• Veröffentlichungsdatum : 06.04.2017
  • – Letztes Update : 08.05.2018

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Das Treffen der Generäle

Gerold Keusch

Kaum ein Bild konnte die Niederlage des Dritten Reiches prägnanter vermitteln als jenes bei dem sich amerikanische und sowjetische Soldaten an der Elbe die Hand reichten. Auch in Österreich haben sich die Alliierten getroffen. In der „Friedensgemeinde“ Erlauf erinnert man sich an eine besondere Begegnung am letzten Tag des Krieges.

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Der 8. Mai 1945 war der letzte Tag des Zweiten Weltkrieges in Europa. Im Mostviertel löste sich an diesem Tag die Front auf, da fast alle Deutschen Einheiten versuchten, sich über die Enns zu den Amerikanern durchzuschlagen. Die Angst vor der sowjetischen Kriegsgefangenschaft war groß. Am 9. Mai um 00.01 Uhr war der Krieg in der alten Welt offiziell beendet. Eine Friedensperiode, die bis heute in Europa anhält und vor allem der westlichen Welt einen noch nie gekannten Wohlstand brachte, hatte begonnen.

Die Generäle in Erlauf

In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 fand im heutigen Gemeindeamt von Erlauf, in dem damals der Stab der sowjetischen 7. Gardeluftlandedivision einquartiert war, ein historisches Treffen statt. Der Kommandeur der sowjetischen 7. Gardeluftlandedivision, Generalmajor Dmitri Dritschkin und der kommandierende General der 65. US-Infanteriedivision Generalmajor Stanley Reinhart stießen dort auf das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa an. Der US-General wurde für dieses Treffen extra von den Sowjets aus Linz abgeholt. Gemeinsam feierten sie den, um 00.01 Uhr des 9. Mai in Kraft tretenden, Waffenstillstand. General Dmitri Dritschkin blieb nach dem Kriegsende in Erlauf stationiert. Dort lebte er einige Monate mit seiner Frau und der, im Februar 1945 an der Front geborenen, Tochter Raisa. Das Treffen der Generäle geriet schon bald in Vergessenheit.

Wie die Erinnerung nach Erlauf kam

Ende der 1950er Jahre entdeckte der, aus Erlauf stammende Ernst Brod durch Zufall eine Broschüre der 65. US-Infanteriedivision in einer Bibliothek in seinem Wohnort in Kalifornien. Brod war jüdischer Herkunft, lebte seit 1937 in der Türkei und später in den USA. In der Broschüre war das Treffen der Generäle vom 8. Mai 1945 beschrieben. Brod berichtete seinem Jugendfreund Franz Stangler, der 1910 in den Räumen des heutigen Museums geboren wurde und damals in Erlauf lebte, von dem Fund.

Stangler war Schuldirektor sowie Abgeordneter zum Niederösterreichischen Landtag und engagierte sich für kulturelle Themen. 1965 wurde auf seine Initiative eine Gedenktafel an dem Haus, in dem das historische Treffen stattfand angebracht, die an das Treffen der Generäle erinnert. Detail am Rande: An der Erstellung der Broschüre der 65. US-Infanteriedivision „Right to be proud“ war der Pöchlarner Franz Schanzer beteiligt. Dieser musste aufgrund seiner jüdischen Herkunft vor dem NS-Regime fliehen und diente während dem Zweiten Weltkrieg in der 65. US-Infanteriedivision. Der „Weg der Erinnerung“ zeigt, in welchem Ausmaß historische Ereignisse und persönliche Erlebnisse miteinander verbunden sein können.

Die Gedenktafel war das erste von mehreren Denkmälern in Erlauf. 1995 fügte die Marktgemeinde ihrem Ortsnamen den Begriff „Friedensgemeinde“ hinzu. Der Anlass dazu war die Enthüllung zweier Denkmäler am Marktplatz. Eines wurde vom russischen Künstler Oleg Komov gestaltet und zeigt ein Mädchen zwischen einem amerikanischen und sowjetischen Soldaten. Das andere Denkmal ist eine abstrakte Lichtskulptur der amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer. Es symbolisiert die Machtlosigkeit und Verzweiflung der Opfer von Krieg und Gewalt, jenes von Komov steht für Versöhnung und den Sieg über das NS-Regime.

Proteste

Die Aufstellung des Denkmales von Oleg Komov ging nicht ohne Proteste über die Bühne. Bei dem Erstentwurf des Künstlers stand kein Mädchen, sondern eine junge Frau zwischen den beiden Soldaten. Diese Form der Darstellung erinnerte viele Erlauferinnen an die Übergriffe der sowjetischen Besatzer im Mai 1945.

Für viele Menschen der Region war die Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945, in der sich in Erlauf die Generäle trafen, zwar die erste Nacht ohne Krieg und NS-Regime; sie verlief jedoch nicht friedlich. Es wurde auch nicht gefeiert, obwohl das viele sicher gerne gewollt hätten. In dieser Nacht kam es in vielen Orten des Landes zu Gewaltexzessen in den, nun von Sowjettruppen, besetzten Teilen Österreichs. Soldaten gingen von Haus zu Haus, klopften an die Türen oder verschafften sich oft gewaltsam Zutritt.

