• Veröffentlichungsdatum : 04.12.2018

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Kurskorrektur in Richtung des Machbaren

Jörg Aschenbrenner, Robert Zanko

Seit Juli 2018 ist General Mag. Robert Brieger neuer Generalstabschef des Österreichischen Bundesheeres. Mit TRUPPENDIENST sprach er über die Voraussetzungen für eine zukunftsorientierte Ausrichtung der Streitkräfte und die militärische Landesverteidigung als Kernaufgabe.

TRUPPENDIENST (TD): Mit dem Ministerratsvortrag vom 19. Juni 2018 wurde durch Herrn Bundesminister Kunasek eine Strukturänderung bei den operativ führenden Kommanden eingeleitet. Was hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren so grundlegend verändert, dass wir jetzt wieder eine Strukturreform brauchen?

Robert Brieger (RB): Es hat sich in den eineinhalb Jahren von den Rahmenbedingungen her wenig verändert. Die vorgefundenen Organisationsziele haben aber das Maß des Realisierbaren überschritten, sodass eine Anpassung an gegebene Rahmenbedingungen notwendig erscheint. Ich gehe davon aus, dass diese Strukturanpassung für einen mittelfristigen Zeitraum aufrechterhalten werden kann, um endlich die dringend notwendige, erwünschte Ruhe für die Truppe zu gewährleisten.

TDDie Militärische Landesverteidigung wieder als Kernaufgabe zu sehen, bedeutet einen Paradigmenwechsel gegenüber der Verteidigungspolitik der vergangenen 15 Jahre. Das verlangt, sich wieder verstärkt mit dem Kampf der verbundenen Waffen auseinander zu setzen. Ist das trotz der deutlichen Schwäche bei den schweren Waffensystemen und unter diesen Rahmenbedingungen realistisch?

RB: Ja, es geht mir darum, die Voraussetzungen für eine zukunftsorientierte Ausrichtung der Streitkräfte zu schaffen und zu verbessern. Das Regierungsprogramm schreibt uns die Bildung von vier einsatzfähigen Landbrigaden vor. Innerhalb der vergangenen 15 Jahre wurden viele schwere Waffensysteme veräußert oder verwertet.Jetzt geht es darum, wieder die Voraussetzungen zu schaffen, konzeptiv, aber auch in der Ausbildung und Ausrüstung, die Kernaufgabe Militärische Landesverteidigung gesetzeskonform vollziehen zu können. Das geht nicht von heute auf morgen. Es sind von allen Waffengattungen noch Referenzgrößenordnungen verfügbar, sodass der Einsatz der verbundenen Waffen wieder geübt werden kann. Ich denke, dass der Truppenübungsplatz Allentsteig beste Voraussetzungen bietet, Übungen im großen Verband wieder durchzuführen. Es werden auch wieder Übungen im freien Gelände zu beurteilen sein.Insgesamt kommt es darauf an, einen Umdenkprozess einzuleiten. Natürlich hat das Bundesheer subsidiäre Aufgaben: der Schutz der Bevölkerung durch Katastropheneinsätze und sicherheitspolizeiliche Assistenzen sollen nicht gefährdet werden, aber es muss in den Köpfen und letztlich auch in den Strukturen die Kernaufgabe wieder ihren Platz finden.Ich fühle mich durch die internationalen Entwicklungen bestätigt, da nicht zuletzt konventionelle Einsatzmittel wiederaufgebaut, reaktiviert und modernisiert werden.

TDDas Bundesheer engagiert sich umfangreich in Auslandseinsätzen. Zunehmend ist dabei die Befähigung zu robusten Mandaten gefragt, was „high value assets“ erfordert. Sind wir in diesem Bereich nicht zu „infanterielastig“? 

RB: Es ist richtig, dass „high value assets“ Infanterieeinheiten, die mehr quantitativ zu messen sind, ausgleichen können. Die Entsendung von Spezialkräften oder von Luftelementen kann einen höheren Mehrwert erbringen - ohne jetzt die Infanterie herabmindern zu wollen - als eine Infanterieeinheit, die vorwiegend Sicherungs- und Patrouillendienste macht.
Mein Bestreben geht dahin, bei den Auslandseinsätzen eine breite Aufgabenpalette abzudecken. Allerdings hat unser Engagement am Westbalkan gezeigt, dass wir dort truppenstark auftreten müssen. Die „Infanterielastigkeit“ ist hier gerechtfertigt, weil diese Aufgaben zur Stabilisierung unseres Umfelds nur mit einer bestimmten Anzahl an Soldaten vollzogen werden können.

TDSind „high value assets“ wie Hubschrauber etwas, womit man sich im Auslandseinsatz profilieren kann?

