• Veröffentlichungsdatum : 07.10.2020
  • – Letztes Update : 12.10.2020

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Das Multinationale Kommando Operative Führung in Ulm

AUT-Kontingent MN JHQ ULM

Das Kommando ist ein verlegefähiges, multinationales, Teilstreitkräfte übergreifendes Hauptquartier, das auf operativer und auf militärstrategischer Ebene agieren kann sowie für Einsätze der EU, der NATO und der UNO zur Verfügung steht. Am 1. Juli 2020 übernahm das Multinationale Kommando Operative Führung in Ulm (Deutschland) für die EU die Rolle des "bevorzugten Hauptquartieres" in der Stand-by-Phase für die nächsten sechs Monate. Das Österreichische Bundesheer ist dort mit Personal in verschiedenen Funktionen beteiligt.

Entwicklung

Am Standort Ulm hatte das ehemalige Kommando Operative Führung Eingreifkräfte den Hauptauftrag, ein schnell verlegefähiges Force Headquarters (FHQ) zur Operativen Führung von multinationalen und Teilstreitkräfte-übergreifenden Einsätzen – vor allem für die Europäische Union – mit einer Stärke von bis zu 60 000 Soldaten zur Verfügung zu stellen. Dieser Auftrag wurde 2009 erweitert. Ziel war es, bei Bedarf auch ein EU Operation Headquarters (EU OHQ) – d. h. ein Hauptquartier der militärstrategischen Ebene – stellen zu können. Mit dem NATO-Gipfel 2012 in Chicago und der Einmeldung des Ulmer Kommandos für die NATO-Initiative „Smart Defence – Multinational Approaches“ war 2013 der Grundstein für die Neuaufstellung als Multinationales Kommando Operative Führung (MN KdoOpFü) gelegt worden. Damit sollte die Planungs- und Führungsfähigkeit der EU und NATO weiter gestärkt werden. Das Ulmer Kommando ist heute ein verlegefähiges, multinationales, Teilstreitkräfte-übergreifendes Hauptquartier, das sowohl auf operativer als auch auf militärstrategischer Ebene agieren kann und für Einsätze der EU, der NATO und der UNO zur Verfügung steht.

Mit der in diesem Kommando über Jahre aufgebauten Erfahrung leistet Deutschland einen wichtigen Beitrag zur EU-Initiative „Pooling and Sharing“. Durch Aus- und Weiterbildung, Übungen sowie Konzept- und Doktrinenentwicklung ist das Kommando in der Lage, die militärstrategische bzw. operative Planung und die Führung von multinational und Teilstreitkräfte-übergreifend zusammengesetzten Streitkräften zu beherrschen und weiterzuentwickeln. Mit 16 Nationen wurde eine Technische Vereinbarung (Technical Arrangement – TA) zur Teilnahme an diesem Kommando abgeschlossen. Diese Vereinbarung regelt alle bilateralen Aspekte, die sich aus den Verpflichtungen Deutschlands als Framework Nation, dem Auftrag des MN KdoOpFü/MN JHQ Ulm sowie aus der Abstellung von multinationalem Personal, dessen Status und der Finanzierung ergeben.

Die personelle Zusammensetzung von Soldaten aus derzeit zehn der 16 TA-Nationen, die aus allen Teilstreitkräften (Heer, Luftwaffe und Marine) stammen, ist in Deutschland ein Alleinstellungsmerkmal des Ulmer Kommandos. Selbst bei NATO-Mitgliedsstaaten ist eine vergleichbare Fähigkeit nur in der NATO Command Structure (NCS) zu finden. Das Kommando kann mit seiner Struktur, Organisation, Zusammensetzung und Ausbildung des Personals sowie der materiellen Ausstattung maßgeschneidert für jede denkbare Mission eingesetzt werden – von der Führung von friedenssichernden und humanitären Einsätzen über Ausbildungsmissionen bis hin zu Kampfeinsätzen hoher Intensität. Mit einem festen Platz in der Führungsorganisation der Streitkräfte der Deutschen Bundeswehr (DBw) ist das Ulmer Kommando ein Beratungs-, Planungs- und Führungsinstrument für den nationalen wie für den multinationalen Bereich.

