzeit im Bereich der IAEA intensive Bemühungen. Diese Variante ermöglicht viele Möglichkeiten, um die sich die Fachleute aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie kümmern. Cyber-Attacken gegen Kernanlagen sind mögliche Bedrohungsoptionen.

TD: In Österreich existieren zwar keine Endlagerstätten, aber in etlichen anderen Ländern Europas. Wie sicher sind derartige Endlager?

Böck: Finnland ist in Europa das am weitesten fortgeschrittene Land. Es baut ein Langzeitendlager in Granit, das etwa 2022 in Betrieb gehen soll. Die Brennelemente werden hier in Castor-Behältern gelagert. Das Lager ist ausgelegt für die gesamte Lebensdauer von sechs Kernkraftwerken. Finnland hat derzeit vier, das fünfte ist in Bau, ein sechstes geplant. Diese Anlage ist unterirdisch eingebunkert, zudem gesichert und eigentlich nicht zugänglich. Sich daraus radioaktives Material zu besorgen, ist nicht denkbar. Oder gar im Inneren eine Sprengung mit Freisetzung von radioaktivem Material zu bewerkstelligen, welches in weiterer Folge eine Gefährdung für die Menschen darstellt, ist eigentlich unmöglich. Überirdische Endlager existieren zwar, bei diesen ist allerdings angedacht, dass die radioaktiven Lagermaterialien in Castor-Behältern in Endlager transportiert werden.

TD: Wie sicher ist der in Österreich anfallende radioaktive Abfall?

Böck: Es gibt schwach-, mittel- und hochradioaktiven Abfall, in Österreich überhaupt nur schwachradioaktiven. Bei Kernkraftwerken fällt mittelaktiver und bei Wiederaufbereitungsanlagen hochaktiver nuklearer Abfall an. Dieser wird letztendlich unterirdisch gelagert. Vor 20 bis 30 Jahren hat man an die Errichtung von Zentrallagern angedacht, das hat sich dann aber nicht bewahrheitet. Jedes Land hat sich selbst um seinen Atommüll zu kümmern. In Österreich wird der radioaktive Abfall in sichere Behälter verpackt und gesichert gelagert. Exportiert wird nichts für Lagerzwecke.

TD: Könnte die derzeitige Debatte um den Nuklearterrorismus in einigen Ländern einen Atomausstieg verursachen oder beschleunigen?

Böck: Die präventiven Maßnahmen gegen Nuklearterrorismus werden sicherlich verschärft werden, aber an einen generellen Atomausstieg glaube ich nicht. Man muss bedenken, dass Frankreich zu 70 Prozent oder die Slowakei und Belgien zu 50 Prozent von Kernkraftwerken stromversorgt werden. Einen Ausstieg aus der Atomenergie kann ich mir derzeit nicht vorstellen.

TD: Was sind Ihre Empfehlungen für Einsatzkräfte zur Bewältigung nuklearterroristischer Anschläge?

Böck: Es bedarf gut geschulter Einsatzkräfte mit einer guten, funktionierenden Ausrüstung mit Geräten, die auf dem neuesten technischen Stand sind und keine „Uralt-Geräte“ darstellen sowie regelmäßige Übungen, um diese Kenntnisse aufrecht zu erhalten.

TD: Herr Professor, Danke für das Gespräch.

Nuklearterrorismus

 

Ihre Meinung

Meinungen (0)