RB: Zweifellos. Gerade Hubschrauber sind im Auslandseinsatz immer wieder Mangelware. Wir sind in der Lage, zumindest partiell mit dem Com-Paket (Kommandanten-Paket; Anm.) in Bosnien entsprechende Leistungen vorzuhalten. Dass man hier aufstocken könnte, wenn es die Ressourcen zulassen, ist richtig. 
Wir haben bei den Hubschraubern durch den Ministerratsbeschluss über das Hubschrauberpaket eine gewisse Perspektive, dass eine veraltete Flotte ersetzt und eine vorhandene entsprechend komplettiert werden kann.

 

TDDie Bundesregierung ist u. a. mit dem Ziel angetreten, mehr Geld für den Sicherheitsbereich, also auch für das Bundesheer, bereit zu stellen. Nach wie vor liegt das Verteidigungsbudget bei unter 0,6 Prozent des BIP, und man muss sich mit Sonderbudgets behelfen, um die dringendsten Investitionen tätigen zu können. Warum ist es so schwierig, klarzumachen, dass die vom Bundesheer gesetzlich geforderten Normaufgaben durch das Regelbudget abgedeckt werden müssen?

RB: Der Herr Bundesminister und ich haben es uns zum Ziel gesetzt, hier vermehrt die notwendigen Fakten in den Diskussionsprozess einzubringen, um den Entscheidungsträgern, die auf der politischen Ebene zu suchen sind, die militärischen Notwendigkeiten vor Augen zu führen. 
Es ist richtig, dass für die Planungssicherheit im Bereich der Streitkräfteentwicklung ein adäquates Regelbudget dauerhaft unabdingbar ist. Nun ist es in Österreich jahrzehntelang nicht gelungen, den Streitkräften solche Voraussetzungen zu schaffen. Daher muss die Ressortleitung und der Generalstabschef innerhalb der jeweiligen Möglichkeiten und mit Klarheit darauf hinweisen, dass wir in diese Richtung arbeiten müssen, weil Sonderbudgets zwar eine gewisse Mangellage kurzfristig beheben, aber nicht das Problem lösen. Diese sind zweckgebunden und unflexibel. Um der Komplexität der Planungs- und Beschaffungsprozesse Rechnung zu tragen, brauchen wir ein besseres Regelbudget. Sicherheit kostet Geld und es ist nicht ungebührlich, für das Militär eine entsprechende budgetäre Voraussetzung einzumahnen. 

TDEines dieser Sonderbudgets soll nun die Option auf die drei „Black Hawks“ ziehen und zwölf neue Mehrzweckhubschrauber als Ersatz für die 24 „Alouette“ III bringen. Wie kann eine Staffel die Aufgaben von zwei übernehmen?

RB: Es sind zwölf Mehrzweckhubschrauber und sechs Schulungshubschrauber vorgesehen. Das neue Muster wird in der Leistung deutlich über der jetzigen „Alouette“ liegen. Die logistischen und für den Einsatz erforderlichen Vorrausetzungen sind ebenfalls andere. Somit ist eine gewisse Kompensation der geringeren Zahl erwartbar. 
Der leichte Mehrzweckhubschrauber wird z. B. Transport- und Aufklärungsaufgaben erfüllen und eine Waffenstation aufnehmen können. Er soll in einem Spektrum von militärischen Einsätzen bis zum Katastropheneinsatz nutzbar sein.

TDIn der Luftraumüberwachung stehen dringende Entscheidungen hinsichtlich der Überwachungsflugzeuge an. Wie ist der aktuelle Stand in diesem Entscheidungsprozess?

RB: Es gibt einen Bericht der Evaluierungskommission, die Herr Bundesminister Kunasek eingesetzt hat. Dieser ist der Bundesregierung zur Kenntnis gelangt und wir gehen davon aus, dass diese eine Entscheidung bis Jahresende hinsichtlich Weiterbetrieb des vorhandenen Flugzeuges oder den Umstieg auf eine Alternativvariante treffen wird. 
Mir als Generalstabschef kommt es darauf an, dass die aktive Luftraumüberwachung in einer technisch und taktisch zeitadäquaten Form, die den modernen Notwendigkeiten entspricht, weitergeführt wird. 

TDDer Herr Bundesminister hat bei seinem Amtsantritt vier Leuchtturmprojekte genannt, die er in seiner Amtszeit umsetzen möchte. Die Errichtung der so genannten Sicherheitsinseln wurde bereits eingeleitet. Wie weit ist dieses Projekt fortgeschritten?