Beteiligung Österreichs

Kooperationen sollen für das ÖBH primär zur Festigung bestehender Partnerschaften, zur Ergänzung nicht vorhandener Fähigkeiten, zum zielgerichteten Ressourceneinsatz und zur Kostenoptimierung sowie zur Verbesserung der zivil-militärischen Zusammenarbeitsfähigkeit und Interoperabilität beitragen. In der militärischen Partnerschaft mit der DBw gibt es eine Vielzahl an Kooperationsprojekten wie die intensive Zusammenarbeit im Bereich der Ausbildung mit dem „Flaggschiff“ gemeinsame Gebirgsausbildung und den Austauschdozenten von der Landesverteidigungsakademie und Führungsakademie, oder eben das MN JHQ Ulm. Die Partnerschaft zeigt sich vor allem im Austausch von Personal. Mit derzeit etwa 23 Soldaten/Bediensteten versieht ein erheblicher Anteil des österreichischen Personals in länger- fristigen Auslandsverwendungen den Dienst in Deutschland. Zehn Soldaten und Soldatinnen aus diesem Kontingent nehmen Aufgaben im Multinationalen Kommando Operative Führung in Ulm wahr. Das ÖBH kann hier für Offiziere und Unteroffiziere im Wesentlichen die Fähigkeiten der operativen und militärstrategischen Planung und Führung sowie Joint Logistics auf taktischer Ebene in einem Kernstab (Core Staff Element – CSE) eines Joint Logistic Support Group Headquarters (JLSG HQ) im multinationalen Umfeld ausbilden, vertiefen und praktisch üben.

Seit der Aufstellung des Ulmer Kommandos stellt Österreich den zahlenmäßig stärksten multinationalen Anteil aller TA-Nationen. Der Deputy Chief of Staff Operations, einer von fünf Generälen am Standort, führt das österreichische Kontingent an. Als Operationschef des Hauptquartiers obliegt ihm die Verantwortung für die Planung und Führung jeglicher Vorhaben, Übungen und Einsätze. Ihm zur Seite steht ein Military Assistant (MA), dem neben der Beratungsfunktion auch die Koordinierung von nationalen Angelegenheiten anvertraut ist. Ein Generalstabsoffizier im Rang eines Obersten bekleidet die Schlüsselfunktion des Planungschefs in der Abteilung CJ5 (Combined Joint 5) und leitet die Strategic Planning Group (SPG) im EU OHQ bzw. die Joint Operations Planning Group (JOPG) im Joint Headquarter. Im Bereich Operations sind zwei weitere Stabsoffiziere eingesetzt, die sich auf diese Weise Einblicke in die Fachgebiete Operations Assessment (CJ5) und in den CJ2-Dienst auf operativer Ebene verschaffen können, die sie in Österreich im Dienstbetrieb nicht bekämen.

Im Führungsgrundgebiet 3 wird eine Schlüsselfunktion im Lagezentrum besetzt, die unter anderem die Möglichkeit der Ausbildung an den modernsten Führungsinformationssystemen mit sich bringt. Im Unterstützungsbereich führt ein weiterer Oberst des Generalstabsdienstes als einziger nichtdeutscher Abteilungsleiter die Stabsabteilung CJ4. Das ist unter anderem im Hinblick auf die EU-Battlegroup und die wiederkehrende Beteiligung Österreichs als Logistic Lead Nation zweckmäßig. In seinem Verantwortungsbereich ist ein Stabsunteroffizier und Spezialist für das Logistische Führungsinformationssystem eingesetzt. In der Abteilung CJ1 dient ein weiterer Unteroffizier, der maßgeblich für die umfassende Unterstützung der multinationalen Angehörigen im Kommando im Umgang mit deutschen Behörden verantwortlich ist. Als Teil des Welfare-Office stellt er die Rahmenbedingungen wie Unterkunft, Schule etc. sicher. Das Core Staff Element der Joint Logistic Support Group wird organisatorisch auch im Support Directorate geführt. Ein österreichischer Stabsoffizier führt dort das Referat Operationen und leitet das Joint Logistic Operations Centre (JLOC).