Das Ziel der häufig betrunkenen Soldaten waren vor allem die Frauen. Tausende wurden in dieser Nacht vergewaltigt. Einige kamen dabei sogar ums Leben oder wurden schwer verletzt. Ein Zeitzeuge erinnert sich: „Uns kam an diesem Tag [8. Mai 1945] ein total verwirrter Mann entgegen. Er war völlig verzweifelt und meinte, dass die Soldaten bei ihm sind und seine Frau haben. Auch die Kinder im Alter von vier, fünf und sechs Jahren seien im Haus. Er dachte, sie nicht mehr lebend zu sehen und sagte immer, dass er dass er ins Wasser gehe, falls er sie nicht mehr lebend sehen würde.“

Die Zeit der Übergriffe der Sowjetsoldaten dauerte etwa einen Monat. Dann war die sowjetische Militärverwaltung installiert und griff auch in den eigenen Reihen hart und entschlossen durch. „In den ersten Tagen der Besatzung wollte mich ein betrunkener Soldat mit einer Hacke erschlagen. Als ich einem russischen [sowjetischen] Offizier dies mitteilte, wollte dieser den Soldaten vor mir erschießen, was durch mein Bitte verhindert wurde“, berichtet ein Pfarrer aus dem Mostviertel.

Die ersten Wochen waren für das Verhältnis zwischen den sowjetischen Besatzern, die sich als Befreier sahen, und der Bevölkerung eine nur schwer zu überwindende Bürde. Das bekam auch die kommunistische Partei in Österreich bei den ersten freien Wahlen am 25. November 1945 zu spüren. Sie wurde von der Bevölkerung als verlängerter Arm der UdSSR in Österreich angesehen und mit der Sowjetpolitik gleichgesetzt. Bei der ersten Nationalratswahl erreichte sie nur 5,4 Prozent der Stimmen - ein für die Partei, aber auch für Moskau enttäuschendes Ergebnis.

Die sowjetische Besatzung lässt sich jedoch nicht auf die Ereignisse der ersten Monate reduzieren. Sie hatte viele unterschiedliche Facetten. Zeitzeugen erinnern sich heute vor allem daran, dass die sowjetischen Soldaten zu den Kindern sehr freundlich waren und mit ihnen spielten. Oft entwickelten sich auch Freundschaften zwischen der heimischen Bevölkerung und den fremden Soldaten, obwohl das vor allem wegen der Sprachbarriere nicht immer einfach war.

Museum „Erlauf erinnert“

Ab dem Jahr 1965 organisierte die Gemeinde Erlauf regelmäßige Gedenkfeier aus der die Idee der „künstlerische Auseinandersetzung“ mit der Geschichte im öffentlichen Raum hervorging. 1995, fünfzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden in der Marktgemeinde die Denkmäler der US-amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer und des russischen Künstlers Oleg Komov errichtet. Seit dem Jahr 2000 entstanden fünfzehn temporäre Kunstprojekte, drei Dokumentationsfilme sowie ein Musikprojekt, die sich mit dem Ort und dessen Geschichte beschäftigten.

Darüber hinaus wurden und werden Projekte zu aktuellen Themen wie Rassismus, Ausgrenzung oder der Umgang mit kollektiver Erinnerung umgesetzt. Sowohl die Besucher, als auch die Bewohner von Erlauf erhalten so die Möglichkeit, sich kritisch mit der Vergangenheit aber auch der Gesellschaft der Gegenwart auseinanderzusetzen. Dafür steht neben dem Ausstellungsbereich des Museums auch ein Studienraum zur Verfügung.

Wir müssen die Geschichte stets lebendig halten“, betonte der niederösterreichische Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll bei der Eröffnung des Museums „Erlauf erinnert“. Das Museum wurde im Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges initiiert und am 9. Mai 2015 - 70 Jahre nach dem Treffen der Generäle - eröffnet. Das Museum gibt einen Überblick über ereignis- und alltagshistorische Vorgänge zu den Themen Nationalsozialismus, Krieg und Kriegsende. Es vereint Zeitgeschichte, Erinnerungskultur und Gegenwartskunst. Das Museum in Erlauf komme „zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und mit dem richtigen Auftrag“, betonte Pröll, denn: „Nur wer sich seiner Geschichte erinnert, kann sie verstehen. Und nur wer seine Geschichte versteht, kann aus ihr lernen.“

Der Auftrag, die Geschichte lebendig zu halten, gelte für alle Generationen, meinte der Landeshauptmann. „Es ist wichtig, eine Brücke zwischen den Generationen zu schlagen. Denn nur dieses Band der Generationen gibt Kraft für die Gegenwart und Zuversicht am Weg in die Zukunft. (…) Die Errungenschaften von heute verpflichten uns zu Dank und Respekt gegenüber jenen, die vor uns waren. Vor 70 Jahren habe es landauf und landab Leid und Elend gegeben und es sei nicht einfach gewesen, daraus Frieden, Freiheit und Wohlstand zu errichten.“