RB: Bei den Sicherheitsinseln geht es um eine im Grunde gesamtstaatliche Aufgabe durch autarke Kasernen Leistungen vorzuhalten, die von anderen Bedarfsträgern, etwa der Exekutive bzw. den Blaulichtorganisationen genutzt werden können. 
Wir haben zwölf mögliche Standorte ausgewählt, die zunächst in ihrem Autarkiestatus verbessert werden und in einem zweiten Schritt zu Sicherheitsinseln ausgebaut werden sollen - vorausgesetzt die entsprechenden Budgetmittel werden zur Verfügung gestellt. 
Im Bereich der Rekrutenschule sehe ich eine Methode, wie die Ausbildung im Grundwehrdienst attraktiver und effektiver gestaltet werden soll. Die neue Sicherheitsschule wird ab dem Schuljahr 2019/20 ihren Betrieb in Wiener Neustadt aufnehmen und eine gediegene Vorbereitung auf Sicherheitsberufe bereitstellen. 
Die Errichtung eines gesamtstaatlichen Cyberzentrums in der Stiftskaserne wird die synergetische Nutzung der Kapazitäten der beteiligten Ministerien ermöglichen, erfordert allerdings auch ein gemeinsames Finanzierungskonzept. 

TD: Bundesminister Kunasek möchte die Rolle des Unteroffiziers stärken. Welche Maßnahmen wären Ihrer Meinung nach dazu notwendig und geeignet?

RB: Erste Maßnahmen hierzu sind bereits erfolgt. Alle Unteroffiziere wurden in einer gemeinsamen Besoldungsgruppe zusammengefasst.
Es geht darum, das Selbstbewusstsein der Unteroffiziere, die ein wesentlicher Bestandteil der Streitkräfte sind, zu stärken und Qualität als auch Quantität der Ausbilder durch gezielte Vorbereitung der Kaderanwärter und bedarfsdeckende Personalaufnahmen sicherzustellen.

TD: Der Herr Verteidigungsminister hat im Sommer eine Verlängerung der Wehrpflicht auf sechs plus zwei Monate angeregt. Sie unterstützen das. Was würden Sie sich von der Wiedereinführung dieses Modells erwarten?

RB: Mir ist bewusst, dass die Wiedereinführung eine sicherheitspolitische Diskussion beinhaltet, die nicht von heute auf morgen beendet sein wird. Was ich mir erwarte, ist zunächst ein höherer Nutzungsgrad der Soldaten. Darüber hinaus können durch Milizübungen und die damit verbundene Nachhaltigkeit der Ausbildung und Einsatzvorbereitung, Verbesserungen in der Einsatzbereitschaft erzielt werden. Naturgemäß werden gesellschaftspolitische und budgetäre Komponenten mit zu beurteilen sein.

TD: Herr General, Sie sind 43 Jahre Soldat, also „Zeitzeuge“ über vier Jahrzehnte Streitkräfteentwicklung. Wie beurteilen Sie vor diesem zeithistorischen Hintergrund die aktuellen Fähigkeiten des Österreichischen Bundesheeres zur Bewältigung der gestellten Aufgaben? Oder anders gefragt: Waren wir schon einmal besser aufgestellt oder „jammern“ wir auf hohem Niveau?

RB: Verglichen mit Streitkräften von Partnernationen im europäischen Umfeld - ich spreche jetzt von vergleichbaren Größenordnungen, seien es die blockfreien Schweden und Finnland, die neutrale Schweiz oder die NATO-Mitglieder Belgien und die Niederlande - muss man feststellen, dass das Bundesheer durch überproportionale Einsparungsmaßnahmen Fähigkeitsverluste erlitten hat, die uns hohe Herausforderungen auferlegen. Auf der anderen Seite haben wir ein erhebliches Plus durch ein hervorragendes Personal, das viele Probleme durch Improvisationsgabe und Engagement kompensiert und uns international einen exzellenten Ruf gebracht hat.
Wir haben also gute personelle Voraussetzungen, es muss uns aber gelingen, ein attraktiver Arbeitgeber zu bleiben und die Entscheidungsträger zu überzeugen, dass Sicherheit Geld kostet, dass diese Versicherungspolizze nicht umsonst zu haben ist. Wenn ein souveräner Staat mit einem hohen sozialen Niveau im sicherheitspolitischen Umfeld glaubwürdig bleiben will, dann führt kein Weg daran vorbei, die entsprechenden Ressourcen bereitzustellen.
Wir sollten nicht jammern, sondern einmal selbstkritisch erkennen, wo unsere Kommunikationslücken in der Vergangenheit gelegen sind und versuchen, diese zu schließen. 

 

Das Interview führten Oberst dhmtD Mag. Dr. Jörg Aschenbrenner und Major Mag.(FH) Robert Zanko.

 

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