Rolle als EU OHQ

Das MN JHQ Ulm ist von der Bundesrepublik Deutschland im Helsinki Headline Goal (Grundlage auch für die EUBG; Anm.) als ein militärstrategisches Hauptquartier (Operation Headquarters/OHQ) für die EU eingemeldet. Es steht damit für die EU neben vier weiteren nationalen OHQs (gestellt durch Frankreich, Italien, Griechenland und Spanien) als höchste militärische Planungs- und Führungsinstanz außerhalb Brüssels für Operationen im gesamten Spektrum der Petersberg-Aufgaben zur Verfügung. In dieser Rolle ist es nach Aktivierung direkt dem politischen Führungsgremium der EU, dem Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK), unterstellt. Es setzt die politischen Vorgaben des Rates der EU in militärische Weisungen und in Aufträge an das nachgeordnete operative Hauptquartier EU Force Headquarters (EU FHQ) im jeweiligen Einsatzland um.

An dieser Schnittstelle erfolgt eine wesentliche Umsetzungsleistung vom politischen Willen hin zu klaren militärischen Aufträgen. Dies stellt besondere Herausforderungen an die Ausbildung und das Training für das eingeteilte Personal. Im Detail besteht die Aufgabe als EU OHQ primär darin, die politischen Zielvorgaben in klare Handlungsanweisungen für den militärischen Anteil des Instrumentariums im Krisenmanagement der EU umzusetzen, diese mit den vorhandenen Ressourcen in Einklang zu bringen, mit anderen Akteuren abzustimmen und mögliche Handlungsoptionen für den militärischen Beitrag zu erarbeiten. Dies bedarf neben der fachlich-militärischen Expertise auf den höchsten Führungsebenen auch eines fundierten Verständnisses für die politischen Entscheidungsprozesse innerhalb der EU.

Entsprechend den politischen Vorgaben werden neben dem Personal des Ulmer Kommandos weitere Verstärkungskräfte (Augmentees) aus den EU-Mitgliedsstaaten und anderen befreundeten Nationen hinzugezogen. Grundsätzlich werden die an einer Operation beteiligten Nationen an der Besetzung der Dienstposten im EU OHQ beteiligt. Wird das EU OHQ aktiviert, erfolgt der nationale und multinationale Aufwuchs. Die Gesamtstärke ist von der Art und dem Umfang des zu führenden Einsatzes abhängig.

Um für diese Aufgaben vorbereitet zu sein, werden neben den durch die EU angebotenen Ausbildungsmöglichkeiten regelmäßig im eigenen Bereich Übungen durchgeführt bzw. beteiligt sich das MN JHQ Ulm an Übungen der EU. Dies war für die durch den EU-Militärstab geleiteten Übungen „Multilayer“ 2012 und 2016 in der Rolle als OHQ der Fall. Im Herbst 2020 ist die Unterstützung der neuen Military Planning and Conduct Capability (MPCC) der EU in der Übung „Integrated Resolve“ mit Personal aus dem MN JHQ Ulm geplant.

In Ergänzung zu dieser generellen Rolle als EU OHQ hat das MN JHQ Ulm auch eine Sonderrolle als bevorzugtes Hauptquartier („preferred OHQ“) für die durch Deutschland als Rahmennation geführte EU Battlegroup. Dieser Auftrag wurde bereits in den Jahren 2012 und 2016 wahrgenommen und wird für die aktuelle EUBG 2020-2 wieder erfüllt. Neben dem Bereithalten als OHQ im Falle der Aktivierung beinhaltet diese Aufgabe ebenfalls Beiträge in der Vorbereitung, die für die EUBG 2020-2 bereits Ende 2017 begonnen haben. Dazu zählt die Unterstützung für das deutsche Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) bei den nationalen und multinationalen Koordinierungskonferenzen sowie die Unterstützung des Kommandos der Division Schnelle Kräfte (DSK) für die EUBG 2020-2 in der Ausbildung und Vorbereitung für deren Rolle als (F)HQ. Aufgrund der Expertise, die das MN JHQ Ulm auf der operativen Führungsebene aufweist, konnte diese Unterstützung in hohem Umfang geleistet werden.

Für die Rolle als OHQ selbst wurde in Ulm eine Vorbereitungsübung („European Endeavour“ 2019) durchgeführt. Die Grundlage war ein fiktives, aber realistisches Szenario, anhand dessen die EU-Planungsprozesse und die Krisenreaktion auf militärstrategischer und operativer Ebene geübt wurden. Die darin erarbeiteten Planungsdokumente dienten als Grundlage für die geplante Zertifizierungsübung „European Challenge“ der EUBG mit ihrem (F)HQ, die aufgrund der Corona-Pandemie kurz vor dem geplanten Übungsbeginn abgesagt werden musste.