Im Zentrum des Museums steht die Erzählung vom Treffen der Generäle. Daneben gibt es aber auch zusätzliche Ausstellungsbereiche, die einen Eindruck über den Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg sowie der Zeit danach geben:

  • Der NS-Staat in Erlauf
  • Zwangsarbeit
  • Daheim und an der Front
  • Jüdische Familien in Erlauf
  • Politischer Widerstand im Mostviertel
  • Kriegsende/Treffen der Generäle
  • Leben nach dem Krieg
  • Besatzung
  • Wie die Erinnerung nach Erlauf kam
  • Erinnerungskultur in Österreich
  • Offizielles Erinnern
  • Friedensdenkmäler
  • Friedenstage

Dreißigjähriger Krieg

Das Museum in Erlauf ist auch aus einem anderen Grund von historischem Interesse. Zahlreiche Historiker aus dem angloamerikanischen Raum, wie beispielsweise Eric Hobsbawn nehmen bei der Betrachtung des Ersten und Zweiten Weltkrieges bereits eine mögliche Sicht zukünftiger Generationen auf diese Ereignisse ein. Dabei gehen sie davon aus, dass diese die beiden Weltkriege als einen „Dreißigjährigen Krieg“ betrachten werden.

Als symbolischer Beginn des Ersten Weltkrieges gilt das Attentat von Sarajevo, bei dem der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand ermordet wurde. Dieser ist nur etwa 10 km nordöstlich von Erlauf, im Schloss Artstetten beigesetzt, wo es auch ein Museum zu diesem Thema gibt. Als symbolisches Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa und des NS-Regimes kann der Handshake von Erlauf verstanden werden. Somit befinden sich sowohl der symbolisch Beginn, als auch das symbolische des „Dreißigjährigen Krieges des 20. Jahrhunderts“ und dessen Gedenkstätten in unmittelbarer Nähe zueinander.

Die anderen „ersten Zusammentreffen“

Alliierte Truppen trafen zu Kriegsende bei mehreren Gelegenheiten aufeinander. Das bedeutendste Treffen war der „Elbe day“. Darunter versteht man den Zusammenschluss der West- und Ostfront in Torgau an der Elbe am 25. April 1945. Das Treffen der Generäle in Erlauf war eines von mehreren zwischen Amerikanern und Sowjets am 8. Mai 1945 in Österreich. Im Gegensatz zu den anderen Zusammenkünften an diesem Tag erfolgte es organisiert, wenn auch spontan.

Das erste Mal begegneten sich amerikanische und sowjetische Soldaten irrtümlich in Aggsbach Markt, wo sie sich gegenseitig bekämpften. In Amstetten, kam es zum zweiten Zusammentreffen. Dort wurde eine amerikanische Vorhut, die sich dort aufhielt, als die deutschen Truppen zurückströmten, versehentlich von sowjetischen Jagdflugzeugen angegriffen. Etwa zeitgleich zu dem Bombenangriff in Amstetten landete südlich von Melk ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug mit zwei Offizieren, die mit der sowjetischen 7. Gardeluftlandedivision in Verbindung traten.

In Strengberg kam es zum ersten Zusammentreffen zwischen amerikanischen und sowjetischen Frontsoldaten, das „friedlich“ verlief. Dort lagen sich die Soldaten der alliierten Streitkräfte zum ersten Mal erleichtert in den Armen. Diese historische Szene wurde einige Tage später in Amstetten von einem Filmteam in einer Seitengasse nachgespielt. Die amerikanischen Stellen, die den Film verwalteten, dachten, dass er in Enns gedreht worden wäre. Dort fand wiederum am 9. Mai 1945 das erste offizielle und auch medienwirksam inszenierte Treffen statt. Generalmajor Walker vom 20. US Armeekorps und Generalleutnant Birukoff, der 4. Sowjetischen Gardearmee ließen sich dort bei der Brücke über die Enns fotografieren. Diese Brücke wurde ein Symbol für die Besatzungszeit in Österreich. Heute erinnert nur eine kleine Tafel an der Kreuzung im Ort Ennsdorf an diese Zeit.

Fazit

Die Marktgemeinde Erlauf ist durch eine besondere Form der Gedenk- und Erinnerungskultur geprägt, die dort seit den 1960er Jahren aktiv gelebt wird. Weder in Amstetten, noch in Aggsbach Markt erinnert heute ein Denkmal an die Begegnung der amerikanischen und sowjetischen Soldaten. Selbst in Strengberg, dem eigentlichen Ort des alliierten Zusammentreffens, wurde ein Gedenkstein erst auf die Initiative der ehemaligen Schuldirektorin aufgestellt. In Erlauf jedoch war man sich seit 1965 der Tragweite und Symbolik des Treffens der amerikanischen und sowjetischen Soldaten bewusst. Kein anderer Ort im deutschsprachigen Raum mit vergleichbarer Größe setzt sich so bewusst mit den Themen Frieden, Erinnerung und Kunst auseinander.

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Offiziersstellvertreter Gerold Keusch ist Redakteur bei TRUPPENDIENST.

www.erlauferinnert.at 

 

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