Dennoch wurde dadurch der Grundstein für eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen OHQ und (F)HQ im Falle der Aktivierung gelegt, der in einem gemeinsamen Key-Leader-Seminar gefestigt wurde. Insgesamt erfordert die Rolle als „preferred“ EU OHQ einen erheblichen Planungs-, Koordinierungs- und Arbeitsaufwand für das MN JHQ Ulm im Grundbetrieb. Auch für die avisierte neuerliche Bereitstellung einer EUBG unter deutscher Führung 2025 werden diese Aufgaben in der Vorbereitung durch das MN JHQ Ulm zu erfüllen sein.

Entwicklungen am Standort

Im Februar 2018 einigten sich die Verteidigungsminister der NATO-Mitgliedsstaaten auf einen Plan zur Anpassung der NATO-Kommandostruktur. Dabei wurde die Einrichtung zweier neuer Hauptquartiere auf operativer Ebene in der NATO-Streitkräftestruktur festgelegt: das Joint Forces Command Norfolk (JFC NF) mit Hauptzuständigkeit für den transatlantischen Raum und das Joint Support and Enabling Command (JSEC) mit Verantwortlichkeit für den rückwärtigen Raum der NATO. Bei der Zusammenkunft der NATO-Verteidigungsminister im Juni 2018 erhielt Deutschland den Zuschlag als Rahmennation für die Aufstellung des JSEC. Das MN JHQ Ulm wurde mit der Aufstellung beauftragt, und Ende 2019 wurde eine erste Einsatzbereitschaft (Initial Operational Capability – IOC) des JSEC erklärt.

Mitte 2021 wird eine Zertifizierungsübung den Abschluss der Aufstellungsphase (Full Operational Capability – FOC) bilden. Zum raschen Aufwuchs wird das JSEC durch einen erheblichen Anteil des deutschen Personals des MN JHQ Ulm unterstützt. Bis 2021 wird das JSEC zu einer eigenständigen internationalen Dienststelle weiterentwickelt und sowohl personell als auch materiell vom MN JHQ Ulm getrennt sein. Parallel dazu wurde seitens der NATO entschieden, die Standing Joint Logistic Support Group (SJLSG) aus Mons nach Ulm zu verlegen. Der dadurch mögliche enge Schulterschluss soll dem hohen Koordinierungsaufwand in Hinblick auf Logistik und Enablement im rückwärtigen Raum Rechnung tragen. Demnach beherbergt der Standort Ulm künftig ein operatives Hauptquartier der NATO Force Structure (JSEC), ein Element der NATO Command Structure (SJLSG), und mit dem MN JHQ Ulm den Kern eines strategisch/operativen Hauptquartiers der EU sowie den Kernstab des taktischen Hauptquartiers der Joint Logistic Support Group. Das MN JHQ erfährt eine klarere Ausrichtung auf die Aufgaben der EU, und das Core Staff Element der JLSG soll weiterhin als nationales Element bereitgehalten werden.

Nutzen der Beteiligung am MN JHQ für das ÖBH

  • Militärstrategische Planung und Führung;
  • Operative Planung und Führung; 
  • Teilstreitkräfte-übergreifende Zusammenarbeit;
  • Multinationale Zusammenarbeit; 
  • Multinationale Logistik auf operativer und taktischer Ebene;
  • CJ2-Dienst und Operations Assessment auf operativer Ebene.
Darüber hinaus bietet eine Verwendung im MN JHQ die Möglichkeit, mit modernsten Führungsinformationssystemen nach multinationalen Verfahren zu arbeiten.

Auf einen Blick

Das Multinationale Kommando Operative Führung in Ulm ist einer der Eckpfeiler der militärischen Sicherheitsarchitektur in Europa. Der Standort Ulm entwickelt sich zu einem echten Fähigkeitspool mit zwei NATO-Dienststellen, einem EU-fokussierten Hauptquartier und einem taktischen logistischen Hauptquartier. Die Beteiligung Österreichs ermöglicht es, Stabspersonal im militärstrategischen und operativen Bereich der EU und auf taktischer Ebene in der multinationalen Logistik zu verwenden.

(Aktuelles) AUT-Kontigent; Multinationales Kommando Operative Führung in Ulm.

 

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